[WestG] [AKT] Studie über die Selbstgleichschaltung der DFG im NS-Staat
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Don Jul 1 14:19:41 CEST 2004
Von "Josef König" <josef.koenig at presse.ruhr-uni-bochum.de>
Datum: 01.07.04 11:27
AKTUELL
Nur 'politisch Würdige' ...
Keine Stipendien für jüdische Wissenschaftler
Studie über die Selbstgleichschaltung der DFG im NS-Staat
In einem Akt des vorauseilenden Gehorsams schaltete sich die Deutsche
Forschungsgesellschaft (DFG) offenbar schon kurz nach der Machtübernahme
der Nationalsozialisten 1933 selbst gleich und überprüfte
Stipendienbewerber nach politischen und rassischen Kriterien. In seinem
kürzlich erschienenen Buch "'Nur politisch Würdige' - Die
DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937" geht PD Dr. Dr. Lothar
Mertens von der Fakultät für Sozialwissenschaften der RUB den bislang
unbeantworteten Fragen auf den Grund, wie die Forschungsförderung der DFG
nach 1933 ablief, wer und welche Themen gefördert wurden und welche
Kriterien bei der Stipendiatenauswahl eine Rolle spielten. Viele aus
heutiger Perspektive oft skurrile Auszüge aus den Bewerbergutachten runden
das Buch ab und liefern Beispiele für die freiwillige Instrumentierung der
DFG für den NS-Staat.
Politische Zuverlässigkeit und 'rassische' Herkunft
Jahrelang hat der Bochumer Zeithistoriker PD Dr. Dr. Lothar Mertens Archive
durchforstet und fast 7.000 Förderakten der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) aus den Jahren 1933 bis 1937 ausgewertet. Nun
hat er Bilanz gezogen: Schon in den ersten Jahren der NS-Herrschaft hatte
sich die DFG aus eigenem Antrieb selbst gleichgeschaltet. 1933/34 richtete
sie eine Personalstelle ein, die alle Stipendienbewerber bei Partei wie
auch Gestapo auf ihre politische Zuverlässigkeit und 'rassische' Herkunft
überprüfte. Selbst ihr Privatleben wurde akribisch durchleuchtet. Auch
stellte Mertens fest, dass sich die DFG aus freien Stücken in die
NS-Kriegsplanungen einbeziehen ließ und dies sogar selbst angeboten hatte.
Kein Wunder also, dass die Gesellschaft schon 1934/35 vermehrt
kriegsrelevante Rüstungsforschungen und Untersuchungen finanziell
unterstützte, die die Autarkiebestrebungen des NS-Staates vorantreiben
sollten.
Bereitwillige Instrumentierung
So prägten vor allem politisch-völkische Aspekte die Stipendienvergabe der
DFG im Dritten Reich. Schon im Frühjahr 1933, als sich die Ideologie des
braunen Staates noch nicht in allgemeinen Vorschriften und Gesetzen
eingenistet hatte, verweigerte die Gesellschaft jüdischen Wissenschaftlern
die Unterstützung. Treue NSDAP-Mitglieder dagegen, die so genannten 'alten
Kämpfer', durften sich über längere und meist höher dotierte Stipendien als
unpolitische Wissenschaftler freuen. Die Beurteilung über einen der
Bewerber spricht Bände: "Außerdem möchte ich erwähnen, dass über die Person
seines Vaters das Gerücht im Umlauf ist, er sei jüdischer Abstammung" -
wenn also nicht "dringende Gründe für eine Bewilligung vorliegen", sei ein
Stipendium abzulehnen. So hat sich DFG bereitwillig für die zweifelhaften
Ziele der Nationalsozialisten instrumentieren lassen. Das ausgeprägte
vorauseilende Gehorsam der Organisation - vor allem während der Amtszeit
des Nobelpreisträgers Johannes Stark (1934-36), einem glühenden Verehrer
der 'arischen Physik' und entschiedene Gegner Einsteins und Heisenbergs -
kam der NS-Führung entgegen.
"Vergeudung des Volksvermögens"
So bietet Mertens' Untersuchung dem Leser einen Einblick in die bisher
unbekannte Förderpraxis der DFG im Dritten Reich. Er geht darauf ein, wie
das wissenschaftliche Schaffen durch bevorzugte bzw. als 'unwichtig'
abgestempelte Forschungsbereiche gesteuert wurde und wie das Personalamt
die Funktion eines scharfen Wachhundes übernahm. In zahlreichen Zitaten und
Textauszügen lässt er Verantwortliche und Betroffene selbst zu Wort kommen
und beschwört so den Geist einer Zeit herauf, in der eine allgegenwärtige
Ideologie das gesellschaftliche Leben untergrub. So lehnte die DFG etwa
Stipendienbewerber ab, weil sie als "politisch wenig aktiv, Typ des
indifferenten Wissenschaftlers, jedoch kein Gegner" beurteilt wurden;
scheinbar unberechtigte Studien galten als "Vergeudung des Volksvermögens";
und denkende Frauen wurden mit dem Satz abgespeist: "Lieber zehn Pfund an
Wissen weniger und zehn Kalorien an Charakter mehr!". Nicht zuletzt diese
plastischen Details machen das Buch zu einer spannenden zeitgeschichtlichen
Lektüre, die es zu lesen lohnt - auch und vielleicht gerade als
Nicht-Historiker.
Titelaufnahme:
Lothar Mertens (Hg.): "Nur politisch Würdige". Die DFG-Forschungsförderung
im Dritten Reich 1933-1937. 414 Seiten, 64,80 Euro, Akademie Verlag,
München 2004, ISBN: 3-05-003877-2
INFO
Lothar Mertens
Fakultät für Sozialwissenschaften der RUB
44780 Bochum,
Tel. 0170/4153703
E-Mail: Lothar.Mertens at rub.de
Dr. Josef Koenig
RUB - Ruhr-Universitaet Bochum
Pressestelle
44780 Bochum
Tel: + 49 234 32-22830, -23930
Fax: + 49 234 32-14136