[Rechtsfr.] Jugendstrafrecht-nachträgliche Sicherungsverwahrung zukünftig möglich
Alfred Oehlmann
Alfred.Oehlmann at lwl.org
Di Jun 24 17:43:49 CEST 2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
bislang war bei Jugendlichen die sogenannte Sicherungsverwahrung
(früher sagte man wohl: das Wegschließen) nach Verbüßen der
Haftstrafe nicht möglich.
Dies wird sich zukünftig unter folgenden (engen) Voraussetzungen
ändern:
Möglich ist, dies
1.bei schwersten Verbrechen gegen das Leben, die körperliche
Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie in Fällen von
Raub- oder Erpressungsverbrechen mit Todesfolge,
2.wenn deswegen eine Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verhängt
wurde und
3.die Anlasstat mit einer schweren seelischen oder körperlichen
Schädigung oder Gefährdung des Opfers verbunden war und
4. das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung nach Einholung von zwei
Sachverständigengutachten die Gefährlichkeit des Täters mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft annimmt
Näheres entnehmen sie bitte dem beigefügten Newsletter des BMJ vom
20..06.2008. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann erst am Ende
der Haftstrafe erfolgen (anders im Erwachsenenstrafrecht).
Ihr
Alfred Oehlmann
LWL-Landesjugendamt
Westfalen/Münster
>>> BMJ Newsletter <presse at bmj.bund.de> 20.06.2008 15:05 >>>
Berlin, 20. Juni 2008
Bundestag verabschiedet nachträgliche Sicherungsverwahrung nach
Jugendstrafrecht
Nachträgliche Sicherungsverwahrung soll künftig auch bei nach
Jugendstrafrecht Verurteilten angeordnet werden können. Der Bundestag
hat dazu heute ein Gesetz beschlossen, das auf einen Vorschlag von
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zurückgeht.
"Sicherungsverwahrung ist eine der schärfsten Sanktionen, die das
deutsche Strafrecht vorsieht. Sie verhindert, dass ein Straftäter in
Freiheit kommt, obwohl er seine gerichtlich festgesetzte Strafe voll
verbüßt hat. Vor diesem Hintergrund darf die Sicherungsverwahrung immer
nur ultima ratio sein, also nur angewendet werden, wenn es kein anderes
Mittel gibt, um die Allgemeinheit zu schützen. Das gilt umso mehr bei
jungen Menschen, die ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht
abgeschlossen und ihr ganzes
Leben noch vor sich haben. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die
Delinquenz bei jugendlichen Straftätern oft nur eine Episode während
ihrer Entwicklung hin zum Erwachsenen darstellt und sie später ein
gänzlich straffreies Leben führen. Auch schwere Verbrechen, die die
Ausnahme darstellen, werden nicht selten aus einer einmaligen
Konfliktlage oder einer ganz spezifischen Situation heraus begangen.
Allerdings gibt es - wenn auch nur sehr wenige - junge Täter, die nach
einer verbüßten langen Jugendstrafe wieder schwerste Delikte begehen.
Mit entsprechendem Gefährdungspotential können solche Extremfälle eine
schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Deshalb haben
wir uns entschieden, für solche Fälle die Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung zu ermöglichen", sagte Bundesjustizministerin
Brigitte Zypries in Berlin.
Bislang gibt es - anders als im Erwachsenenstrafrecht - keine
Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht. Das heute
beschlossene Gesetz ändert dies.
Das neue Gesetz sieht bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht die
Möglichkeit vor, am Ende einer verbüßten Haftstrafe gerichtlich die
nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Möglich ist, dies
bei schwersten Verbrechen gegen das Leben, die körperliche
Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie in Fällen von
Raub- oder Erpressungsverbrechen mit Todesfolge, wenn deswegen eine
Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verhängt wurde und die
Anlasstat mit einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung
oder Gefährdung des Opfers verbunden war und das Gericht aufgrund einer
Gesamtwürdigung nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten die
Gefährlichkeit des Täters mit
hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft annimmt.
Beschränkung auf nachträgliche Sicherungsverwahrung
Bei jungen Menschen, die über eine kürzere Lebensgeschichte verfügen
und deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, ist eine ausreichend
sichere Gefährlichkeitsprognose nur sehr schwierig zu treffen. Das
Fehlerrisiko ist bei Ihnen besonders hoch.
Deshalb beschränkt sich das Gesetz darauf, die nachträgliche
Sicherungsverwahrung einzuführen (anders bei Verurteilung nach
Erwachsenenstrafrecht: dort kann im Strafurteil selbst unmittelbar die
Sicherungsverwahrung angeordnet oder ein Vorbehalt aufgenommen werden,
der eine Anordnung am Haftende ermöglicht). Wegen der besonderen
Entwicklungssituation und der Aussichten für eine positive Einwirkung im
Vollzug der Jugendstrafe soll bei jungen Menschen über die Anordnung der
Sicherungsverwahrung immer erst
aufgrund einer Gesamtwürdigung am Ende des Strafvollzugs entschieden
werden können, auch wenn wesentliche Anzeichen für eine künftige
Gefährlichkeit bereits anfänglich erkennbar waren.
Wegen des erhöhten Prognoserisikos sind die "formalen"
Anordnungsvoraussetzungen zudem enger gefasst, als bei Erwachsenen.
Beispielsfälle
Beispielfall 1: Ein 18-Jähriger quält und vergewaltigt eine junge
Bekannte, die er unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt hat. Um
die Tat zu verdecken, tötet er sein Opfer anschließend. Nach Aufdeckung
des Geschehens wird er zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Im Vollzug zeigt er sich wiederholt aggressiv gegenüber Mitgefangenen
und Anstaltspersonal. Ein Therapieversuch wird von ihm nach kurzer Zeit
abgebrochen; später verweigert er jede Mitwirkung an Therapiemaßnahmen.
Auch nach
mehreren Jahren im Jugendstrafvollzug hält das Gericht eine Aussetzung
des Strafrests nicht für verantwortbar. Nach Vollverbüßung seiner
Jugendstrafe steht der inzwischen 29-Jährige zur Entlassung an.
Anstaltspsychologin und Anstaltsleitung halten ihn nach wie vor für
hochgefährlich.
Nach dem Gesetz kann das Gericht künftig in einem solchen Fall
nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen,
wenn es vor Ende des Strafvollzugs und nach Einholung von zwei
Sachverständigengutachten aufgrund einer Gesamtwürdigung davon
ausgeht, dass von dem Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere
schwere Straftaten der beschriebenen Art zu erwarten wären. Das gilt
auch, wenn im Beispielsfall zu der Vergewaltigung nicht auch noch ein
Mord hinzugekommen wäre.
Beispielfall 2: Ein 16-jähriger hat einen siebenjährigen Junge
sadistisch gefoltert, sexuell missbraucht und schließlich getötet. Der
Täter hat 8 Jahre Jugendstrafe voll verbüßt und steht kurz vor der
Entlassung. Im Vollzug verhielt sich der Betroffene völlig unauffällig.
An einer Therapie nahm er bis zu deren Abschluss teil. Eine
Strafrestaussetzung zur Bewährung erfolgte jedoch nicht, weil der
Therapeut und ein Gutachter zu der Ansicht kamen, dass das konstruktive
Vollzugsverhalten nur eine äußerliche
Anpassung des hoch intelligenten jungen Gefangenen darstellte, um seine
Freilassung nicht zu gefährden.
Bei der Frage, wie nach neuer Rechtslage in einem solchen Fall am Ende
der verbüßten Haft verfahren wird, gibt es grundsätzlich verschiedene
Optionen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel als eine
nachträgliche Sicherungsverwahrung geeignet ist, künftige Straftaten
des Täters zu verhüten. In Betracht kommen dabei Maßnahmen der
Führungsaufsicht einschließlich gezielter Weisungen und ihrer
Überwachung nebst intensiver Nachbetreuung. Das gesetzliche
Instrumentarium der Führungsaufsicht hat der
Gesetzgeber erst im April 2007 verbessert, unter anderem sind seither
strafbewehrte Kontaktverbote möglich.
Wenn nach Überzeugung des Gerichts solche Maßnahmen nicht genügen,
dann wird nach dem neuen Recht - anders als bisher - in einem solchen
Fall nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich sein. Dabei macht das
Beispiel im Vergleich zu Fall 1 deutlich, dass das Vollzugsverhalten nur
ein Indikator ist. Entscheidend ist die umfassende Gesamtwürdigung -
wenn danach von einer hohen künftigen Gefährlichkeit auszugehen ist,
wird das Gericht Sicherungsverwahrung anordnen.
Beispielfall 3: Im Beispielfall 2 hat der Täter seine Jugendstrafe
nicht voll verbüßt. Da die hohe Gefährlichkeit nicht erkannt worden war,
ist der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden. Während der
Bewährungszeit geschieht eine neue Tat.
Hier wird zunächst die Aussetzung zur Bewährung widerrufen und der
Vollzug der ursprünglichen Jugendstrafe fortgesetzt. Außerdem wird eine
neue Jugendstrafe wegen der weiteren Tat verhängt. Vor Ende des Vollzugs
der Jugendstrafe kann dann nach dem neuen Recht über eine nachträgliche
Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entschieden
werden.
Verhältnis Sicherungsverwahrung / Unterbringung im Maßregelvollzug
(psychiatrisches Krankenhaus)
Beispielfall 4: Im Beispielfall 1 geht das Gericht davon aus, dass dem
Verbrechen eine psychotische Störung des jungen Täters zugrunde lag.
Dieser wird deshalb wegen Schuldunfähigkeit nicht zu einer Jugendstrafe
verurteilt, sondern es wird die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet. Nach mehreren Jahren wird festgestellt, dass
eine Psychose nicht oder nicht mehr besteht und die Voraussetzungen für
die laufende Unterbringung im sogenannten Maßregelvollzug nicht mehr
vorliegen.
Gleichwohl wird von einer fortbestehenden hohen Gefährlichkeit für
andere ausgegangen.
Nach bisherigem Recht müsste jetzt wegen Erledigung der Maßregel
"Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus" die Entlassung des
Betroffenen in die Freiheit erfolgen. Das Gesetz eröffnet hier -
parallel zu den Möglichkeiten bei Erwachsenen - in solchen Fällen die
nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung,
bevor der Täter aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen wird.
Zuständiges Gericht / Überprüfungsfrist
In Fällen, in denen später die Anordnung nachträglicher
Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht in Betracht kommt, wird
künftig generell die Jugendkammer bereits als erkennendes Gericht des
ersten Rechtszugs für das Urteil über die Tat zuständig sein. Außerdem
wird bei nachträglicher Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht die
Fortdauer jedes Jahr erneut überprüft (anders im allgemeinen Strafrecht,
in dem dafür eine Zwei-Jahres-Frist gilt).
Hinweis:
Bei den Fallbeispielen handelt es sich um fiktive Fälle. Die meisten
in den letzten Jahren bekannt gewordenen einschlägigen Fälle betrafen
Erwachsene und Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht.
Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer; Redaktion: Dr. Henning Plöger, Dr.
Isabel Jahn, Johannes Ferguson, Ulrich Staudigl
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