[WestG] [AKT] Kaninchenkiste mit DDR-Geschichte: Ehemaliger Brigadist steuert kurioses Exponat zur HELDEN-Ausstellung bei

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Do Feb 18 10:19:25 CET 2010


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 17.02.2010, 13:21


AKTUELL

Kaninchenkiste mit DDR-Geschichte
Ehemaliger Brigadist steuert kurioses Exponat zur 
HELDEN-Ausstellung bei

Dass seine Kaninchenkiste einmal im Museum landen würde, das 
hätte sich Josef Wiwczaryk aus Hoyerswerda nicht träumen 
lassen. Und doch ist es so. Die tierische Transportbox, in der 
er "zweimal im Jahr die Hasenfrau zum Hasenmann trägt", ist 
eines von über 800 Exponaten der Ausstellung "HELDEN. Von der 
Sehnsucht nach dem Besonderen", die der Landschaftsverband 
Westfalen-Lippe (LWL) in Zusammenarbeit mit der 
Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 ab dem 12. März in seinem 
Industriemuseum Henrichshütte Hattingen zeigt.

Für den unbeteiligten Betrachter eines der kuriosesten Objekte 
der Schau. In Wahrheit aber ein Stück mitten aus dem Leben des 
ausgezeichneten DDR-Brigadiers Wiwczaryk. Jenes gelernten 
Maurers, der durch seiner Hände Arbeit in den Nachkriegsjahren 
für bezahlbaren Wohnraum sorgte. In der schnellen Form von 
genormten Plattenbauten, die teils schon mit Fenster und 
Gardinen als Fertigteile angeliefert wurden, die nur noch 
aufgestellt und miteinander verschweißt wurden. Arbeit, die dem 
fünffachen Vater und späteren Meister und Ingenieur den 
Lebensunterhalt sicherte. Und damit verbundene Leistungsprämien,
 die als zweite Lohntüte mehr als willkommen waren.

Jene Kaninchenkiste übrigens zimmerte der heute 83-Jährige aus 
Überresten der "Messe der Meister von Morgen", für die er 
verantwortlich war. Planerfüllungstafeln aus Presspappe, auf 
denen im Inneren der Kiste vom Plansoll für neue Wohnungsbauten 
und Kindergärten zu lesen ist, die außen eben jene Wohnblocks 
im Bild zeigen.

Den Kaninchen wird es egal sein. Dem Ausstellungsbesucher aber 
bringt diese Kiste den Menschen Wiwczaryk näher - einen Helden 
der Arbeit. Wenngleich der Arbeiter- und Bauernstaat ihm diesen 
Titel niemals offiziell verlieh, denn er war Parteigenossen 
vorbehalten. In das SED-Korsett aber hat sich der überzeugte 
Sozialist Wiwczaryk nicht zwingen lassen. "Da musste man eben 
etwas mehr arbeiten, um eine Auszeichnung zu bekommen. Ich habe 
mich von den hartgesottenen Parteigenossen nie einfangen 
lassen", ist er sich treu geblieben. Vier Mal zeichnete die DDR 
ihn für die Übererfüllung der Norm als "Aktivist des 
5-Jahres-Plans" aus. "So nannten sie die Leute, die besondere 
Leistungen erbracht hatten", sagt der Mann, dessen Brigade in 
Hoyerswerda seinen Namen trug: Wiwczaryk. Dort legte er am 15. 
Juni 1957 den Grundstein für den ersten industriellen 
Plattenbau der DDR. Für die Neustadt, in der zehntausende 
Beschäftigten des Lausitzer Braunkohle- und Gaskombinats 
"Schwarze Pumpe" leben sollten.

Leistungsanreize wie finanzielle Prämien, ein schnelleres 
Anrecht auf eine Wohnung oder ein neuer Trabant, waren die eine 
Seite der Aktivisten-Medaille. Auf der anderen Seite "ging es 
mir auch um die Ehre und die Anerkennung meiner Arbeit. Wir 
haben viele Menschen glücklich gemacht", sagt Wiwczaryk 
rückblickend. Fast 40 Jahre seines Lebens, die er nicht missen 
möchte. Vor allem den Zusammenhalt unter den Kollegen im 
"Kollektiv der sozialistischen Arbeit" nicht, die zusammen 
arbeiteten und die Freizeit miteinander verbrachten. Das 
schweißte zusammen. "Wir haben das Geld für die Prämien immer 
zusammen getan und dann einen schönen Ausflug gemacht. Da denke 
ich gerne dran."

Umso bitterer für Wiwczaryk , als nach der Wende die einstige 
Musterstadt der DDR nach und nach wieder abgerissen wurde. 
"Meine Lebensleistung wurde vernichtet", sagt er, wohl wissend, 
dass viele Wohnungen leer standen und die Menschen Hoyerswerda 
in Scharen verließen. "Es war schwer für mich zu sehen, dass 
zerstört wurde, wofür wir gekämpft haben. Auf das wir stolz 
waren", will er Trauer und Enttäuschung nicht verhehlen. 

Brigadier Wiwczaryk steht in der Ausstellung für Menschen, die 
in Zeiten des Umbruchs nach dem Krieg anpackten, wo es nötig 
war. "Wir zeigen in diesem Teil der Ausstellung, wofür Menschen 
arbeiten, um unter akzeptablen Bedingungen leben zu können", 
erläutert Willi Kulke, Kurator für den Ausstellungsbereich 
"Helden der Arbeit". "Letztlich strebten auch sie, wie die 
Arbeiter im Westen, nach Wohlstand und persönlichem Glück. 

Geblieben sind Orden, Auszeichnungen und Fahnen. Die Geschichte 
der Helden der Arbeit ist eine Geschichte von einer zum 
Scheitern verurteilten Utopie. Die sozialistischen Staaten des 
Ostens glaubten, mit Ideologie, Leistungsanreizen und 
Vergünstigungen mit dem Westen Schritt halten zu können. Sie 
setzten auf Vernunft und den Wunsch der Menschen nach 
kollektivem Glück. Ein System, das scheitern musste", resümiert 
Kulke.

Die Ausstellung
Mit über 800 wertvollen Exponate aus ganz Deutschland, den 
europäischen Nachbarländern und aus Übersee erzählt die Schau 
Geschichten von großen und kleinen Helden, von Machern und 
Medien, mutigen Rittern, religiösen Vorbildern, gefeierten 
Sportlern und engagierten Helfern. Das Spektrum reicht von 
einer 2.000 Jahre alten Nuckelflasche bis zur Silberbüchse 
Winnetous. In Bronze glänzt der Fußballschuh vom 
Ruhrgebietshelden Helmut Rahn. Vom heutigen Heldenkult zeugen 
ein Baumhaus von "Robin Wood" und der Helm eines New Yorker 
Feuerwehrmannes, der beim Anschlag auf das World Trade Center 
ums Leben kam. Die Helden des Reviers haben in der Schau einen 
besonderen Platz: Typen wie der Bergmann Adolf Tegtmeier oder 
Ruhrgebietsmutter Tana Schanzara, aber auch verdiente Bürger 
des Ruhrgebiets als neue Helden der Region im Wandel und 
schließlich die zugewanderten Helden, die die vielen 
Einwanderer ins Revier mitgebracht haben.

Der Rundgang durch die 1.000 Quadratmeter große 
Ausstellungshalle ist ein Erlebnis für alle Sinne. Dafür sorgen 
eine spannende Gestaltung, ausdrucksstarke Inszenierungen, 
bewegte Bilder und Hörstationen. Die innovative 
Ausstellungsarchitektur eröffnet mit Durchblicken und 
Sichtachsen an vielen Stellen überraschende Perspektiven und 
ermöglicht damit immer wieder neue Entdeckungen. Am Ende der 
Ausstellung können Besucher ihren "Helden des Tages" wählen, 
auf einem Sockel als Held oder Heldin posieren und sich in der 
Videoinstallation Standing Ovations bejubeln lassen.


INFO

HELDEN. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen
12. März - 31. Oktober 2010
LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen
Werksstraße 31-33 
45527 Hattingen
Geöffnet: Di - So 10 - 18 Uhr, Fr 10 - 21.30 Uhr
URL: http://www.helden-ausstellung.de 
Tel.: 02324 9247-142 
E-Mail: helden at lwl.org


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