[WestG] [AKT] "Aufwachsen in Westfalen 1945-65": URL: www.westfaelische-geschichte.de/web898

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Fr Mär 16 10:50:14 CET 2012


Von: "Veronika Jüttemann" <studia at uni-muenster.de>
Datum: 15.03.2012, 10:39
 

AKTUELL
 
"Aufwachsen in Westfalen 1945-65" lautet das Thema einer 
neuen Veröffentlichung im Internet-Portal "Westfälische 
Geschichte" (http://www.westfaelische-geschichte.lwl.org),
auf die wir Sie heute besonders hinweisen möchten 
und die Sie unter folgendem Link finden: 
http://www.westfaelische-geschichte.de/web898 
 
Die Veröffentlichung ist das Ergebnis eine Projekts des LWL- 
Instituts für westfälische Regionalgeschichte und der 
Kontaktstelle Studium im Alter an der Westfälischen 
Wilhelms-Universität Münster. Zehn ältere Studierende haben 
sich das Thema zur Erforschung gesetzt und allein oder in 
Kleingruppen zwei Jahre lang einzelne Aspekte dieser 
Fragestellung in Archiven und Bibliotheken recherchiert und mit 
Hilfe von Zeitzeugeninterviews untersucht. Die Bandbreite der 
Fragestellungen reicht von der besonderen Situation der Heim-, 
Flüchtlings-, Besatzungs- oder evakuierten Kinder über die 
Ernährungs- und Gesundheitslage der Kinder und Jugendlichen in 
der unmittelbaren Nachkriegszeit bis hin zu 
Freizeitmöglichkeiten der Jugendlichen in den 50er Jahren.
 
Entstanden sind die Texte in einem Seminar "Forschendes 
Lernen: Nachkriegszeit" im Rahmen des Studiums im Alter an der 
Universität Münster. Ziel des Seminars war es, in der Gruppe 
ein Forschungsprojekt zum Thema 'Nachkriegszeit in Münster und 
Umgebung' zu entwickeln, durchzuführen und die Ergebnisse am 
Ende zu publizieren.
 
Das Thema, das die Gruppe bearbeiten wollte, war schnell 
gefunden. Die Gründe für diese Wahl waren sowohl persönlicher, 
als auch forschungspragmatischer und wissenschaftlicher Natur. 
So hatten die Studierenden ihre Kindheit und Jugend in der 
Nachkriegszeit verbracht und wollten wissen, wie sich ihre 
persönlichen Erinnerungen in systematisch erarbeitete 
Forschungsergebnisse zum Aufwachsen in dieser Zeit einordnen 
ließen. Auch aus forschungspragmatischer Sicht schien das Thema 
günstig gewählt. Bisherige Arbeiten hatten die Grundlagen zur 
Bearbeitung des Themas gelegt, gleichzeitig jedoch noch 
spannende Fragen offen gelassen. Zudem gab es vielfältiges 
Archivmaterial, zeitgenössische Publikationen und 
auskunftsbereite Zeitzeugen, in anderen Worten: eine solide 
Quellenbasis.
 
Auch wissenschaftlich versprach der Blick auf Kindheit und 
Jugend interessante Einsichten zur Nachkriegsgeschichte 
insgesamt, verkörperte die heranwachsende Generation doch in 
besonderem Maße die Hoffnung auf Aufbruch und Neubeginn, die 
die Nachkriegszeit neben allen Krisenerfahrungen maßgeblich 
prägte. Nicht nur die Alliierten, sondern auch deutsche 
Politiker, Pädagogen, Publizisten und Kulturschaffende 
erwarteten von der heranwachsenden Generation, die nationale 
Zukunft Deutschlands in Frieden und Freiheit zu gestalten. Denn 
anders als die Generation ihrer Eltern und Großeltern waren die 
Kinder und Jugendlichen noch zu jung gewesen, um sich an den 
kleinen und großen Verbrechen des nationalsozialistischen 
Systems zu beteiligen. In diesem Sinn konnten sie unbelastet 
die eigene Zukunft in Angriff nehmen.
 
Gleichzeitig trieb die Zeitgenossen jedoch die Sorge um Kinder 
und Jugendliche um: Waren sie überhaupt noch in der Lage, diese 
Hoffnungen zu erfüllen? Schließlich waren die älteren von ihnen 
in Schule und HJ bzw. BDM mit dem nationalsozialistischen 
Gedankengut infiltriert worden und mussten nach Kriegsende mit 
der Erkenntnis fertig werden, dass das, woran sie bislang 
geglaubt hatten, nicht nur gescheitert, sondern vor allem 
verbrecherisch war.
 
Zahlreiche Jugendliche fühlten sich verraten und moralisch 
desorientiert. Nicht zuletzt waren die Erfahrungen von 
Millionen von Kindern und Jugendlichen jeden Alters geprägt von 
Tod, Gewalt, Flucht, Vertreibung, Hunger, Wohnungsnot und 
zerstörten Familien - wie sollte vor diesem Hintergrund der 
Neubeginn gelingen? Die heranwachsende Generation sei 
introvertiert, pragmatisch und misstraue jeglichen Ideologien, 
beschreibt der Soziologe Helmut Schelsky 1957 die sogenannte 
"skeptische Generation", die lange das Bild der 
Nachkriegsjugend prägte.
 
Die Studierenden bewegten ähnliche Fragen wie die Zeitgenossen 
der Nachkriegszeit: In welcher Lage befanden sich die Kinder 
und Jugendlichen bei Kriegsende und danach? Zwischen welchen 
Typen (Nach)kriegs-Schicksalen gilt es zu unterscheiden und wie 
prägten sie das Leben der Kinder und Jugendlichen? Welche 
Rollen spielten Familien, Freunde, Nachbarn, Schule, Vereine 
oder der Staat beim Aufwachsen der neuen Generation? Und welche 
Rolle spielten die Kinder und Jugendlichen in der und für die 
Entwicklung der jungen Bundesrepublik?
 
Aus diesen Überlegungen ergaben sich vier wichtige Konsequenzen 
für die weitere Konzeption des Projekts. Um der Vielzahl der 
Fragen gerecht werden zu können, suchten sich die Studierenden 
erstens einen speziellen Aspekt des Themas "Aufwachsen in 
Westfalen" aus, den sie alleine oder zu zweit 
eigenverantwortlich bearbeiteten - ohne dabei den Anspruch zu 
erheben, das Gesamtthema gemeinsam vollständig abzudecken.
 
Der zweite Entschluss der Gruppe lautete, ihre Forschungen auf 
Westfalen zu beschränken. Viele Studierende wählten sogar 
bewusst den methodischen Zugang einer Lokalstudie und nahmen 
ihren Heimatort als Fallbeispiel. Dies hatte nicht nur 
forschungspragmatische Gründe wie die bessere Erreichbarkeit 
von Archiven und Zeitzeugen. Lokale und regionale Studien 
bieten zudem den Vorteil einer größeren Verdichtung des Themas 
und sind angesichts der örtlich stark unterschiedlichen Lage in 
der Nachkriegszeit auch wissenschaftlich sinnvoll.
 
Gemeinsam entschied die Gruppe zudem drittens, dass der 
Untersuchungszeitraum mit der unmittelbaren Nachkriegszeit von 
1945 bis 1949 zu eng gewählt war, um die aufgeworfenen Fragen 
zu beantworten. Stattdessen sollte das Jahr 1965 das Ende des 
Untersuchungszeitraumes markieren. 1945 geborene Kinder hatten 
zu diesem Zeitpunkt das Erwachsenenalter erreicht. Und nach 
zwanzig Jahren, so die anfängliche Einschätzung der 
Studierenden, sei auch die Nachkriegszeit im weiteren Sinne 
abgeschlossen. Im Laufe des Projektes stellte sich jedoch 
heraus, dass die Nachkriegszeit je nach Fragestellung zu 
verschiedenen Zeiträumen endete. Während sich die 
Ernährungslage bereits um 1950 herum wieder normalisiert hatte, 
waren die Folgen des Krieges etwa für die Kinder der 
Vertriebenen in ihrem Alltag deutlich länger spürbar. 
Gleichzeitig begann das Nachkriegsschicksal einiger Kinder und 
Jugendlicher bereits vor 1945, etwa wenn sie evakuiert wurden 
oder vor der Roten Armee fliehen mussten. Die Jahresdaten der 
Untersuchung sind daher nur als grober Orientierungsrahmen zu 
verstehen.
 
Die vierte Grundsatzentscheidung, die die Gruppe traf, nämlich 
ihre Ergebnisse in Kooperation mit dem LWL-Institut für 
westfälische Regionalgeschichte auf den Seiten des 
Internet-Portals "Westfälische Geschichte" zu veröffentlichen, 
hat vor allem zwei Gründe. So ermöglicht es das Medium Internet 
zum einen, neben Texten und Bildern auch Audio-Quellen wie 
Ausschnitte von Zeitzeugeninterviews zu veröffentlichen, zum 
anderen hofft die Gruppe über das Internet eine breitere, 
jugendlichere und an westfälischer Geschichte interessierte 
Leserschaft zu erreichen als dies durch ein Buchprojekt möglich 
wäre.
 

INFO
 
Aufwachsen in Westfalen
Krisenjahre und Aufbruchsstimmung -
die Nachkriegszeit in Deutschland
1945-1965
 
Studium im Alter / Internet-Portal "Westfälische Geschichte" 
des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte
 
URL: http://ww.westfaelische-geschichte.de/web898


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