[WestG] [AKT] 27. Januar: Kaisergeburtstag. Feier hatte als Machtdemonstration politischen Hintergrund

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Fr Jan 26 11:33:04 CET 2007


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 25.01.2007, 11:59


AKTUELL

"Der Kaiser ist ein lieber Mann..." - 
27. Januar: Kaisergeburtstag
Feier hatte als Machtdemonstration politischen Hintergrund

Der Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. am 27.Januar war für 
die meisten seiner Untertanen ganz selbstverständlich der 
höchste Feiertag im Jahr, der mit großem Aufwand begangen 
wurde und folglich auch in Form von vielen Augenzeugen-
berichten festgehalten wurde, von denen sich einige im 
volkskundlichen Archiv des Landschaftsverbandes 
Westfalen-Lippe (LWL) finden.

Die Idee, den Geburtstag eines Oberhauptes zu zelebrieren, war 
nicht neu. In Teilen Deutschlands war diese Tradition schon vor 
Gründung des Kaiserreiches 1871 etabliert, indem in den 
deutschen Einzelstaaten die Geburtstage der herrschenden Fürsten 
gefeiert wurden. "Die Kaisergeburtstage unter Wilhelm I. und 
später besonders auch unter Wilhelm II. waren mit diesen 
Festlichkeiten in keinster Weise zu vergleichen, da sie auf 
nationaler Ebene stattfanden und somit ganz andere Dimensionen 
und Möglichkeiten der Selbstinszenierung mit sich brachten", 
betont Laura Bröker, die sich im Rahmen ihres Praktikums bei der 
Volkskundlichen Kommission für Westfalen näher mit den 
Kaisergeburtstagsfeiern auseinandergesetzt hat.

Die Feiern lenkten die Aufmerksamkeit der benachbarten Staaten 
auf das Kaiserreich und stellten gleichzeitig dessen Einheit und 
Geschlossenheit zur Schau. Das versuchten die Organisatoren 
beispielsweise mit penibel genau geplanten Parademärschen oder 
großzügig ausstaffierten Musikzügen mit Fackeln zu erreichen. 
Meist befand sich die gesamte Bevölkerung auf den Beinen, um den 
besonderen Ehrentag zu begehen und somit die nationale Gesinnung 
zu demonstrieren. Es wurden Festreden gehalten, Hymnen und 
Lobpreisungen angestimmt und Geschichtsvorträge gehalten, die 
von des Kaisers vorbildlichem Leben und seinen Heldentaten 
berichteten und ihren Teil dazu beitrugen, die Person des 
Kaisers weiter zu verherrlichen. Nachdem für das Wohl des 
Kaisers gebetet worden war, machte man sich meist auf den Weg in 
ein Kaffee- oder Wirtshaus, um dort mit Familie, Freunden und 
Bekannten weiterzufeiern.

Wie in den Schulen von Ladbergen (Kreis Steinfurt), Gütersloh 
oder Lünen (Kreis Unna), von wo im LWL-Archiv für westfälische 
Volkskunde interessante Berichte vorliegen, so war auch in 
anderen deutschen Schulen der Kaisergeburtstag ein ganz 
besonderer Tag, der für die Kinder eine willkommene Abwechslung 
mit sich brachte. So wurden schon Tage vorher die Klassen mit 
Tannengrün, Efeu und Stechpalmen geschmückt und die Bilder der 
kaiserlichen Familie, die ohnehin in jedem Klassenraum zu finden 
waren, mit Moos umkränzt. Diese Ehrenkränze durfte nicht jeder 
herstellen: In manchen Schulen wurden eigens die besten Schüler 
ausgesucht, um diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. Die Feiern 
in der Aula fanden am Kaisergeburtstag selbst statt. Sie waren 
gesetzlich vorgeschrieben und beinhalteten sowohl Ansprachen und 
Lobreden der Lehrpersonen als auch das Singen von Liedern, die 
zumeist religiösen, militärischen oder kaiserverherrlichenden 
Inhalts waren: "Der Kaiser ist ein lieber Mann, er wohnet in 
Berlin, und wär das nicht so weit von hier, so ging ich heut’ 
noch hin. Und was ich bei dem Kaiser wollt’? Ich reicht’ ihm 
meine Hand und gäb die schönsten Blumen ihm, die ich im Garten 
fand."

Solche Lieder mussten die Kindern, genau wie detaillierte 
Angaben zum Werdegang des Kaisers und seiner Familie, von 
kleinauf lernen, um sie jedes Jahr am 27. Januar gemeinsam zum 
Besten zu geben, bevor die Schüler nach dieser Prozedur 
schulfrei bekamen.

"Die schulische Ausbildung, die ohnehin einer Erziehung zum 
Untertanengeist und Patriotismus diente und dazu benutzt wurde, 
das sozialistische Gedankengut, eine zunehmende Bedrohung für 
das monarchische Kaiserreich, von vornherein aus den Köpfen des 
Nachwuchses zu verbannen, fand im Kaisergeburtstag ihren 
Höhepunkt. Durch das Schmücken der Kaiserbilder, das Singen von 
nationalen Liedern, sowie das Vortragen von kaiserlichen 
Heldengeschichten wurde für die Kinder eine künstliche Nähe zum 
kaiserlichen Hof erschaffen, die so niemals existierte", erklärt 
Bröker.

Hinter dem Kaisergeburtstag stecke viel mehr, als man auf den 
ersten Blick vermute. Der 27. Januar sei nicht nur ein 
gewöhnlicher Feiertag, sondern ein perfekt inszeniertes und 
einstudiertes Großereignis gewesen, dass sowohl darauf abzielte, 
die nationale Gesinnung zu verschärfen und die Persönlichkeit 
des Kaisers zu glorifizieren, als auch anderen Staaten zu 
imponieren und diese dadurch einzuschüchtern, resümiert 
Bröker.