[WestG] [AKT] Die WWU in der NS-Zeit: Experten-Kommission legt 1186 Seiten starken Abschlussbericht vor
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Di Okt 30 11:08:48 CET 2012
Von: "Pressestelle der WWU Münster" <pressestelle at uni-muenster.de>
Datum: 26.10.2012, 13:15
AKTUELL
Vergangenheit im Spiegel
Die WWU in der NS-Zeit: Experten-Kommission legt 1186 Seiten
starken Abschlussbericht vor
1186 Seiten stark ist der Abschlussbericht, den die Kommission
zur Erforschung der Geschichte der Universität Münster im 20.
Jahrhundert heute (26. Oktober) der Öffentlichkeit vorgestellt
hat. Er ist Teil einer umfassenden Auseinandersetzung der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) mit ihrer
Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. Das aus zwei Teilen
bestehende Werk, das im Aschendorff-Verlag erschienen ist, ist
der fünfte Band in der Schriftenreihe des Universitätsarchivs
und trägt den Titel: "Die Universität Münster im
Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und
1960."
"Die Tatsache, dass die WWU in der Zeit der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Schuld auf sich
geladen hat, ist seit langem bekannt und im kollektiven
Bewusstsein der Universität fest verankert. Die Aufarbeitung
der NS-Vergangenheit ist daher ein wesentlicher Teil einer
notwendigen Erinnerungskultur an unserer Universität", betonte
WWU-Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles.
Mit dem Abschluss der Kommissionsarbeit habe die Universität
Münster eine Lücke geschlossen: "Wir haben uns selbst eingehend
im Spiegel betrachtet und sowohl die Opfer- als auch nunmehr
die Täterperspektive beleuchtet." 1980 war bereits ein
Sammelband zur nationalsozialistischen Vergangenheit der WWU
erschienen, daneben gab es zahlreiche Veröffentlichungen zu
einzelnen Institutionen. "Der aktuelle Band ist allerdings
wesentlich breiter und wissenschaftlich fundierter angelegt",
unterstrich die Rektorin.
Was sind die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit? "Die
Universität Münster war kein Bollwerk, kein Hort des
Widerstands", fasste Kommissionsvorsitzender Prof. Dr.
Hans-Ulrich Thamer vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste
Geschichte zusammen. "Sie war aber auch keine Hochburg der
NS-Ideologie."
Die Ideologisierung von Lehre und Forschung und die
Bereitschaft einzelner Personen, sich der Karriere wegen mit
dem Regime zu arrangieren, war ähnlich ausgeprägt wie an
anderen Hochschulen. "Die Geschichte der Universität in der
NS-Zeit war in dieser Hinsicht eine Durchschnittsgeschichte",
resümierte der Historiker. Eine Besonderheit war jedoch, dass
einige NS-belastete Dozenten in der Nachkriegszeit an die
Universität Münster berufen wurden - beispielsweise Otmar von
Verschuer, Bruno K. Schultz oder Michael Lesch.
Fünf Jahre lang arbeitete die hochkarätig besetzte
Expertenkommission daran, die Geschichte der WWU in der NS-Zeit
zu durchleuchten. Der Kommission gehörten neben ihrem
Vorsitzenden Hans-Ulrich Thamer Dr. Sabine Happ, Leiterin des
Universitätsarchivs Münster, und Dr. Daniel Droste, der
Koordinator der Kommission, an. Weiterhin waren Mitarbeiter des
Stadtarchivs Münster, des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen und
aller Fachbereiche der Universität vertreten.
Hans-Ulrich Thamer hatte sich als anerkannter Fachmann für
Nationalsozialismus und europäischen Faschismus bereits im
Vorfeld der Kommissionsarbeit mit der Geschichte der WWU
befasst. Auch einzelne Dissertationsprojekte aus diesem
Forschungsfeld hatte es schon zuvor gegeben. Das Rektorat unter
dem Vorsitz von Ursula Nelles gelangte allerdings 2007 zu der
Überzeugung, dass die Geschichte der Universität Münster
während der NS-Zeit insgesamt zu untersuchen sei und beschloss
die Einrichtung einer Expertenkommission zur umfassenden
Aufarbeitung der NS-Geschichte der WWU.
Den Anlass hatte zuvor die Aufklärung des Falles des Mediziners
Prof. Dr. Karl Wilhelm Jötten gelegt, den eine vom Dekanat der
Medizinischen Fakultät beauftragte Historikerkommission
untersuchte. Der ehemalige Direktor des Instituts für Hygiene
war in die Schlagzeilen geraten, weil er während der NS-Zeit
Doktorarbeiten betreut hatte, denen rassenhygienische
Untersuchungen zugrunde lagen. Die Kommission machte sich ein
genaues Bild von der wissenschaftlichen Arbeit Jöttens.
Ziel der Arbeit der NS-Kommission sei es gewesen, sorgfältige
und wissenschaftlich haltbare Ergebnisse zu gewinnen, so
Hans-Ulrich Thamer. Dies sei den Beteiligten gelungen, betonte
der Historiker bei der Vorstellung des Abschlussberichts. "Wir
haben ein sehr detailliertes Bild von den Wechselverhältnissen
zwischen Wissenschaft und Politik in der NS-Zeit zeichnen
können. Damit haben wir ein Stück
Universitätsgeschichtsschreibung vorangetrieben."
Es sei nicht nur darum gegangen, die Geschichte einer
Institution und ihrer Personen in einer bestimmten historischen
Epoche nachzuzeichnen, stellte er heraus. "Wissenschaft und
Politik haben komplex ineinander gegriffen. Und ohne den
gesellschaftlichen Rahmen und die wirtschaftlichen Bedingungen
zu betrachten, kann man das Handeln der Personen nicht
bewerten." Die Forscher nahmen dabei nicht nur die Situation an
der WWU von 1933 bis 1945 genau unter die Lupe, sondern
verfolgten auch die Entwicklungen und Strukturen bis in die
1920er Jahre zurück und bezogen die Umbrüche nach 1945 in die
Betrachtung ein, wie es in der heutigen Forschung zur NS-Zeit
üblich ist.
Der Abschlussbericht der Kommission besteht aus zwei Bänden und
gliedert sich in drei Hauptteile. Im ersten Teil wird die
Universität als Institution beleuchtet. Die Kapitel
beschäftigen sich beispielsweise mit der Rolle der Rektoren und
Kuratoren, der Aberkennung von Doktorgraden und den
studentischen Repräsentationsorganen. Im zweiten Teil widmen
sich die Autoren der Rolle der Fakultäten und Institute und
nehmen ihre Rolle genau unter die Lupe. Im dritten Teil liegt
der Fokus schließlich auf einzelnen Wissenschaftlern, deren
Handeln beispielhaft betrachtet und eingeordnet wird.
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