[WestG] [AKT] Statt Prunksitzung und Kamelle gehoerten frueher Staendchen, Wurst und Schinken zur Westfaelischen Fastnacht
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Do Feb 11 11:07:02 CET 2010
Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 10.02.2010, 14:36
AKTUELL
Statt Prunksitzung und Kamelle gehörten früher Ständchen, Wurst
und Schinken zur Westfälischen Fastnacht
In einigen Bauernschaften des Münsterlandes sieht man sie in
den "feucht-fröhlichen Tagen" rund um Karneval, die jungen
Burschen, die zum Teil verkleidet durch die Nachbarschaft
ziehen, um "Wurst aufzuholen". Dieser Brauch, bei dem die
jungen Männer in jedem Haus als Ständchen ein Fastnachtslied
sangen oder ein Sprüchlein aufsagten und dabei im Gegenzug auf
die Freigiebigkeit der Hausbewohner hofften, war früher in
Westfalen weit verbreitet: Es wurden alle möglichen
Lebensmittel ausgeteilt. "Aber besonders hoch im Kurs standen
Würste und Stücke vom Schinken. Darauf spielten alle
Bittgesänge und -verse an, daher hat das 'Wurstaufholen' in
manchen Gebieten auch seinen Namen", erklärt Peter Höher,
Volkskundler beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
Für die Fastnacht hatten die Hausfrauen meist schon beim
Schlachten ein paar Würste zur Seite gelegt, denn es war
Ehrensache, die jungen Leute nicht ohne Gaben von dannen ziehen
zu lassen. Aber auch der Schnaps floss reichlich. Die jungen
Leute verzehrten die leckeren Sachen gemeinsam, meist im
Wirtshaus. Manchmal wurden sogar die Spender dazugeladen, und
Alt und Jung machten sich gemeinsam über die Köstlichkeiten her,
denn jeder wusste: Bald bricht ja die entbehrungsreiche
Fastenzeit an. Viele Junggesellen ließen auch ihren Kameraden,
die gerade ihre Militärdienstzeit ableisten mussten, ein
Wurstpaket zukommen.
Bereits im 19. Jahrhundert gab es aber immer mehr Klagen: In
den meisten Regionen Westfalens waren es ja nicht nur die
jungen Männer, sondern auch die Schulkinder, die zu Fastnacht
an die Haustür klopften und ihre Verslein aufsagten. Ihr Termin
war meist die "Lüttke Fastnacht", der Donnerstag vor Fastnacht,
im rheinischen Karneval als "Wieberfastnacht" bekannt. In
manchen Orten hatten auch die Schmiede- oder
Stellmachergesellen nach altem Brauch das Recht, an diesen
Tagen ein Trinkgeld von den Kunden ihres Meisters einzufordern.
"Immer wieder waren auch Gruppen von Kindern und Jugendlichen
aus benachbarten Orten oder sogar aus anderen Regionen
unterwegs. Besonders zahlreich waren sie, wenn die Ernte
schlecht ausgefallen war oder eine Teuerung die Lebensmittel
fast unerschwinglich machte", berichtet Höher. Aus dem
Sauerland wird berichtet, dass in den 1840er Jahren sogar der
Küster und Lehrer sich auf diese Weise etwas Nahrung
erbettelten, denn ihre Gehälter waren ausgesprochen dürftig.
Hintergrund
Die Fastnacht war nicht der einzige Termin, an dem traditionell
das "Heischen" - so wird es in der Volkskunde genannt -
stattfand. Mit regionalen Unterschieden kamen auch zu
Silvester/Neujahr, Dreikönige, Petri Stuhlfeier (22.Februar),
Pfingsten, Michael (29. September), Martin (11. November) und
Johannes (27. Dezember) Grüppchen von jungen oder alten,
bekannten oder völlig unbekannten Menschen an die Haustür und
baten nach einer mehr oder weniger gelungen musikalischen,
gesanglichen oder gereimten Darbietung um Wurst, Eier oder
andere Lebensmittel. Im Siegerland gab es noch das sogenannte
Wurstsingen zwischen Weihnachten und Neujahr. "Da kann es wenig
verwundern, wenn viele Betroffene den alten Fastnachbrauch satt
hatten und als 'verkappte Bettelei' empfanden. Der Ruf nach
polizeiliche Kontrolle wurde immer lauter, und in vielen Orte
gab es bald einen entsprechenden Passus in der
Gemeinde-Polizeiordnung", so LWL-Volkskundler Höher.
"Aber dass der Heischebrauch zu Fastnacht seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts allmählich zurückging, ist wohl weniger auf solche
Vorschriften zurückzuführen, sondern eher darauf, dass die
Erwachsenen den Spaß an solche Sammelaktionen verloren, die
alte Unbefangenheit war nicht mehr da, man fühlte sich selbst
ein wenig als Bettelnder - jedenfalls überall dort, wo nicht
mehr jeder jeden kannte und wo sich das enge, fast familiäre
Nachbarschaftsverhältnis aufgelöst hatte", erklärt Höher. In
den 1950er und 60er Jahre war das Heischen zu Fastnacht fest in
Kinderhand, doch inzwischen ist selbst bei den Jungen und
Mädchen dieser Termin ins Hintertreffen geraten: "Dreikönige
und Halloween haben ihm den Rang abgelaufen", so der
LWL-Volkskundler weiter.
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