[WestG] [AKT] Experte Prof. Dr. Michael Gruenbart zum ersten "Tag der Freundschaft" der Vereinten Nationen
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Do Jul 28 10:43:48 CEST 2011
Von: "Exzellenzcluster "Religion und Politik" <religionundpolitik at
uni-muenster.de>
Datum: 27.07.2011, 15:12
AKTUELL
"Freundschaften sind wichtige soziale Werkzeuge"
Experte Prof. Dr. Michael Grünbart zum ersten "Tag der
Freundschaft" der Vereinten Nationen
Zum ersten internationalen "Tag der Freundschaft" am Samstag
heben Wissenschaftler die hohe soziale Bedeutung von
Freundschaften hervor. Freundschaften und
Freundschaftsnetzwerke hätten sich in der Geschichte immer
wieder als wichtige soziale Werkzeuge erwiesen, sagte
Historiker und Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom
Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität
Münster. Er gehört dem internationalen Forschungsprojekt
"Medieval Friendship Networks" an, das über verschiedene
mittelalterliche Kulturen hinweg vergleicht, wie Freundschaften
funktionierten.
Prof. Grünbart sieht viele Parallelen zwischen Geschichte und
Gegenwart: Zur Pflege politischer Verbindungen hätten in
byzantinischer Zeit (330-1453) genauso wie heute Bankette zu
Staatsbesuchen, Gastgeschenke, rote Teppiche und festliche
Empfänge gedient. Die Feinheiten im diplomatischen Zeremoniell
ähnelten sich ebenfalls stark, wenn man historische und
gegenwärtige Abläufe vergleiche.
Überlieferte Briefe weisen nach den Worten des Wissenschaftlers
gewisse Parallelen zu sozialen Netzwerken wie Facebook auf:
"Dem Verfasser von Briefen ging es mitunter schlicht darum, ein
Lebenszeichen zu geben, Neuigkeiten auszutauschen, sich in
Erinnerung zu rufen oder einfach sein Schreib- und
Lesebedürfnis zu stillen." Mit dem "Tag der Freundschaft" am
30. Juli, den die Vereinten Nationen in diesem Jahr erstmals
ausgerufen haben, soll an Freundschaften zwischen Personen,
Ländern und Kulturen erinnert werden.
Wenn das Wort "Freundschaft" in einem historischen Text fällt,
rät Wissenschaftler Grünbart, dessen Bedeutung nicht mit
heutigen Vorstellungen von emotionaler und uneigennütziger
Verbundenheit zwischen Freunden gleichzusetzen. "Ganz offen
schrieb beispielsweise 1158 ein Zeitgenosse über ein Abkommen
zwischen Wilhelm I. von Sizilien und dem byzantinischen Kaiser
Manuel I., dass keine 'ehrliche Eintracht', sondern der
gegenseitige Nutzen im Vordergrund stand. Obwohl die
vermeintliche Freundschaft der beiden Herrscher alles andere
als uneigennützig war, profitierten Kriegsgefangene und
Soldaten sehr davon."
Die Menschen im mittelalterlichen byzantinischen Reich pflegten
laut Grünbart einen pragmatischen Freundschaftsbegriff: "Man
durfte Freundschaft einsetzen, um etwas zu erreichen." In der
damaligen Politik sei Freundschaft häufig ein erster Schritt
zur Anbahnung einer Verwandtschaftsverbindung gewesen,
erläuterte der Experte. "Wollte das Kaiserhaus seine
Beziehungen zu anderen Mächten festigen, ließ es
freundschaftliche Bündnisse möglichst mit verwandtschaftlichen
Verhältnissen untermauern." Die nach Byzanz verheirateten
Prinzessinnen hätten einen griechischen Namen annehmen müssen.
Wie Piroschka von Ungarn, Tochter der Adelheid von Rheinfelden
und Ladislaus von Ungarn, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts
Johannes II. heiratete, wurden viele von ihnen zu ihrer
Hochzeit auf den Namen "Eirene", also "Frieden", getauft.
Wie wichtig staatliche Freundschaft in ihrer Funktion als
gesellschaftlicher Kitt war, zeigte laut Prof. Grünbart auch
eine Episode ihrer Abwesenheit. Quellen hätten die Herrschaft
von Andronikos I. Komnenos 1183 bis 1185 als unerträgliche
"Zeit des Zwietrachts" bezeichnet, in der "alle Bande des
Vertrauens, selbst zwischen den engsten Verwandten, zerrissen
waren".
Prof. Grünbart forscht am Exzellenzcluster im Projekt B11
"Kaiser und Patriarch in Byzanz – eine spannungsreiche
Beziehung". Im Forschungsprojekt "Medieval Friendship Networks"
befasst er sich mit Freundschaften in der Geschichte. Die
Ergebnisse einer Tagung des Netzwerkes, die sich mit dem
Austausch von Gaben zur Freundschafts- und Netzwerkpflege im
europäischen Mittelalter befasste, sind soeben in einem
Sammelband in der Reihe "Byzantinistische Studien und Texte" im
Münsterschen LIT-Verlag erschienen.
INFO
Kontakt:
Brigitte Heeke
Zentrum für Wissenschaftskommunikation
des Exzellenzclusters "Religion und Politik"
Johannisstraße 1-4
48143 Münster
Tel.: 0251/83-23376
Fax: 0251/83-23246
E-Mail: religionundpolitik at uni-muenster.de
URL: www.religion-und-politik.de
"Religion und Politik" - Der Exzellenzcluster der WWU Münster
Im Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster (WWU) forschen rund 200
Wissenschaftler aus 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen
Fächern und elf Ländern. Sie untersuchen das komplexe
Verhältnis zwischen Religion und Politik von der Antike bis zur
Gegenwart und von Lateinamerika über Europa bis in die
arabische und asiatische Welt. Es ist der bundesweit größte
Forschungsverbund dieser Art und von den deutschlandweit 37
Exzellenzclustern der einzige zum Thema Religionen. Bund und
Länder fördern das Vorhaben im Rahmen der Exzellenzinitiative
bis 2012 mit 37 Millionen Euro.
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