[WestG] [AKT] Tagungsbericht: 1. deutsch-niederlaendisches Symposium zur Adelsgeschichte
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Di Mai 26 10:25:37 CEST 2009
Von: "Christine Witte" <Christine.Witte at lwl.org>
Datum: 25.05.2009, 15:31
TAGUNGSBERICHT
1. deutsch-niederländisches Symposium zur Adelsgeschichte.
Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven
Enschede, 13.3.2009
Am 13. März 2009 lud der Deutsch-niederländische Arbeitskreis
für Adelsgeschichte bzw. der Duits-Nederlandse Kring voor
Adelsgeschiedenis zum 1. deutsch-niederländischen Symposium für
Adelsgeschichte in den Burgerzaal des Rathauses von Enschede.
Während der Tagung stellte sich die Stichting Werkgroep
Adelsgeschiedenis mit einem Stand vor und bot das Jaarboek
Virtus an.
In seiner Begrüßung der etwa 70 anwesenden Historiker und
Historikerinnen und Adelsvertreter, vornehmlich aus
Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden, erklärte Gunnar Teske
vom LWL-Archivamt für Westfalen das Anliegen der Tagung: Der
Arbeitskreis, der sich in Fortsetzung des Projektes "Adel
verbindet" gebildet hat, solle der Öffentlichkeit vorgestellt
werden.
Es sollte zunächst der Forschungsstand auf niederländischer und
deutscher Seite präsentiert werden, bevor im zweiten Teil aus
aktuellen Forschungsprojekten berichtet würde. Um die
Gleichrangigkeit beider Länder zu betonen, seien als
Konferenzsprachen bewusst Deutsch und Niederländisch gewählt
worden. Schließlich dankte Teske der Stadt Enschede und ihrem
Stadtarchivar Adrie Roding für die Ausrichtung der Tagung.
Der Kämmerer der Gemeente Enschede, J.H.A. Goudt, hieß die
Anwesenden im Namen der Stadt in dem 1933 eröffneten Rathaus
willkommen, das insbesondere der Begegnung diene. Obwohl
Enschede keine Schlösser zu bieten habe, habe auch hier der
Adel in der Geschichte eine wichtige Rolle gespielt. Goudt rief
die Tagungsteilnehmer dazu auf, vor allem auf die
gesellschaftliche Rolle des Adels zu blicken und seine
Geschichte der Öffentlichkeit zu vermitteln.
Entsprechend nannte Maarten van Driel vom Gelders Archief in
Arnheim als ausdrückliche Ziele des Arbeitskreises die
Förderung der Forschung sowie die Vermittlung der Ergebnisse an
eine breite Öffentlichkeit. Dabei solle die Grenze, die im
politisch-administrativen Bereich nur noch relative Bedeutung
habe, auch in der Forschung, in der sie immer noch deutlich
wahrnehmbar sei, überwunden bzw. abgebaut werden.
In diesem Zusammenhang werde Adelsgeschichte nicht allein als
Geschichte des Adels verstanden, sondern zugleich als Fenster
für die allgemeine Geschichte. An Aktivitäten seien
Mailinglisten, Newsletter, Webseiten, Foren, Tagungen und
Publikationen denkbar. Der Arbeitskreis, ein loser Verband von
Instituten, Archiven, Universitäten und Museen im Raum
Maastricht-Groningen-Osnabrück-Münster, erhoffe sich von den
Teilnehmern in dieser Hinsicht Anregungen in der
Schlussdiskussion.
Die erste Arbeitssitzung unter Leitung von Bernd Walter vom
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und Johan
Seekles vom Historisch Centrum Overijssel (Zwolle) hatte das
Ziel, den gegenwärtigen Stand der Forschung auf beiden Seiten
der Grenze zu bestimmen. Yme Kuiper von der Universität
Groningen beschrieb in seinem Referat über "Adelsgeschichte in
den Niederlanden: Forschungsstand in der akademischen Welt und
Skizze ihrer zukünftigen Herausforderungen" die Entwicklung in
den Niederlanden anhand der in den letzen dreißig Jahren
erschienenen Publikationen zum Thema. In den 80er Jahren des
letzten Jahrhunderts fand in der akademischen
Geschichtsschreibung in den Niederlanden eine Umorientierung
statt.
Diese war gekennzeichnet durch den Aufstieg der
Kulturgeschichte und der Elitengeschichte. Die Adelsgeschichte
wurde in diese Entwicklung miteinbezogen. Es blieb aber eine
lästige Hemmung: die Betonung des sogenannten bürgerlichen
Charakters der Niederländischen Kultur - mit den Worten des
größten Niederländischen Historikers, Johan Huizinga: "Ob wir
nun große oder kleine Sprünge machen, wir Niederländer sind
alle bürgerlich - vom Notar bis zum Dichter und vom Baron bis
zum Proletarier." In seinem "Herbst des Mittelalters" (1919)
hatte Huizinga sich eingehend mit den adeligen Lebensformen am
Hof der Burgunder beschäftigt. In "Holländische Kultur im 17.
Jahrhundert. Ihre sozialen Grundlagen und nationale Eigenart"
(1933) schrieb er vom "geringen Gewicht des Adels als Stand".
Die jüngere Historiographie der Niederländischen
Adelsgeschichte (1980 bis heute), lässt sich in drei Perioden
mit jeweils eigenen Forschungsakzenten aufteilen. In den 1980er
Jahren konnten die Dissertationen von Henk van Nierop, "Van
ridders tot regenten" (zum Holländischen Adel 1500-1650) und
Cees Schmidt, "Om de eer van de familie" (zu einem patrizischen,
im 19. Jahrhundert geadelten Geschlecht aus Holland) als
paradigmatische Studien gelten.
In beiden Arbeiten war der Einfluss ausländischer Vorbilder
spürbar (Lawrence Stone, "The Crisis of the Aristocracy",
1558-1641; Pierre Bourdieu, "La distinction"). Zentral stand
bei Van Nierop eine Widerlegung des postulierten Untergangs des
Adels im früh-modernen Holland, der mächtigsten und reichsten
Provinz der Republik der Vereinigten Niederlande. In Schmidts
Buch, das die Periode 1500-1950 umfasst, fungiert der "Mythos
der ansehnlichen Herkunft" als Leitmotiv.
In den 1990er Jahren wuchs das Interesse am Werdegang des Adels
in den neuen Prozessen der neuzeitlichen Eliten- und
Nationsbildung. Ein Beispiel: Yme Kuiper, "Adel in Friesland
1780-1880", inspiriert durch die Arbeiten von Lawrence Stone
über die Britische "landed" Elite, und von Heinz Reif zum
Westfälischen Adel. Kuiper betont die Entstehung einer
nationalen Notabelen-Elite im 19. Jahrhundert, vergleichbar mit
der Anwesenheit aristokratischer Eliten in anderen Europäischen
Staaten. Weiterhin erschienen viele Studien zur adeligen
Wohnkultur. Wichtig war in dieser Kategorie die Dissertation
Jan Carel Bierens de Haans zum adeligen Schloss Rosendael, mit
dem Akzent auf Gartenprojekten.
Im frühen 21. Jahrhundert scheint sich der Trend in Richtung
einer stärker kulturellen Betrachtung des Adels weiter
durchzusetzen. Ablesbar ist dies auch an der wachsenden
Beliebtheit der wissenschaftlichen Adelsbiographie sowie an der
Thematisierung der Auswertung von Ego-Dokumenten. Letztere
kennzeichnet die Erforschung der unterschiedlichen
Repräsentationen des Adels als Erinnerungsgruppe.
Mustergültig ist die Biographie von Bob de Graaff und Elsbeth
Locher-Scholten über J.P. Graaf van Limburg-Stirum,
Generalgouverneur von Niederländisch Indien um 1918 und
Diplomat in Berlin und London in der Zwischenkriegszeit.
Auch zeigt sich, dass man zunehmend die Möglichkeiten
komparativer Forschung ins Auge fasst. Dies gilt sowohl für die
Frühmoderne - in der Republik gestaltete sich die
Vormachtstellung des Adels in jeder Provinz unterschiedlich -,
als auch für die Moderne - wie ist der Adel zu platzieren in
einer demokratisierten, entadeligten Gesellschaft und Kultur?
Wichtige Herausforderungen für die künftige adelshistorische
Forschung in den Niederlanden sind:
mehr systematische Erforschung der Abschliessungstendenzen des
Adels in den Provinzen der Republik im 17. und besonders im 18.
Jahrhundert; mehr komparative Forschung zu den adeligen
Strategien des "Oben-Bleibens" und zu den spezifisch adeligen,
Exklusivität und Hegemonie darstellenden Lebensformen;
der ethnographische Blick nach innen: die Bildung des adeligen
Habitus und die Renaissance der Memoria-Kultur bei adeligen
Familien. Als Motto kann weiterhin gelten: "Die Geschichte des
Adels ist die Geschichte seiner immerwährenden Erfindung, der
permanenten Konstruktion von Adeligkeit, der stets neuen
Begründung von sozialer und kultureller Distanz. Aber es ist
nicht nur der Adel selbst, der sich immer wieder erfindet. Adel
wäre nicht möglich ohne den Glauben an die Existenz von Adel in
der ihn umgebenden Gesellschaft." (E. Conze in der Rezension
über die deutsche Ausgabe von M. de Saint Martin, "L’espace de
la noblesse").
Nach diesem Überblick von Kuiper über die niederländische
Forschungsgeschichte, berichtete Christian Hoffmann vom
Niedersächsischen Landesarchiv-Hauptstaatsarchiv Hannover in
seinem Referat "Ritterschaftlicher Adel in Niedersachsen und
Westfalen in der Frühen Neuzeit" inhaltlich über den
Forschungsstand in Nordwestdeutschland.
Der niedere Adel ist von der deutschen Geschichtsforschung des
19. Jahrhunderts überwiegend negativ beurteilt worden. Die
ältere Forschung beschrieb einen Dualismus zwischen den nach
Modernisierung strebenden Landesherrschaften und den an den
überkommenen Zuständen festhaltenden, vom Adel dominierten
Ständen. Die zahlreichen adeligen Partikularrechte mussten den
Vereinheitlichungstendenzen der Landesherren zwangsläufig im
Weg stehen. Zu einem Paradigmenwechsel kam es in der deutschen
Geschichtsforschung erst nach 1945. Nun wurde nicht nur das
bislang vorherrschende Modernisierungsparadigma fallen gelassen;
vielmehr wurde auch das Bild von der Verweigerungshaltung des
Adels aufgegeben und stattdessen nach dem Beitrag der Stände
zur Ausbildung frühmoderner Staatlichkeit gefragt.
Der Adel als Stand und als soziale Gruppe konstituierte sich
vor allem nach rechtlichen Merkmalen wie z.B. Steuerfreiheit,
Jagd- und Fischereirechten. Standesbewusstsein und
Herrschaftsanspruch des Adels fanden ihren Ausdruck in erster
Linie in der Anlage repräsentativer Schlösser. Grundlage der
adeligen Existenz war im deutschen Nordwesten - wie auch
anderswo - vorrangig die Landwirtschaft.
Der überwiegende Teil des Grundbesitzes war an Bauern
verpachtet, die dafür Abgaben in Form von Naturalien oder Hand-
und Spanndiensten zu leisten hatten. Im 18. Jahrhundert
überstieg der Kapitalbedarf vieler adeliger Familien die
Einnahmen aus grundherrlichen Besitz und staatlichen Ämtern
erheblich.
Universitätsstudium und Kavalierstour waren in der Frühen
Neuzeit feste Bestandteile der Ausbildung der adeligen Söhne,
die sich so für den Verwaltungsdienst und die Karriere am Hof
empfehlen konnten. Die Ausbildung der adeligen Töchter zielte
darauf, diese für die Ehe und die eigenständige
Haushaltsführung vorzubereiten. Durch günstige
Heiratsverbindungen konnten funktionstüchtige Netzwerke
aufgebaut werden. Als dauerhafte Versorgungsmöglichkeiten für
adelige Töchter dienten neben der Ehe auch die freiweltlichen
Damenstifte bzw. die Frauenklöster des Benediktiner- und des
Zisterzienserordens.
Die nordwestdeutschen Fürstenhöfe waren nicht geeignet, den
landsässigen Adel nach dem Vorbild des französischen
Königshofes zu "domestizieren". Dennoch hatte der Hof als Ort
der Kommunikation und der Möglichkeit der Netzwerkbildung große
Bedeutung für den landsässigen Adel.
Die Wandlungen im Militärwesen im Übergang vom Mittelalter zur
Neuzeit hatten nachhaltige Auswirkungen auf den Adel. In der
Frühen Neuzeit trat an die Stelle des mittelalterlichen
Lehensaufgebots zunächst die Söldnertruppe und schließlich das
stehende Heer. Zahlreiche Adlige passten sich der Entwicklung
rasch an und traten als Berufsoffiziere in den kaiserlichen
bzw. landesherrlichen Dienst.
Der niedere Adel in den Territorien zwischen Rhein und Elbe
wandte sich im Lauf des 16. Jahrhunderts mehrheitlich der
Reformation zu, wobei hier im Wesentlichen von einem
schleichenden Konfessionalisierungsprozess auszugehen ist. Mit
dem Einsetzen der Gegenreformation in den geistlichen
Territorien ab 1585 geriet der mehrheitlich protestantische
Adel dieser Territorien unter erheblichen Druck, konnte sich
jedoch gegen die Rekatholisierungsmaßnahmen der Landesherren
behaupten. Der Westfälische Frieden von 1648 sicherte dem
protestantischen Adel in den geistlichen Territorien die
Religionsfreiheit.
Die politische Einflußnahme des landsässigen Adels auf die
Geschicke des Landes erfolgte im deutschen Nordwesten über die
territorialen Landtage, die sich im Spätmittelalter
herausgebildet hatten. Vertreten auf den Landtagen waren in der
Regel die höhere Geistlichkeit, der landsässige Adel und die
Städte; bäuerliche Vertreter konnten nur in wenigen Territorien
eine Landstandschaft behaupten. Die neuere Forschung geht davon
aus, dass das Verhältnis zwischen Fürst und Ständen in der
Regel vom Konsens geprägt war.
Im 16. Jahrhundert erfuhren die Landtage auf landesherrliche
Initiative hin eine organisatorische Verfestigung. Aus den im
Rahmen dieser Verfestigung aufgestellten Matrikeln entwickelte
sich das landtagsfähige Gut als Zulassungskriterium zur
ritterschaftlichen Landtagskurie. Zunehmend gewann auch in
vielen Territorien wieder eine persönliche Qualität, nämlich
die adelige Abstammung, für die Zulassung an Bedeutung. Die
Auswirkungen des Jüngsten Reichsabschieds von 1654, der die
Stellung der Landesherren gegenüber ihren Ständen stärkte,
haben sich in Niedersachsen und Westfalen kaum
niedergeschlagen. Auch im Zeitalter des Absolutismus und
darüber hinaus wirkten die Landstände trotz unverkennbarer
Behinderungen weiterhin aktiv am territorialstaatlichen Leben
mit.
Neben den Landtag traten im Lauf der Zeit aus Gründen der
Effektivität mit den Ausschüssen und den Deputationen andere
ständische Organisationsformen, die nur in den welfischen
Territorien für einige Zeit die Landtage zu ersetzen
vermochten. Selbst in den brandenburg-preußischen Territorien
wurden weiterhin Landtage abgehalten. Die Entwicklung zur
regelmäßigen Tagung in den Residenzstädten hatte zur Folge,
dass der Adel sich hier Stadtpalais errichtete, um während der
Landtagsteilnahme über ein angemessenes Quartier zu verfügen.
Die nordwestdeutschen Domkapitel hatten sich fast ausnahmslos
im Spätmittelalter zu ausschließlich adeligen Korporationen
entwickelt. Die Pfründenkumulation zwischen den Domkapiteln
nahm im Lauf der Frühen Neuzeit stark zu. Bedingt durch den
Übergang eines großen Teils des nordwestdeutschen Adels zum
lutherischen Glauben rekrutierten die Kapitel ihren Nachwuchs
zunehmend aus den Familien der Ritterschaft des Herzogtums
Westfalen. Ein besonders wichtiger Aspekt der Option auf die
Pfründen der Reichskirche bestand darin, dass für einen
Domherrn die Möglichkeit bestand, zum Bischof gewählt zu werden
und damit in den Reichsfürstenstand aufzusteigen.
Die Ritterschaften im nordwestdeutschen Raum waren im späten
Mittelalter aus den landesherrlichen Ministerialitäten
hervorgegangen. Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
erfolgte eine Abgrenzung der ritterschaftlichen Familien
gegenüber den Familien der städtischen Führungsschichten, mit
denen man zuvor noch ganz zwanglos Eheverbindungen geknüpft
hatte. Während der westfälische Adel sich nahezu durch die
ganze Frühe Neuzeit hindurch dagegen wehrte,
Patriziergeschlechter oder Nobilitierte als ebenbürtig
anzuerkennen, fand sich eine strenge Scheidung zwischen dem
ritterschaftlichen Adel und Nobilitierten beim Adel rechts der
Weser nicht.
In der zweiten Hälfte entwickelten vor allem die Ritterschaften
der geistlichen Fürstentümer, aber auch mancher weltlicher
Territorien die 16-Ahnen-Probe als Zulassungsvoraussetzung.
Andere Ritterschaften kannten die Ahnenprobe als
Zugehörigkeitskriterium nicht und ließen bürgerliche Besitzer
landtagsfähiger Güter zu den Ständeversammlungen zu.
Während soziale Forderungen der Aufklärung vielfach auf breite
Zustimmung des Adels stießen, scheiterten politische
Forderungen vielfach an der adeligen konservativen
Grundhaltung. Diejenigen Adligen, die Forderungen etwa nach
Beteiligung der bäuerlichen Bevölkerung an den
Ständeversammlungen vertraten, isolierten sich damit in der
Regel innerhalb ihres Standes.
Bei allen Parallelen, die die Entwicklung des landsässigen
Adels zwischen Rhein und Elbe in der Frühen Neuzeit aufwies,
ist ein grundlegender Unterschied in den Anforderungen an die
persönliche Adelsqualität festzustellen. Während der Adel in
den geistlichen Territorien links der Weser zur Wahrung der
Stiftsmäßigkeit seiner Familien die 16-Ahnen-Probe als
Zugehörigkeitskriterium hervorbrachte, kannte der Adel im
Kurfürstentum Hannover solche Abgrenzungskriterien nicht. In
den welfischen Territorien stand die Zugehörigkeit bürgerlicher
Besitzer landtagsfähiger Rittergüter zu den Ritterschaften
außer Frage. Ebenso wenig schloss der alte Adel hier seine
Heiratskreise gegenüber Nobilitierten ab.
In der anschließenden Diskussion ging es um die Examen adeliger
Studenten. Hoffmann berichtete, dass in Hannover die
Laufbahnprüfung gefordert worden sei, und dass es in der
Verwaltung von Stade einige Adlige mit Doktortitel gegeben
habe. Wer eine schlechte Prüfung abgelegt habe, sei nur auf
lokalen Stellen eingesetzt worden. Quantitative Angaben ließen
sich aber nicht machen.
In einem dritten Beitrag stellte Bastian Gillner unter dem
Titel "Nachbarn, Verwandte, Verbündete. Der münstersche Adel
und die Niederlande im konfessionellen Zeitalter (1550-1650)"
Ergebnisse seiner Dissertation vor. Die spätmittelalterlichen
Verbindungen zwischen westfälischem und niederländischem Adel
waren eng geknüpft. Vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen
spannten sich über Münsterland und Emsland, Overijssel und
Geldern. Besitz und Heiratsverbindungen überschritten regionale
oder territoriale Grenzen genauso wie die Ämtertätigkeit in
Diensten der unterschiedlichen Landesherren. Nicht wenige
Adlige gehörten in mehreren Territorien der jeweiligen
Ritterschaft an.
Dieses Miteinander wurde durch Entstehung und Verschärfung des
konfessionellen Gegensatzes vor eine große Herausforderung
gestellt. Zwar wurde ein protestantisches Bekenntnis für den
niederländischen wie für den westfälischen Adel das geeignete
Mittel zur Verteidigung seiner traditionellen Freiheiten gegen
die konfessionellen und politischen Herrschaftsansprüche der
katholischen Landesherren, doch die unterschiedliche
Entwicklung führte in den Niederlanden zu einer gewaltsamen
Loslösung von den Habsburgern, in Westfalen aber zu einer
langfristigen Etablierung der Wittelsbacher auf dem
Bischofsstuhl. Doch konnten die wittelsbachischen Fürstbischöfe
im Stift Münster lange Zeit keine effektive Politik betreiben,
weil der dortige Adel in den niederländischen Standesgenossen
starke Unterstützer seiner Interessen fand.
Mehrfach veranlasste der münsterische Adel niederländische
Interventionen gegen die katholische Religionspolitik der
Fürstbischöfe Ernst (1554-1612) und Ferdinand von Bayern
(1577-1650). Ansprechpartner fanden sich viele, vom Haus
Oranien über die Generalstaaten bis hin zu den
Provinzialstaaten von Overijssel. Landespolitische
Entscheidungen wie etwa die Einsetzung eines Koadjutors in
Münster oder der Beitritt des Stifts zur katholischen Liga
wurden durch diese Interventionen ebenso behindert wie manches
Vorgehen gegen die calvinistische Glaubenspraxis in vielen
adeligen Herrschaften.
Überhaupt standen viele der calvinistischen Kleriker, die die
konfessionelle Entwicklung der adeligen Herrschaften bestimmten,
in enger Beziehung zu den kirchlichen Strukturen der
Niederlande. Das katholische Lager in Münster lebte bis zum
Dreißigjährigen Krieg - auch bedingt durch die Plünderungs- und
Versorgungszüge der Truppen des niederländischen
Kriegsschauplatzes nach Westfalen - in dauernder Furcht vor
einer niederländischen Invasion zu Gunsten des münsterischen
Adels.
Die enge Bindung beider Seiten schwächte sich erst mit der
langsamen konfessionellen Umorientierung des münsterischen
Adels ab. Die zunehmende Verdrängung protestantischer Adliger
aus den Regierungs- und Verwaltungsstrukturen des Stifts
Münster gefährdete Ansehen, Einfluss und Einkünfte der
betroffenen Familien.
Im 17. Jahrhundert gab die Mehrheit des Adels deshalb ihre
konfessionelle und politische Opposition auf und suchte den
Ausgleich mit der bischöflichen Landesherrschaft. Die Preisgabe
der engen Bindungen an die Niederlande war Teil dieser
Annäherung. Als in der zweiten Jahrhunderthälfte Bischof
Christoph Bernhard von Galen seine Feldzüge gegen die
Niederlande führte, brauchte er sich um die politische und
konfessionelle Loyalität seines Adels keine Gedanken mehr zu
machen.
Auf die Frage nach der Auswirkung der Konfessionalisierung auf
Konnubien antwortete Gillner, dass grenzüberschreitende Ehen
vom Spätmittelalter bis ins 16. Jahrhundert häufig gewesen
seien, ihre Zahl im konfessionellen Zeitalter jedoch
zurückgegangen sei. Manfred Wolf, ehemals Staatsarchiv Münster,
wies auf die Rolle von niederländischen Flüchtlingen hin, die
den westmünsterländischen Adel zur Annahme des reformierten
Bekenntnisses veranlasst hätten; am Ende seien aber nur die
Familien Diepenbroick-Buldern und Morrien-Valkenhof evangelisch
geblieben.
Nach der Mittagspause wurde die zweite Arbeitssitzung, die von
Birigt Kehne vom Landesarchiv Niedersachsen-Staatsarchiv
Osnabrück und von Adrie M. Roding vom Gemeentearchief Enschede
geleitet wurde, den Perspektiven der Forschung gewidmet. Im
ersten Referat stellte Maarten van Driel vom Gelders Archief in
Arnheim "Quellen zur Adelsgeschichte im Gelders Archief zu
Arnheim" vor.
Aus archivischer Sicht sei die Frage nach Quellen zur
Adelsgeschichte erfreulich, aber vage, stellte er fest.
Adelsgeschichte habe als unterscheidendes Merkmal nur die
prominente Rolle adeliger Familien oder Personen:
ereignisgeschichtliche, politische, institutionelle,
wirtschaftliche Annäherungen an die Vergangenheit seien ebenso
erlaubt wie kulturelle, soziale oder anthropologische.
Der Adel hat in dem vom Arbeitskreis in den Blick genommenen
Raum allerdings eine so große Rolle gespielt und so viele und
verschiedenartige Spuren in Archiven, Museen, Bauten und
Landschaft hinterlassen, dass seine Geschichte und die Quellen
dazu Eintritt in die Vergangenheit der ganzen Gesellschaft
bieten - eine Vergangenheit, die gerade durch die Vielfalt der
Quellen einem breiten Publikum attraktiv und erlebbar
vorgestellt werden kann.
Zu den archivalischen Quellen zählen zuerst die vom Adel selbst
hinterlassenen. Die Adelsarchive findet man in niederländischen
Repositorien normalerweise in der Sparte Huis- en
familiearchieven: im Gelders Archief gehören dazu etwa 250
Bestände (mehr als 1000 lfm, vom 13. bis zum späten 20.
Jahrhundert). Eine Bestandsübersicht findet sich im Internet
unter www.geldersarchief.nl > archief > zoeken in bronnen >
archieven > systematisch. Der Fonds wurde ab etwa 1900 vom
damaligen Rijksarchief in Gelderland aus Händen der
Privatbesitzer zusammengetragen. Die Archive sind Deposita oder
Schenkungen. Somit ist die Aufbewahrungslage in den
Niederlanden ganz anders als in Westfalen und im Rheinland, wo
die meisten Adelsarchive noch in Privatbesitz und vor Ort sind.
Die Bestände spiegeln das Alltagsleben (in Korrespondenzen,
Tagebüchern, Haushaltsrechnungen), die sozialen Netzwerke,
Funktionen im öffentlichen Leben, in Politik und Verwaltung,
sowie das materielle Fundament des adeligen Lebens (Guts-und
sonstige Vermögensverwaltung). Sie zeigen die weiträumige
Verschwägerung des Adels auf:
Der Güterbesitz z. B. ist gestreut von Holland bis Westfalen,
von der Eifel bis zur Nordseeküste. Die soziale Differenzierung
lässt sich vom einfachen Landadel bis zum überregionalen,
europäischen Hochadel (Bentinck, Limburg-Stirum, Westerholt,
Spaen, Byland, Paland) verfolgen. Dass auch Archive von
ursprünglich nicht-adeligen Geschlechtern dazu gehören, bezeugt
die ständige personelle Erneuerung des Adels (z. B. die
Arnheimer Regentenfamilie Brantsen, 1824 nobilitiert).
Auch viele Behördenarchive dokumentieren die Rolle des Adels:
Im Hertogelijk Archief die Beziehungen zum geldrischen
Landesherrn, der ursprüglich auch nur ein Adliger gewesen war,
als Lehnsleute, Räte, Amtsträger bei Hofe oder in der
Lokalverwaltung, als Finanziers, Gegner oder Rivalen. Die
Entwicklung der Position des Adels lässt sich in den Archiven
der späteren Provinzialbehörden verfolgen: bis 1795 das Hof van
Gelre en Zutphen, die Gelderse Rekenkamer, die
Ständeversammlungen und Ritterschaften der drei geldrischen
Quartiere; nachher die Bataafs-Franse archieven (1795-1813),
und letztlich die Provinzialverwaltung im zentralisierten
Königreich der Niederlande. Gleichfalls wichtig ist das Archiv
der Stadt Arnheim als politischem Vorort des Veluwer Quartiers
seit dem 14. und geldrischem Regierungssitz seit dem 16.
Jahrhundert, als Wohnsitz des Adels und aufgrund seiner
Beteiligung (wie in anderen Städten) an der Stadtverwaltung.
Zu nennen sind auch die Archive lokaler Gerichte, Marken,
Kirchengemeinden und Sozialeinrichtungen; auch hier spielte der
Adel seine Rolle als Großgrundbesitzer, Gerichtsherr,
paternalistischer Gutsherr oder bonne dame patronesse. Oft sind
die Unterlagen solcher Einrichtungen (halb-)öffentlicher Natur
in die Privatarchive der adeligen Amtsträger gelangt.
Viele illustrative Materialien findet man als Sammlungsgut,
auch wenn es formal Archiven angehört: Karten, Stiche,
Zeichnungen (überwiegend von Gebäuden und Landschaften), Fotos,
Siegel. Solches Bildmaterial wird zunehmend auch direkt über
das Internet bereitgestellt. Dieser knappe Überblick der im
Gelders Archief aufbewahrten Quellen zur Adelsgeschichte kann
als repräsentativ angesehen werden für das, was sich auch in
anderen Archiven finden lässt. Jedoch erhalten archivalische
Quellen ihre volle Aussagekraft nur in Kombination mit Quellen
anderer, nicht-archivalischer Natur.
Auf die Frage nach der Pflege und Fortführung der Adelsarchive
in den Niederlanden antwortete van Driel, dass das Rijksarchief
sich anfänglich um Übernahme der Bestände nach 1800 wenig
gekümmert habe, in den lezten Dezennien aber vieles nachgeholt
worden sei. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Rolle des
Adels im 20. Jahrhundert sowie die Privatumstände der
Adelsfamilien hätten aber auch Entstehung und Wert der jüngsten
Bestände beeinflusst.
Im Anschluss stellte Heike Düselder von der Universität
Osnabrück das Forschungsprojekt "Adel und Umwelt in der Frühen
Neuzeit. Neue Forschungsperspektiven zur Adelsgeschichte" vor.
Der Adel auf dem platten Land hatte in der Frühen Neuzeit
großen Einfluss auf die Gestaltung von Natur und Landschaft.
Er besaß das Land und herrschte über die Menschen, die darauf
wohnten und es bewirtschafteten. Das Adelshaus bildete den
optischen Mittelpunkt der Landschaft; von hier aus wurde die
Umgebung gestaltet, zum Beispiel durch Alleen und
Bewässerungssysteme, aber auch durch die Umwandlung von
Brachland in Kulturland oder die Landgewinnung in den
Küstenregionen.
Die Gartenanlagen der Adelshäuser bildeten die Kulisse für das
Streben nach Repräsentation und Distinktion. Am Ende des 18.
Jahrhunderts und im Zusammenhang mit der Aufklärung wurden die
Adelsgärten multifunktional und dienten nicht mehr nur der
Repräsentation, sondern auch dem allgemeinen Nutzen.
Die Obst- und Gemüsegärten der Adelsgüter wurden zum Vorbild
der bäuerlichen Gartenkultur. Dadurch hatte der Adel auf dem
Land eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen der
Obrigkeit und den Bauern, denn er konnte ihnen neue
Erkenntnisse aus der Landwirtschaft und neue Anbaumethoden
demonstrieren. Die Verbindung von Adelsgeschichte,
Umweltgeschichte und Agrargeschichte bietet somit neue
(Forschungs-)Perspektiven.
In der anschließenden Diskussion wurde von Werner Frese,
ehemals LWL-Archivamt für Westfalen, darauf hingewiesen, dass
der Niederadel auch verbauert gewesen sei und z. B. Tabak auf
der Hovesaat angebaut habe. Manfred Wolf, ehemals Staatsarchiv
Münster, berichtete, dass Pomerien schon im 14. Jahrhundert
verlehnt worden seien. Heike Düselder betonte dagegen den
anderen Charakter dieser Obstgärten, die im 18. Jahrhundert in
Mode gewesen seien und der Deckung des Bedarfs gedient hätten.
Auf die Frage nach landesherrlichen Vorbildern in der
Landwirtschaft verwies Düselder auf Aufforstungen am Ende des
18. und im 19. Jahrhunderts.
Schließlich stellte Christiane Coester vom Deutschen
Historischen Institut Paris das Projekt "Rheinischer Adel in
Paris. Ein Werkstattbericht des Forschungsprojektes 'Aufbruch
in die Moderne. Der rheinische Adel in westeuropäsicher
Perspektive'" vor. Dieses Forschungsprojekt ist eine
Kooperation zwischen dem Landschaftsverband Rheinland, den
Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e.V. und dem Deutschen
Historischen Institut Paris.
Ein Standort des Projekts befindet sich in Brauweiler, wo das
Archivgut der Vereinigten Adelsarchive gepflegt wird, der
andere befindet sich in Paris am Deutschen Historischen
Institut. Die Forschergruppe übernimmt somit eine
Mittlerfunktion zwischen der deutschen und der französischen
Adelsforschung einerseits und zwischen universitärer Forschung,
regionaler Forschung und den rheinischen Geschichtsvereinen
andererseits.
Entsprechend der sehr vielfältigen Überlieferung in
französischen und rheinischen Adelsarchiven sind auch die von
den Mitgliedern der Forschergruppe bearbeiteten Themen weit
gefächert. Behandelt werden z.B. adelige Revolutionserfahrungen,
die Karrierewege des rheinischen Adels, der Stellenwert der
Stadt Paris als kultureller Orientierungspunkt, das Verhalten
des Adels gegenüber der französischen Herrschaft sowie
wirtschaftsgeschichtliche Fragen. Letztendlich geht es dem
Projekt darum, den regionalen Adel des Rheinlandes in die
internationale Situation seiner Zeit einzubinden und ihn aus
einem westeuropäischen Blickwinkel zu betrachten.
Nach Fragen zur räumlichen und inhaltlichen Abgrenzung und
methodischen Ausrichtung des Projektes, erläuterten die
Referentin und Hans-Werner Langbrandtner von der
LVR-Archivberatung, dass das Projekt ohne methodische Klammer
zunächst auf die rheinischen Adelsfamilien und ihre Archive
beschränkt sei, eine spätere räumliche Ausweitung aber
grundsätzlich möglich sei.
In der Abschlussdiskussion, die von Maarten van Driel und Bernd
Walter moderiert wurde, wurden folgende Punkte als erstes Fazit
gezogen: Es ist gezeigt geworden, wie sich die Adelsforschung
in der Niederlanden und der Bundesrepublik abhängig von
politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und
Wissenschaftsparadigmen entwicklet hat.
Beim Blick über die Territorial- und Landesgrenzen ist der
Erkenntnisgewinn durch den Vergleich für die Adelsgeschichte
deutlich geworden, insbesondere zur Analyse der inneren und
regionalen Heterogenität.
Die Fruchtbarkeit der grenzüberschreitenden Betrachtung hat
sich nicht nur bei der Analyse der Familienbezüge und
Besitzverhältnisse gezeigt. Im konfessionellen Zeitalter hatten
z.B. grenzüberschreitende Kontakte und Netzwerke unmittelbaren
Einfluss auf regionale Auseinandersetzungen zwischen Adel und
Landesherrschaft.
Der Aspekt der Umweltgeschichte eröffnet auch neue Perspektiven
für die Adelsgeschichte. Es ist ein wichtiges Anliegen der
Forschung, dass die Quellenbestände auf beiden Seiten der
Grenze zugänglich gemacht und vernetzt werden. Als weitere
Anregungen für die Forschung wurden Verbindungen
protestantischer deutscher Gebiete zu den Niederlanden, Adlige
als Unternehmer und die Reagrarisierung (Schulze), die
politische Beteiligung des Adels und die Frage doppelter
Loyalitäten (Kaizer) und die Erforschung von internationalen
Netzwerken des Adels (van Til) genannt. Wolfgang Bockhorst vom
LWL-Archivamt für Westfalen und Maarten van Driel kündigten an,
die Vernetzung der Adelsarchive weiter vorantreiben zu wollen.
INFO
Kontakt:
Dr. Gunnar Teske
LWL-Archivamt für Westfalen, Münster
E-Mail: Gunnar.Teske at lwl.org
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