[WestG] [AKT] Schnaps und Speckpfannkuchen fuer die Erntehelfer: Erntedank fing schon auf dem Feld in den Pausen waehrend der harten Arbeit an
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Do Sep 30 11:33:43 CEST 2010
Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 29.09.2010, 15:00
AKTUELL
Schnaps und Speckpfannkuchen für die Erntehelfer:
Erntedank fing schon auf dem Feld in den Pausen während der
harten Arbeit an
Am kommenden Sonntag (03.10) feiert die katholische Kirche das
Erntedank-Fest. In vielen Vereinen im ländlichen Raum gibt es
im Herbst auch weltliche Erntedank-Feste. Vor 100 Jahren fing
das Fest mitunter schon bei der Arbeit an, zumindest war die
Schnapsflasche zu dieser Zeit ein gern gesehener Gast bei der
Feldarbeit. "Vor allem in der Erntezeit hatten Knechte und
Tagelöhner das Recht, bei der Arbeit Alkohol zu trinken", sagt
Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission für
Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). "Heu-
und Getreideernte verlangten eine gute körperliche Ausdauer und
ohne ausreichende Mahlzeiten wären diese Tätigkeiten kaum zu
bewältigen gewesen." Und der Schnaps? Dass auch er dazugehörte,
liege wohl an dem hohen Kaloriengehalt des Alkohols, vermutet
die Volkskundlerin.
Zum "zweiten Frühstück" seien meist sehr nahrhafte Speisen
ausgeteilt worden, zum Beispiel Kartoffel- oder
Speckpfannkuchen, mit Schinken belegte Brote und
Buchweizengrütze. Als Getränke habe es eine mehr oder weniger
große Ration Schnaps, Kaffee oder verdünnte Buttermilch
gegeben. Aus Schöppingen (Kreis Borken) sei der Konsum von Bier
überliefert, das in sogenannten "Bullenköppen" (sechs Liter
fassendes Gefäß) transportiert wurde. "Mancherorts handelten
die Helfer vor Beginn der Erntearbeiten sogar die Menge des
Alkohols aus", so Cantauw.
Eine der kräftezehrendsten Arbeiten im landwirtschaftlichem
Jahr war die Heu- und Getreideernte. "Feldarbeiter, die mähten
oder mit der Sense hantierten, mussten sehr geschickt sein",
sagt die Volkskundlerin. "Meist begannen die Arbeiten auf dem
Feld im Sommer früh. So war etwa der günstigste Zeitpunkt für
den Grasschnitt, bevor der Morgentau getrocknet war, weil das
noch feuchte Gras sich besser schneiden ließ." Auch das
Getreide sei oft in den Morgenstunden gemäht worden, manchmal
sogar noch in der Nacht um zwei oder drei Uhr.
Der ländliche Arbeitstag sei stark von der Jahreszeit abhängig
gewesen. "Zum einen variierte die tägliche Arbeitszeit, denn
sie richtete sich zwangsläufig nach dem Tageslicht und zum
anderen waren die Aufgaben in den einzelnen Jahreszeiten sehr
unterschiedlich." Eine besonders arbeitsintensive Zeit war der
Sommer mit den zahlreichen Erntearbeiten gewesen, ehe im Herbst
die Vorräte für den Winter vorbereitet wurden. Geerntetes
Getreide und Früchte musste man richtig lagern und konservieren,
damit sie möglichst lange haltbar waren.
Ein Großteil der Bevölkerung in Westfalen lebte um die
Jahrhundertwende noch auf dem Land und war von den
landwirtschaftlichen Erträgen unmittelbar abhängig. "Viele
Arbeitsgänge sind heute nahezu unbekannt und wir haben kaum
noch eine Vorstellung davon, welchen Arbeitsbelastungen die
Menschen bis weit ins 20. Jahrhundert ausgesetzt waren", sagt
Cantauw.
Hintergrund:
Die Volkskundliche Kommission für Westfalen beim
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat mehr als 6.500
Alltagsberichte aus dem frühen 20. Jahrhundert digitalisiert.
Die Informationen und Erinnerungen, darunter noch viele aus dem
19. Jahrhundert, stammen aus einer Befragung zwischen den
1950er und 80er Jahren. Die Volkskundler befragten rund 100
Westfalen zu verschiedenen Bereichen der Alltagskultur, wie
Arbeit, Frömmigkeit, Kleidung oder Ernährung. Derzeit arbeiten
die Volkskundler daran, die Manuskripte im Internet zugänglich
zu machen.
Die Digitalisierung der Alltagsberichte, die Forscher am
Seminar für Volkskunde/ Europäische Ethnologie der Universität
Münster durchführen, wird durch die Förderung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht. Diese war bereits
Geldgeber für die Bearbeitung des Westfälischen Lied- und
Tonarchivs, das im Internet aufrufbar ist. Cantauw: "Zusammen
mit dem Bildarchiv der Volkskundlichen Kommission für Westfalen
stellen die Bestände einen Teil unseres kulturellen Erbes in
Westfalen dar und haben für die Erforschung und Dokumentation
der historischen Alltagskultur einen unschätzbaren Wert, der
ohne eine ausreichende Aufbereitung und Archivierung in Zukunft
verloren ginge."
Mehr Informationen über die Mailingliste Westfaelische-Geschichte