[WestG] [AKT] Westfaelisches Industriemuseum: Leiter Helmut Boennighausen im Ruhestand

Dr. Marcus Weidner mw at jmr-weidner.de
Son Mar 6 12:38:49 CET 2005


Von: "Christiane Spänhoff" <christiane.spaenhoff at lwl.org>
Datum: 04.03.2005, 12:08


AKTUELL

Abschied vom "Vater" des Westfälischen Industriemuseums
Langjähriger Leiter Helmut Bönnighausen geht in den Ruhestand

Dortmund (lwl). Der langjährige Leiter des Westfälischen 
Industriemuseums, Helmut Bönnighausen, hat sich am Freitag (4.3.) in 
Dortmund in den Ruhestand verabschiedet. Der 62-jährige sei "Vater und 
Motor des Museums", sagte Wolfgang Schäfer, Direktor des 
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der das 1979 gegründete 
Industriemuseum trägt. Bönnighausen habe den Schutz der damals 
ungeliebten Industrieanlagen zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. 
Heute sei das dezentrale Industriemuseum mit insgesamt 90 Millionen Euro 
Investitionen an acht Standorten das größte Landesmuseum des LWL.

Oft kam die Rettung dieser Anlagen in letzter Minute. "Manchmal hatten 
die Abbrucharbeiten bereits begonnen", erzählt Helmut Bönnighausen. Er 
kann einige Geschichten erzählen aus seinem Arbeitsleben. 1973 stellte 
der LWL den Architekten beim LWL-Amt für Denkmalpflege in Münster ein. 
Dort übernahm er das neu geschaffene Referat für Technische 
Kulturdenkmale - ein Novum in der Geschichte der Denkmalpflege.

Sein Lebenswerk aber ist der Aufbau des Westfälischen Industriemuseums, 
den Bönnighausen seit der Gründung 1979 betreibt, seit 1982 als Leiter. 
Mit Phantasie und Streitlust, so Schäfer, habe Bönnighausen das 
dezentrale Museum zu dem gemacht, was es heute ist: ein lebendiger Ort 
der technik- und industriegeschichtlichen Bildung, aber auch der 
kreativen Freizeitgestaltung.

Die Musterzeche Zollern II/IV in Dortmund mit ihrer prächtigen 
Maschinenhalle aus Stahl und Glas dient dem Landesmuseum für 
Industriekultur mit seinen acht Standorten nicht nur als Zentrale, 
sondern gilt auch als Keimzelle der Industriedenkmalpflege 
deutschlandweit. Eine Gruppe von Architekten und Künstlern bewahrte die 
Jugendstil-Schönheit Ende der 1960er Jahren vor dem Abrissbagger. 
Zollern darf damit den Rang des ersten Industriedenkmals von 
europäischer Bedeutung beanspruchen. Ein neues Bewusstsein für das 
industrielle Erbe sollte sich aber erst sehr langsam durchsetzen. "Noch 
niemand dachte damals ernsthaft daran, ein Fördergerüst, eine Ziegelei 
oder einen Hochofen zu erhalten", erzählt Bönnighausen.

So galt es in den Pionierjahren vor allem, Überzeugungsarbeit zu 
leisten. Mehr als einmal wurde der beharrliche Denkmalpfleger aus 
Münster bei seinen Reisen durchs Land des "Irrsinns" bezichtigt. Etwa, 
als er 1986 auf der Abbruch-Baustelle der Zeche Wilhelmine-Vicotria in 
Gelsenkirchen Schachthalle und  Fördergerüst - baugleich mit den 1969 
abgerissenen Tagesanlagen über Zollerns Schacht II - für eine 
Translozierung nach Dortmund ins Visier nahm. Den ganzen Sommer über 
bereitete ein Trupp von sieben Männern den Transport vor. Allein 2.800 
Nieten mussten gelöst werden, um Halle und Gerüst zu zerlegen und in 
größeren Teilstücken nach Dortmund zu bringen.

Oder als der Museumschef 1989 mitten in einem Uferwald an der Schelde in 
Belgien eine Werkstatt einrichten ließ, um den Frachtdampfer Phenol 
wieder schwimmfähig für den Transport ins Ruhrgebiet zu machen. Das 
Tankschiff von 1904 - "ein absolutes Unikum" - lag dort durchlöchert wie 
ein Schweizer Käse im Morast. Heute gehört das bewegliche Denkmal zur 
europaweit größten Sammlung historischer Binnenschiffe und schwimmender 
Arbeitsgeräte am Museumsstandort Altes Schiffshebewerk Henrichenburg in 
Waltrop (Kreis Recklinghausen).

Natürlich gab es auch Rückschläge, etwa als an einem kalten Tag im 
Februar 1985 das Wasser- und Schifffahrtsamt Herne im Museum anrief und 
fragte: "Haben Sie Taucher?" Von dem historischen Dampfer Cerberus, den 
das Westfälische Industriemuseum gekauft und dort vertäut hatte, lugte 
nach einer Havarie nur noch der Schornstein aus dem Wasser. Das 75 Jahre 
alte Feuerlöschboot konnte geborgen werden, wurde später restauriert und 
ist heute das Vorzeigeschiff des Museums.

Noch Ende der 1980er Jahre machte sich über die Pläne, die stillgelegte 
Henrichshütte Hattingen (Ennepe-Ruhr-Kreis) in das Industriemuseum zu 
übernehmen, blankes Unverständnis breit: "Dieser Schrott soll Denkmal 
werden?", raunten viele im Angesicht von "HO 3", dem ältesten, 
erhaltenen Hochöfen im Revier.

Der rostige Riese hat eine grüne Schutzschicht bekommen und legt heute 
Zeugnis ab vom Aufstieg, der Blüte und dem Niedergang der 
Schwerindustrie an der Ruhr. "HO 3" steht als Landmarke und Wahrzeichen 
auch für das wachsende Gewerbegebiet auf dem ehemaligen Industrieareal 
in Hattingen.

"Nicht die ästhetische Wahrnehmung in den Vordergrund zu stellen, 
sondern die Frage, wofür der Turm, die Halle oder die Maschine stehen 
und was sie in 30 Jahren als möglicherweise letzte ihrer Art wert sind" 
- diese Sichtweise hat Helmut Bönnighausen zielstrebig immer wieder 
vorgetragen. Und das nicht nur, wenn es um Industriekultur in Westfalen 
ging. Schon früh hat der in Schlesien geborene Denkmalpfleger 
Initiativen und Projekte in den "neuen Bundesländern", in Tschechien und 
Polen mit seinem Sachverstand unterstützt.

Bei der Restaurierung der acht Industriedenkmäler (in Dortmund, 
Hattingen, Waltrop, Witten, Bochum, Bocholt, Petershagen, Lage), die 
heute den Kernbestand des Westfälischen Industriemuseums bilden, hat 
Bönnighausen neben dem denkmalpflegerischen "Ideal" die jährlich knapp 
400.000 Besucher im Blick behalten. So bieten die meisten Häuser heute 
neben der Aura des authentischen Ortes auch eine moderne Infrastruktur 
für kulturelle Veranstaltungen sowie Dauer- und Sonderausstellungen. 
Mehr als 250.000 Objekte aus der Sammlung - von der Dampflok bis zur 
Postkarte, vom Einmachglas bis zum Eimerkettenbagger - bilden dafür den 
Grundstock.

Trotz des Denkens in großen Dimensionen ist Bönnighausen realistisch 
geblieben: "Wir haben für das Industriemuseum bewusst Anlagen 
ausgesucht, die von ihrer Größe her auf Dauer zu erhalten sind und 
möglichst typische Wirtschaftzweige der industriellen Vergangenheit 
unserer Region widerspiegeln." Gerade noch rechtzeitig vor der 
Pensionierung ist dem Museumsdirektor ein für dieses Konzept wichtiger 
"Coup" gelungen: Mit Unterstützung der Stadt Bocholt, der 
Stadtsparkasse, des Kreises Borken und des Landes konnte der 
Landschaftsverband die ehemalige Spinnerei Herding für die Erweiterung 
des LWL-Textilmuseums Bocholt kaufen. In dem industriegeschichtlichen 
Denkmal (Bj. 1907) in Sichtweite zur jetzigen Museumsfabrik wird das 
Westfälische Industriemuseum seine in Europa einmalige Sammlung 
wertvoller historischer Maschinen, Muster und Textilien erstmals in 
größerem Umfang präsentieren können.

Dem neuen Textilstandort wird Bönnighausen als "Ruheständler" einen 
Besuch abstatten - wenn er gerade in der Nähe ist und Zeit hat. Die will 
der Vater einer Tochter und eines Sohnes endlich einmal für sich nutzen. 
Angeln am Ferienhaus in der Eifel steht ganz oben auf der Liste - und 
Reisen mit dem Wohnmobil nach Osteuropa, wo es noch jede Menge 
unentdeckte Industriekultur gibt.