[WestG] [AKT] Witten - Zufallsfund: Glaskelch erzaehlt bewegte Geschichte

Marcus Weidner Marcus.Weidner at lwl.org
Di Nov 9 12:56:40 CET 2010


Von: "Universitätsstadt Witten" <info at presse-service.de>
Datum: 09.11.2010, 12:40


AKTUELL

Zufallsfund: Glaskelch erzählt bewegte Geschichte
Trinkgefäß überstand zwei Weltkriege – sein Spender wurde in
Treblinka ermordet

Vor wenigen Tagen entdeckte die Leiterin des Stadtarchivs Witten in
einem Wittener Antiquitätengeschäft einen kulturhistorisch bedeutsamen
Fund: einen Glaskelch in Stiefelform mit einer Stiftungsinschrift. Aus
der Beschriftung geht hervor, dass der jüdische Kaufmann Louis Löwenthal
das Trinkgefäß dem Fuhrmannsverein Langendreer anlässlich seiner
Fahnenweihe 1914 gespendet hatte. „Die Symbolik des Bierstiefels ist
keine untypische für das Gewerbe der Fuhrleute, denn Bier und Wein
gehörten mit zu den ersten Transportgütern,“ meint Dr. Martina
Kliner-Fruck. Wesentlich an diesem Fund sei, dass das gläserne Objekt
zwei Weltkriege und auch die so genannte Reichskristallnacht durch
behutsames Aufbewahren überlebt habe, der Schenkungsgeber jedoch im
Vernichtungslager Treblinka ermordet worden sei.

Nach Recherchen der Stadtarchive Witten, Bochum und Dortmund kam Louis
Löwenthal am 14. September 1863 als Sohn des Handelsmann Salomon
Löwenthal und seiner Frau Jettchen in Lödingsen, einem kleinen Ort im
heutigen Niedersachsen, zur Welt. Er war seit mindestens 1897 mit einem
Geschäft für Haus- und Küchengeräte, Leder- und Spielwaren in
Langendreer ansässig. Unter dem nationalsozialistischen Verfolgungsdruck
gab Löwenthal sein späteres Handelswaren- und Porzellangeschäft auf und
meldete sich mit seiner Frau Johanna nach Witten und 1939 nach Dortmund
ab. Von dort wurden die Eheleute am 29. Juli 1942 in das Ghetto
Theresienstadt und zwei Monate später, am 23. September 1942, in das
SS-Vernichtungslager Treblinka deportiert.

Der gebürtige Wittener Udo Wichert erfuhr zufällig von dem Fund, den
die Leiterin des Stadtarchivs Witten gemacht hatte, und der nicht zum
klassischen Archivgut zählt. Damit der Glaskelch mit seiner besonderen
Geschichte in die Bestände des Stadtarchivs übernommen werden kann,
übernahm er spontan den Ankauf, mit dem er ein Zeichen setzen will:
„Das Stadtarchiv hat auch die Aufgabe, an das Schicksal der
ermordeten Juden in Witten zu erinnern. Diese Erinnerung gilt es wach zu
halten, auch mit Exponaten, die das Wittener Stadtarchiv erwerben kann.
In Zeiten knapper Kassen der öffentlichen Haushalte kann
bürgerschaftliches Engagement helfen, Lücken zu schließen. Hierzu
will meine Spende ein öffentliches Signal und Beispiel zur Nachahmung
setzen.“

„Archive sind auch schulische Lernorte,“ erklärt Martina
Kliner-Fruck. „Die Schenkung kann besonders für Schulklassen, die
regelmäßig zu Themen wie Ausgrenzung, Integration und zur
Judenverfolgung im Stadtarchiv arbeiten, anschaulich genutzt werden. Wir
entleihen das Glas, das mehr ist als ein Erinnerungsstück, auch gern an
die Stadtarchive Bochum und Dortmund.“

Die 1914 festlich eingeweihte Fahne des Fuhrmannsvereins, so konnte
inzwischen herausgefunden werden, wird in den Heimatstuben Langendreer
aufbewahrt.


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