[WestG] [WWW] Online-Edition der juedischen Friedhoefe in Ruethen
Marcus Weidner
Marcus.Weidner at lwl.org
Di Apr 20 10:35:56 CEST 2010
Von: "Sommer, Friedhelm" stadtarchiv at ruethen.de
Datum: 15.04.2010, 17:18
WWW
Ein steinernes Archiv mit weltweitem Zugang: Die Online-Edition der
jüdischen Friedhöfe in Rüthen.
Als erste Kommune in NRW und damit auch im Bereich des kurkölnischen
Sauerlandes hat die Stadt Rüthen in Zusammenarbeit mit dem Salomon
Ludwig Steinheim Institut für deutsch-jüdische Geschichte in Duisburg
die wissenschaftliche Verzeichnung und Erschließung der Grabdenkmäler
auf den örtlichen jüdischen Friedhöfen (Rüthen: 80 Grabsteine,
Rüthen-Oestreiden: 4 Grabsteine) mit dem Ziel einer zunächst
digitalen Edition der Ergebnisse durchgeführt, diese unmittelbar nach
Fertigstellung der Forschungsarbeiten herausgegeben und veröffentlicht
(www.ruethen.de, siehe dort unter "Jüdische Friedhöfe").
Sie sind weltweit online gestellt u. somit für jeden Internetnutzer,
vornehmlich zum Zweck des Gedenkens, Forschens u. Lernens verfügbar
gemacht.
Nicht zuletzt stellt die digitale Edition auf diese Weise eine
hervorragende Quelle für die globale jüdische Genealogie dar.
Der jüdische Friedhof in Rüthen ist als solcher der älteste, in seinem
spätmittelalterlichen Urzustand original erhalten gebliebene
Begräbnisplatz in Westfalen. Am 08. Oktober 1625 wurde den
ortsansässigen Juden durch den Rat der Stadt Rüthen der
Befestigungsgraben direkt am Rande der nördlichen Stadtmauer, östlich
des bis heute an dieser Stelle ebenfalls noch vorhandenen
mittelalterlichen Hachtores als dauerhafter Bestattungsbereich für ihre
Verstorbenen überlassen und ihnen bestätigt, dass dort schon zu früheren
Zeiten jüdische Grabstätten angelegt worden waren. Dass es schon
Jahrhunderte vorher jüdisches Leben in der Stadt Rüthen gegeben hat,
weisen schriftliche Quellen z.B. aus dem Jahr 1447 u. sogar schon von
1279 aus.
Eine kontinuierliche jüdische Ansiedlung ist seit 1587 mit nahezu
lückenlosen Namensverzeichnissen für Rüthen belegbar. 1942 wurde die
jüdische Gemeinde durch die Nazis vernichtet.
Seit der offiziellen und nachhaltigen Zuweisung eines Begräbnisplatzes
durch die Stadtobrigkeit im Rüthener Pestjahr 1625, in dem die Seuche
zweifellos auch unter den ansässigen Juden die Todesrate erhöhte, wurden
dann nachfolgend über mehr als 3 Jahrhunderte viele Génerationen
jüdischer Bewohner u. Bürger der Stadt Rüthen, aber auch auswärtige
Juden dort beerdigt. Die letzte Bestattung auf dem immer im Besitz der
örtlichen jüdischen Gemeinde gestandenen, nunmehr im Eigentum ihres
Rechtsnachfolgers, des Landesverbandes der jüd. Gemeinden in Westfalen
u. Lippe befindlichen Begräbnisplatz wurde im Jahr 1958 vorgenommen, so
dass von insgesamt mehr als 200 Gräbern auf dem insgesamt 1.821 qm
großen Areal ausgegeangen werden kann.
Seitdem gilt dieser Friedhof nach jüdischem Kultus als geschlossen bzw.
verwaist.
Die besondere, bis heute hier original erhalten u. (be)sichtbar
gebliebene u. daher nicht nur für NRW äußerst selten gewordene
topografische Lage u. authentische Situation eines aus dem urbanen
Spätmittelalter überkommenen jüdischen Begräbnisplatzes mit seinen
typischen Erscheinungsformen und Anlagestrukturen sowie dem großen
konfessions-, sozial- u. kulturgeschichtlichen Gehalt seiner
sepulkralhistorischen Entwicklungsabschnitte und Gestaltungsvielfalt
machen den jüdischen Friedhof in Rüthen seit vielen Jahren zu einem
außergewöhnlichen Kulturdenkmal von überregionaler Bedeutung, dessen
vielfältige und gehaltvolle wissenschaftliche Verzeichnungs- und
Erschließungsergebnisse nunmehr in Form globaler
Präsentationsmöglichkeiten der interessierten Öffentlichkeit in
aller Welt zur Verfügung gestellt worden sind.
Die für dieses beim Rüthener Friedhof angewandte innovative
Editionsverfahren verantwortliche Mitarbeiterin des Duisburger
Steinheim-Instituts, Nathanja Hüttenmeister M.A., sieht den jüdischen
Begräbnisplatz vor allem als "komplexen wie lebendigen Ausdruck
jüdischen historischen Selbstbewusstseins und dessen Kontinuität über
Jahrhunderte. An dem 'semiotischen Ensemble', an der Zeichenwelt eines
Friedhofs, lässt sich weit mehr ablesen über die innere und äußere
Verfasstheit einer Gemeinde, und sei sie noch so klein wie es viele der
ländlichen Gemeinden in unserem Raum waren, als nur Daten u. Namen. So
individuell und wichtig diese Namen u. Lebensdaten sind, so sind sie
doch nur ein Element des über Jahrhunderte gewachsenen steinernen
Archivs, der 'corporate identity' einer Gemeinde, deren Mitglieder die
Kontinuität und die Brüche der eigenen Geschichte aufbewahren."
In der digitalen Edition ihrer wissenschaftlichen Analyse des Rüthener
Friedhofes hat Nathanja Hüttenmeister insbesondere die hebräischen
Inschriften übersetzt u. kommentiert sowie auf frühere wie auch spätere
Familienmitglieder, die auf demselben Friedhof begraben liegen,
verwiesen. Gerade die biografischen u. genealogischen Angaben können bei
diesem Dokumentationsmedium in Zukunft unproblematisch u. permanent
durch zusätzliche oder neue Erkenntnisse, Hinweise u. Informationen aus
der globalen Forschung immer wieder ergänzt u. erweitert, aber auch
korrigiert werden.
In der Ausgangsedition des Instituts ist natürlich eine kurze
Beschreibung jedes einzelnen Grabsteins, seiner spezifischen Gestaltung,
der Bedeutung seiner Ornamentik u. Symbolik sowie seines zeitigen
Zustandes, verdeutlicht durch Abbildungen, erhalten. Komplettiert werden
diese Einzelanalysen durch orientierende Angaben zu Lage u. Geschichte
des Friedhofes sowie durch erläuternde Verweise auf weitere jüdische
Begräbnisstätten bzw. ehem. jüdische Gemeinden u. Wohnplätze im Raum
Rüthen u. der näheren Umgebung. So wurde auch der kleine jüdische
Restfriedhof in Rüthen-Oestereiden in das Projektverfahren einbezogen.
Vom einstmals 745 qm großen Totenhof, auf dem seit dem frühen 18. Jh.
neben den Juden aus dem Ort selbst auch die jüd. Verstorbenen aus den
Dörfern Langenstraße, Heddinghausen u. Effeln des ehemaligen
Gogerichts Rüthen u. des späteren Amtes Altenrüthen bestattet wurden,
ist lediglich eine umzäunte Fläche von ca. 50 qm übrig geblieben, auf
der 4 Grabsteine an die ehemals wesentlich zahlreichere Belegung
erinnern. Die letzte Bestattung wurde hier 1910 vorgenommen.
Zu Ergebnis u. Zielsetzung ihrer wissenschaftlichen Forschungs- u.
digitalen Editionsarbeit schreibt Nathanja Hüttenmeister:
"Dank dieser Erfassung (...) ließ sich eine umfassende, weltweit
zugängliche Zweitüberlieferung schaffen. Sie ist wichtig, einmal als
Quelle für die jeweilige Lokalgeschichte und für die Disziplinen der
Geistes- und Kulturwissenschaften, zum anderen zur Bewahrung des
Gedächtnisses jener meist nicht mehr existenten Gemeinden. Es gilt den
kommenden Generationen diese Orte nach Möglichkeit sowohl physisch zu
erhalten wie auch in Text und Bild zugänglich zu machen und sie
auszudeuten, bevor der Verfall ihre Zeichenwelt immer weiter verringert,
wenn nicht auslöscht."
Mittels der digitalen Edition ihrer wissenschaftlichen Analyse des
jüdischen Begräbnisplatzes in Rüthen will Nathanja Hüttenmeister in
Zusammenarbeit mit der Stadt Rüthen also der einheimischen Bevölkerung
wie auch den weltweit interessierten Besuchern auf fachkundige und gut
verständliche Weise den virtuellen Zugang zu einem überregional
bedeutenden jüdischen Begräbnisplatz Westfalens zum Zwecke des
Gedenkens, des Forschens und Lernens jederzeit ermöglichen u. nachhaltig
erleichtern. Eine konventionelle Publikation in Buchform soll folgen.
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