[WestG] [AUS] Cohen, Dokumente einer juedischen Textilunternehmerfamilie in Bocholt, Bocholt, ab 11.12.2005
Marcus Weidner
Marcus.Weidner at lwl.org
Don Dez 8 16:18:27 CET 2005
Von: "Christiane Spänhoff" <christiane.spaenhoff at lwl.org>
Datum: 08.12.2005, 13:36
AUSSTELLUNG
Cosman David Cohen
Dokumente einer jüdischen Textilunternehmerfamilie in Bocholt
Wie in keiner anderen Stadt Westfalens stiegen jüdische Unternehmer ab
Mitte des 19. Jahrhunderts in Bocholt in die Textilproduktion ein. In
Baumwollspinnereien und -webereien produzierten sie klassische Bocholter
Artikel wie Nessel, Biber und Baumwolldecken. Ihre Betriebe zählten zu
den erfolgreichsten Unternehmen der Stadt. Eine Ausstellung im
Textilmuseum Bocholt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL)
erinnert jetzt an eine der bedeutendsten jüdischen Familien der Stadt.
*Cosman David Cohen - Dokumente einer jüdischen Textilunternehmerfamilie
in Bocholt", so der Titel der Schau, wird Sonntag (11.12.) um 11.15 Uhr
im Rahmen der Adventsmatinee des Fördervereins eröffnet und läuft bis 5.
Februar 2006 im Westfälischen Industriemuseum.
Die Materialschau mit zahlreichen historischen Fotos, Bauzeichnungen
und anderen Dokumenten greift das Schicksal der Cohens auf. "Sie ist die
einzige jüdische Unternehmerfamilie, über die eine größere Anzahl
Dokumente und Fotos erhalten blieb", erklärt Museumsleiter Dr.
Hermann-Josef Stenkamp. Denn nach Deportation und Holocaust sowie der
Zerstörung vieler Fabrikgebäude und der prächtigen Privatvillen erinnert
heute fast nichts mehr an diesen wichtigen Teil der Stadt- und
Industriegeschichte.
Zu verdanken ist die Präsentation den privaten Kontakten und dem
Engagement von Eduard Westerhoff. Der ehemalige Bocholter Unternehmer
forscht und publiziert seit vielen Jahren zur Textilgeschichte Bocholts.
Er nahm Kontakt zu den Erben der Familie, Anneliese Chiarizia und Edith
Magnus, in Rom und Amsterdam auf. Fotos und Dokumente, die die beiden
Frauen dem Bocholter überließen, werden als Sammlung "Eduard Westerhoff"
im Stadtarchiv bewahrt und jetzt erstmals im Zusammenhang präsentiert.
Als erstes Mitglied der weit verzweigten Familie Cohen lässt sich der
in Kleve 1753 geborene Cosman David nachweisen, der Anfang des 19.
Jahrhunderts in Bocholt als "Verleger" arbeitete: Er ließ bei Handwebern
in Lohn weben, färbte die Ware in einer eigenen Färberei und vertrieb
diese zum größten Teil in die Niederlande. Im Mai 1816 ließ er an 134
Handwebstühlen arbeiten und war damit der zweitgrößte Fabrikant am
Platze. Nach seinem Tod 1823 übernahmen drei Söhne das elterliche
Unternehmen, konnten es jedoch nicht halten.
Weitaus erfolgreicher agierte später Cosmann Cohen als Vertreter der
dritten Generation. Er gründete 1862 eine mechanische Weberei in
Bocholt, die rasch expandierte: Im Jahre 1880 wurde die Zahl der
Webstühle von 100 auf 160 erhöht. Mit 180 Beschäftigten stieg die
*Cosman Cohen & Comp." zum viertgrößten Betrieb in Bocholt auf, 1895 war
das Unternehmen größter Steuerzahler der Stadt. Den größten Teil seines
Vermögens erwirtschaftete er jedoch durch Beteiligung an auswärtigen
Firmengründungen. Sohn Emil Cohen und Schwiegersohn Iwan Magnus
übernahmen Anfang 1897 den Betrieb - kurz danach starb der Vater.
Später stieg auch der jüngste Sohn Max Cohen in die Firma ein.
1897 brannte die Fabrik an der Kaiser-Wilhelm-Straße vollständig
nieder, dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens schadete das
Unglück aber nicht. Im Neubau an der Industriestraße 7 ratterten
Anfang der 1920er Jahre rund 600 Webstühle. 1929 entschlossen sich die
Inhaber zur Stilllegung. Neun Jahre später wurde die Weberei an die
benachbarte Firma "H. Beckmann Söhne" verkauft und ist heute im Besitz
der "IBENA Textilwerke".
Die Ausstellung in Bocholt geht auch auf das weitreichende
gesellschaftliche Engagement der Cohens ein. Über Generationen
engagierten sich Familienmitglieder in der jüdischen Gemeinde. Cosman
Cohen wirkte daneben an der Gründung eines katholischen
Arbeiterinnen-Hospizes mit, er vertrat als Mitglied der Handelskammer
die wirtschaftlichen Interessen der Bocholter Unternehmer und trat immer
wieder als Spender für verschiedene wohltätige Zwecke auf. Sein Sohn
Emil war viele Jahre Stadtverordneter.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 emigrierten
viele Familienmitglieder der Cohens. Ihre Spuren finden sich in den
Niederlanden, in Kolumbien, den USA und Italien. Andere wurden in
Konzentrationslager verschleppt. Alle direkten Nachkommen aus der
Unternehmerdynastie "Cosmann Cohen & Comp." sollen nach Aussagen der
Familie die NS-Verfolgung jedoch überlebt haben.
INFO
Westfälisches Industriemuseum
Textilmuseum Bocholt
Uhlandstraße 50
46397 Bocholt
Telefon: 02871 21611-0
Telefax: 02871 21611-33
E-Mail: textilmuseum at lwl.org