[WestG] [AKT] Forscher untersuchen feierliche Rituale und alltaegliche Umgangsformen
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Do Sep 20 10:43:53 CEST 2007
Von: "Pressestelle der Uni Münster" <pressestelle at uni-muenster.de>
Datum: 19.09.2007, 16:24
AKTUELL
Auf dem Weg zur Macht
Forscher untersuchen feierliche Rituale und alltägliche
Umgangsformen
Ob Bischofsweihe oder Kaiserkrönung - symbolische Akte begleiten
den Weg zur Macht. Den Einfluss symbolischer Kommunikation auf
die Gesellschaft untersuchen an der Universität Münster die
Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs (SFB) 496
"Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme
vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution". Das Augenmerk
der insgesamt 16 Teilprojekte, die von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft gefördert werden, richtet sich dabei auf
das vormoderne Europa. 2008 wird eine Ausstellung in Magdeburg
Einblicke in die Arbeit des münsterschen SFB geben.
Die Geltungskraft von Machtstrukturen, Werten und Normen einer
Gesellschaft beruht darauf, dass die Symbole, durch die sie
repräsentiert werden, gesellschaftlich akzeptiert werden, so die
Annahme der Forscher. Symbolische Kommunikation umfasst nicht
nur feierliche Rituale wie Kaiserkrönungen und Bischofsweihen,
sondern auch alltägliche Umgangsformen. Dies spiegelt sich nicht
zuletzt in Werken der Kunst und Literatur wider, die von den
Wissenschaftlern analysiert werden. Wie haben sich die Formen
und Wirkungsweisen symbolischer Kommunikation vom frühen
Mittelalter bis zum Anbruch der Moderne verändert, und wie haben
die Zeitgenossen dies reflektiert? Die SFB-Forscher wollen durch
ihre Arbeit nicht nur zum Verständnis historischer
Gesellschaften beitragen, sondern auch das Bewusstsein für die
symbolische Kommunikation der Gegenwart schärfen.
"Im Theater kommen die Wertevorstellungen einer Zeit zur
Sprache", beschreibt Prof. Dr. Heinz Meyer einen Ort, an dem
Symbolik eine wichtige Rolle spielt. Gemeinsam mit Prof. Dr.
Christel Meier-Staubach leitet er ein Teilprojekt, das sich mit
der symbolischen Kommunikation im europäischen Theater des
Spätmittelalters und der frühen Neuzeit beschäftigt. Die
Forscher analysieren die Wertevorstellungen, die in Form
symbolischer Darstellung auf die Bühne gebracht wurden,
beispielsweise durch die Metaphern der Texte, die
Bühnenausstattung oder die Spielfiguren selbst. "Im Theater
stand die Moral im Vordergrund; ideale oder verwerfliche
menschliche Eigenschaften wurden den gesellschaftlichen Normen
entsprechend dargestellt", so Prof. Meyer. Auch Kontroversen
spiegelten sich wider, etwa in protestantischen Aufführungen,
die gegen das Papsttum polemisierten.
Symbolische Kommunikation findet nicht nur auf der Bühne statt,
sondern auch in der Kirche. Im Gottesdienst spielt sie eine
zentrale Rolle. Die Mess-Liturgie im Mittelalter ist daher
Forschungsgegenstand eines kirchengeschichtlichen Teilprojekts.
"Wir konzentrieren uns auf das Opfer der Messe", beschreibt
Projektleiter Prof. Dr. Arnold Angenendt. In Darstellung und
Praxis der mittelalterlichen Messliturgie gewinnen die Sachopfer
Bedeutung in einer Dimension, die für uns heute kaum vorstellbar
ist. "Die Bezeichnung Messe für große Verkaufsausstellungen
rührt von den mittelalterlichen Gepflogenheiten her, nach denen
die geopferten Gaben anschließend auf dem Markt für wohltätige
Zwecke verkauft wurden", so Prof. Angenendt.
Einen eigenen "Mikrokosmos", in dem die Konflikte zwischen
Bevölkerung und Kirche auf engem Raum ausgetragen und
kommuniziert wurden, bildeten die ländlichen Kirchhöfe
Westfalens, die einerseits heilige Stätte waren, andererseits
Ort des profanen Lebens: Im 17. und 18. Jahrhundert waren die
Kirchhöfe nicht nur letzte Ruhestätte für die Toten, sondern sie
dienten auch den Armen des Dorfes als Wohnraum, waren Marktplatz
und Viehstall. "Im Zuge der Gegenreformation nach der
Glaubensspaltung haben sich das religiöse und das profane Leben
auf den Kirchhöfen verändert", beschreibt Prof. Dr. Werner
Freitag, dessen Arbeitsgruppe exemplarisch die symbolische
Kommunikation innerhalb der Kirchhöfe im Oberstift Münster des
Spätmittelalters und der frühen Neuzeit untersucht. Bei Ritualen
wie Beerdigungen oder Andachten bestand die katholische Kirche
auf einer strengeren Einhaltung der liturgischen Vorgaben aus
Rom. "Die Bedürfnisse der Lebenden störten die Totenruhe und
kollidierten mit den Interessen der Kirche - ein riesiges
Konfliktpotential, das 200 Jahre lang das Leben innerhalb der
Kirchhöfe beeinflusste", so Prof. Freitag.
Sind Rituale überflüssige Spektakel? Der SFB 496 und das
Kulturhistorische Museum Magdeburg präsentieren ab September
2008 eine gemeinsame Ausstellung ("Spektakel der Macht - Rituale
im alten Europa 800-1800"), die die Bedeutung von Ritualen unter
historischen Gesichtspunkten beleuchtet. Ausstellungsbesucher
werden im Vergleich mit den Epochen des Mittelalters und der
frühen Neuzeit erfahren, was Rituale sind und was sie bewirken.
Sie erhalten einen Einblick in die vielfältige Forschung der
münsterschen Wissenschaftler und lernen dabei auch "verkehrte
Rituale" kennen - Parodierungen, die Machtansprüche hinterfragen
oder umgekehrt ablaufende Rituale. Ein Beispiel: Während
Bischöfe und Päpste bei Amtsantritt feierlich angekleidet wurden,
besiegelte ihre Entkleidung die Absetzung.
Zur wissenschaftlichen Vorbereitung der Ausstellung trägt eine
vom SFB 496 ausgerichtete Tagung ("Die Bildlichkeit symbolischer
Akte") bei, die vom 10. bis zum 12. August in Münster
stattfindet.
INFO
Link: Spektakel der Macht
URL: http://www.spektakeldermacht.de/