[Rechtsfr.] Verfahren für Familiensachen u.a. - Umfassende Reform beschlossen
Alfred Oehlmann
Alfred.Oehlmann at lwl.org
Mo Jun 30 12:37:15 CEST 2008
LWL-LJA Rechtsfragen-Newsletter Nr. 22/2008
vom 30.06.2008
Werte Leserinnen und Leser,
vielleicht haben Sie schon der Tagespresse entnommen, dass der
Bundestag am 27.06.2008 das
Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (kurz FGG Reformgesetz
- FGG-RG)
beschlossen hat (BT-Drs.16/9733-Beschlussempfehlung und Bericht).
Dieses Gesetz ist insbesondere für die Träger der öffentlichen
Jugendhilfe relevant und für alle, die mittelbar oder unmittelbar mit
den Familiengericht und den Auswirkungen familiengerichtlicher
Beschlüsse beruflich zu tun haben. Gemacht ist es natürlich, damit
die Beschlussadressaten (Eltern, Ehepaare, Kinder, Umgangsberechtigte,
Pflegeeltern u.a.) davon "profitieren".
Zu Ihrer "Beruhigung": Das Gesetz tritt erst am zum 1. September 2009
in Kraft, u.a. damit die Länder genügendZeit haben, die
entsprechenden organisatorischen Vorbereitungen zu treffen. Lediglich
der Teil der Reform, der die Beschleunigung des Verfahrens insbesondere
bei Kindeswohlgefährdung vorsieht, ist bereits im
Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung
des Kindeswohl
beschlossen worden. Dieser Teil wird in Kürze nach Verkündung im
Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Über die Inhalte wurde im
Rechtsfragen-Newsetter vom 19.Juni 2008 informiert, weitere Infos
hierzu folgen nach Verkündung im Bundesgesetzblatt.
Zu den wesentlichen Inhalten der gerade vom Bundestag beschlossenen
"großen" FGG Reform habe ich als erste Information eine Presserklärung
des Bundesministeriums für Justiz angehängt bzw. beigefügt. Allerdings
muss sich der Bundesrat in seiner Sitzung vom 18.September 2008 noch
abschließend mit dem Gesetz befassen. Erst danach möchte ich Sie über
weitere Details zum Gesetz - insbesondere soweit sie für die Jugendhilfe
relevant sind - informieren. Dies erscheint angesichts der langen
Vorlaufs bis zum In-Kraft-Treten am 1.1.2009 auch angemessen. Das
LWL-Landesjugendamt wird darüber hinaus zu den Inhalten der Reform
Fortbildungsveranstaltungen anbieten und/oder die Inhalte der Reform in
einschlägige Veranstaltungen mit einfließen lassen.
Für ganz Eilige: Unter folgender Internet-Adresse können Sie den
vorgesehenen Wortlaut der Änderungen und die Gesetzesbegründungen und
-materialien einsehen. Es sei allerdings darauf verwiesen, dass diese
äußerst umfangreich sind (allein die sogenannte
Beschlussempfehlung für den Gesetzesbeschluss und der Ausschussbericht
nebst Begründung umfasst bereits 390 Seiten, hinzu kommen die
umfangreichen Materialien zur Gesetzebegründung mit ca. 850 Seiten).
http://www.bundestag.de/bic/index.html (Geben sie dort als Suchbegriff
z.B.die BT-Dr. Nummer 16/9733 ein).
Mit sommerlichen Grüßen
Ihr
Alfred Oehlmann-Austermann
LWL-Landesjugendamt
Westfalen/Münster
Anlage: Presserklärung des BMJ vom 27.Juni 2008
Mehr Rechte für Kinder: Das neue Verfahren in Familiensachen
Das gerichtliche Verfahren in Familiensachen wird grundlegend
reformiert. Auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries
hat der Deutsche Bundestag heute das Gesetz über das Verfahren in
Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (FamFG) beschlossen. Der Bundesrat wird sich am 19.
September 2008 abschließend mit der Reform befassen.
Das gerichtliche Verfahren in Familiensachen wird erstmals in einer
einzigen Verfahrensordnung zusammengefasst und vollständig neu geregelt.
„Ein familiengerichtliches Verfahren ist wie kein anderes
Gerichtsverfahren von Gefühlen geprägt. Mit unserer Reform wollen wir
die Möglichkeiten verbessern, familiäre Auseinandersetzungen vor Gericht
so fair und schonend wie möglich auszutragen“, erklärte Zypries.
Gerade in Kindschaftssachen - etwa bei Streitigkeiten über das Sorge-
oder Umgangsrecht - werden Konflikte nicht selten im gerichtlichen
Verfahren geklärt. Kinder sind häufig die Opfer familiärer
Konfliktsituationen. „Der vorliegende Gesetzesentwurf berücksichtigt in
besonderem Maße die Belange der Kinder. Sie erhalten einen besseren
Schutz und mehr Rechte im Verfahren“, sagte Zypries.
Die Reform des familiengerichtlichen Verfahrens enthält folgende
Kernpunkte:
Neuerungen im Verfahren in Kindschaftssachen (z. B. Verfahren über
Sorge- und Umgangsrecht, die Herausgabe eines Kindes oder die
Vormundschaft):
Dringliche Kindschaftssachen, insbesondere Streitigkeiten über das
Umgangsrecht, müssen künftig vorrangig und beschleunigt bearbeitet
werden. Die Verfahrensdauer in umgangsrechtlichen Verfahren soll
verkürzt werden.
Die Verfahren sollen zeitnah verhandelt werden. Das Gericht soll den
Fall spätestens einen Monat nach Eingang des Antrags mit allen
Beteiligten erörtern. Dabei hat es die Eltern getrennt anzuhören, wenn
dies zum Schutz eines Elternteils notwendig ist.
Diese wichtigen Neuerungen werden bereits in Kürze in Kraft treten, da
sie in das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei
Gefährdung des Kindeswohls eingestellt wurden.
Weitere wichtige Reformschritte in Verfahren mit Kindesbezug sind:
Das Gericht soll den Versuch einer einvernehmlichen Lösung des
Konflikts unternehmen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Einvernehmliche Lösungen der Eltern müssen vom Gericht gebilligt werden.
Gelingt eine Einigung nicht, muss das Gericht über eine einstweilige
Anordnung nachdenken. Über das Umgangsrecht soll das Gericht in der
Regel schnell entscheiden, damit der Kontakt zwischen Kind und einem
umgangsberechtigten Elternteil aufrechterhalten bleibt und die Beziehung
keinen Schaden nimmt.
Die Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte des betroffenen Kindes werden
verstärkt. In schwierigen Fällen wird das Kind künftig von einem
Verfahrensbeistand unterstützt. Dessen Aufgabe ist es, im gerichtlichen
Verfahren die Interessen des Kindes zu vertreten und das Kind über den
Ablauf des Verfahrens und die Möglichkeiten der Einflussnahme zu
informieren. Im Gegensatz zum bisherigen Verfahrenspfleger kann der
Verfahrensbeistand auf Anordnung des Gerichts eine aktive Rolle in dem
Konflikt übernehmen und zu einer einvernehmlichen Umgangsregelung - etwa
durch Gespräche mit den Eltern - beitragen. Das über 14-jährige Kind
kann sich künftig zur Durchsetzung eigener Rechte selbst vertreten.
Die Beteiligung von Pflegepersonen am Verfahren wird erweitert.
Pflegepersonen -z.B. Pflegeeltern - können künftig in allen Verfahren,
die das Kind betreffen, hinzugezogen werden, wenn das Kind seit längerer
Zeit bei ihnen lebt. In solchen Fällen wissen Pflegeeltern häufig besser
über das Kind Bescheid als die Eltern.
Die Vollstreckung von Sorge- und Umgangsentscheidungen wird effektiver.
Bei Verstößen gegen Umgangsentscheidungen kann das Gericht
Ordnungsmittel verhängen. Diese können - anders als Zwangsmittel - auch
noch nach Ablauf der Verpflichtung wegen Zeitablaufs festgesetzt und
vollstreckt werden.
Beispiel: Entgegen vorheriger Vereinbarung lässt eine Mutter das Kind
über Ostern nicht zum getrennt lebenden Vater gehen. Wegen der
Feiertage verhängt das Gericht erst nach Ostern ein Ordnungsgeld von 200
Euro gegen die Frau. Diesen Betrag muss sie zahlen, obwohl das Kind
Ostern nicht mehr beim Vater verbringen kann. Das wird die Mutter davon
abhalten, sich nicht an solche Absprachen zu halten. Anders das bislang
geltende Zwangsgeld: Dieses kann nur verhängt werden, solange sich die
Verpflichtung auch tatsächlich durchsetzen lässt - also nur während der
Ostertage, was in der Praxis schwierig sein dürfte.
Künftig wird es möglich sein, einen Umgangspfleger zu bestellen. Dieser
soll bei schwierigen Konflikten über den Umgang sicherstellen, dass der
Kontakt des Kindes zu dem Umgangsberechtigten nicht abbricht.
Beispiel: Aufgrund des Konflikts in der akuten Trennungssituation sind
die Eltern nicht in der Lage, die Übergabemodalitäten beim Umgang
einzuhalten. Diese Situation kann dadurch entschärft werden, dass der
Umgangspfleger Zeit und Ort der Übergabe des Kindes festlegt, dieses von
dem betreuenden Elternteil abholt, dem umgangsberechtigten Elternteil
übergibt und später zurückbringt.
Diese Reformschritte werden am 1. September 2009 in kraft treten.
Neuerungen in anderen familiengerichtlichen Verfahren:
In Scheidungssachen muss der Antragsteller im Scheidungsantrag künftig
angeben, ob die Ehegatten sich über die Regelung der elterlichen Sorge,
des Umgangs und des Unterhalts verständigt haben. Das soll die Eltern
dazu anhalten, vor Einleitung des Scheidungsverfahrens die künftigen
Lebensumstände der Kinder zu klären.
In Unterhaltssachen wird die Klärung der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse durch weitergehende Auskunftspflichten der
Beteiligten verbessert.
Mit dem Großen Familiengericht soll die sachliche Zuständigkeit der
Familiengerichte erweitert werden. Damit wird es den Gerichten
ermöglicht, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie
sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten in einer Zuständigkeit zu
entscheiden. Das Vormundschaftsgericht wird aufgelöst. Seine Aufgaben
werden vom Familiengericht und vom Betreuungsgericht übernommen. Das
führt zu einer Straffung gerichtlicher Zuständigkeiten.
Die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Der vorliegende Gesetzesentwurf enthält zugleich eine Reform des
Verfahrens in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das
bisher geltende Verfahrensgesetz (FGG) für diese Verfahren (Betreuungs-,
Unterbringungs-, Nachlass- und Registersachen) stammt aus dem Jahre 1898
und wurde vielfach geändert. Dieses Gesetz wird durch eine vollständige,
moderne Verfahrensordnung mit verständlichen, überschaubaren und
einheitlichen Strukturen für die verschiedenen Materien ersetzt.
Die neue Verfahrensordnung definiert erstmals umfassend die
Verfahrensrechte und die Mitwirkungspflichten der Beteiligten und
sichert ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.
Das zersplitterte Rechtsmittelsystem der freiwilligen Gerichtsbarkeit
wird neu strukturiert und effizienter gestaltet. Um zügig
Rechtssicherheit zu erhalten, wird die Beschwerde gegen gerichtliche
Entscheidungen künftig generell befristet. Die bisherige weitere
Beschwerde zum Oberlandesgericht wird ersetzt durch die Rechtsbeschwerde
zum Bundesgerichtshof. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn eine
Entscheidung geboten ist, um das Recht zu vereinheitlichen oder
fortzubilden. Abweichend davon ist die Rechtsbeschwerde in besonders
grundrechtsrelevanten Betreuungssachen, in Unterbringungs- und in
Freiheitsentziehungssachen an keine besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Den Beteiligten wird damit in
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit der unmittelbare Zugang
zum Bundesgerichtshof eröffnet. Dieser kann dadurch viel stärker als
bisher die Materien der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch
Leitentscheidungen prägen und fortentwickeln. Das bringt mehr
Rechtssicherheit für jeden Einzelnen.
Das Gesetz soll am 1. September 2009 in Kraft treten. Die Länder
erhalten auf diese Weise ein Jahr Zeit, um die notwendige
Neuorganisation der gerichtlichen Abläufe vorzunehmen.
Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer; Redaktion: Dr. Henning Plöger, Dr.
Isabel Jahn, Johannes Ferguson, Ulrich Staudigl
Mohrenstr. 37, 10117 Berlin
Telefon 01888 580-9030
Telefax 01888 580-9046
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