[WestG] [AUS] Von Schuetzen, Fliegern, Braeuten und Kamelreitern, 26.04.-24.06.2007, Werl

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Mi Apr 25 11:37:39 CEST 2007


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 24.04.2007, 11:31


AUSSTELLUNG

Von Schützen, Fliegern, Bräuten und Kamelreitern: 
LWL-Ausstellung erklärt Fremdes und lässt Bekanntes in neuem 
Licht erscheinen

Der Begriff "Ritual" klingt in westfälischen Ohren nach 
exotischer Glaubensausübung und will so gar nicht zu dem Begriff 
"Schützenfest" passen. Und doch haben der Landschaftsverband 
Westfalen-Lippe (LWL) und der Verein Ethnologie in Schule und 
Erwachsenenbildung (ESE) ihrer gemeinsamen Wanderausstellung 
"Festliche Reise um die Welt" den Untertitel "Das Schützenfest 
und andere Rituale" gegeben. Im Mittelpunkt der Ausstellung, die 
durch acht westfälische Museen wandert, stehen vier sehr 
unterschiedliche Feste aus vier Kontinenten: eine Hochzeit in 
Pakistan, das Festival de l’Air im nördlichen Niger, das 
mexikanische Fliegerspiel und eben das typisch westfälische 
Schützenfest. Erste Station der Ausstellung ist das Museum Forum 
der Völker in Werl (Kreis Soest), wo die Ausstellung in der Zeit 
vom 26. April bis zum 24. Juni zu sehen ist.

Die Ausstellung ist bewusst als eine Reise um die Welt 
inszeniert, deren letzte Station das Schützenfest in Westfalen 
ist. "Damit wollen wir bei den Besuchern ein Aha-Erlebnis 
auslösen. Was sie zunächst als fremd und exotisch sehen, nehmen 
sie nach dem Vergleich mit dem Schützenfest anders wahr. Und 
umgekehrt bekommen sie ganz neue Einblicke, wenn sie das 
vertraute Fest einmal gewissermaßen aus der Vogelperspektive 
wahrnehmen. Am Ende ist das Fremde nicht mehr so fremd und das 
Eigene nicht mehr so bekannt, wie es oft scheint. Damit wollen 
wir dazu beitragen, das die Menschen offener werden im 
Zusammenleben mit anderen Kulturen", erklärt 
ESE-Ausstellungsmacherin Kerstin Brünenberg.

So unterschiedlich die vier Feste sind, die die Ausstellung 
anhand von Fotos, Festkleidung, einer Fliegerkappe, Schmuck und 
natürlich einer Schützenkönigskette sowie einem Schützenvogel 
vor Augen führt - dennoch haben sie viele Gemeinsamkeiten: "Die 
Feste unterbrechen den Alltag und verkehren ihn in sein 
Gegenteil, indem sie ihn durch rauschhafte Formen der 
Geselligkeit ersetzen. Die Feste schaffen Gemeinschaft, halten 
diese zusammen und festigen damit die Identität als Gruppe. 
Dabei geben immer wiederkehrende Riten Ordnung, Struktur und 
damit Sicherheit", fasst Dr. Günter Bernhardt vom LWL-Museumsamt 
zusammen.

Welche - oft religiösen - Hintergründe ein Fest hat, wissen 
viele der Mitfeiernden überhaupt nicht: Das Fliegerspiel in 
Mexiko war ursprünglich eine Zeremonie, mit der die Feiernden um 
Regen gebeten haben. Mit der Kolonialisierung machten es die 
Spanier zu einem Bestandteil des christlichen Patronatsfestes, 
heute ist es in erster Linie eine Touristenattraktion.

Umgekehrt war es beim noch recht jungen "Festival del l’Air" im 
nördlichen Niger: Das Fest wurde 2001 ins Leben gerufen, um 
Touristen in die abgelegene Wüstenregion zu locken. Innerhalb 
von wenigen Jahren ist daraus unabhängig vom Tourismus ein 
Kulturfest von Tuaregs für Tuaregs mit Kamelrennen, Musik und 
Tanz geworden. "Auf diese Weise festigt und stärkt das Fest die 
ethnische und regionale Identität der Tuareg", so Brünenberg. 
"Künstliche" Feste werden aber nicht nur als zusätzliche 
Attraktion in Touristenregionen kreiert: 1951 "erfand" der 
ehemalige lippische Landespräsident Heinrich Drake die 
"Lippischen Heimattage", um die Identität der Lipper zu stärken 
und die Integration der Flüchtlinge aus den ehemaligen 
Ostgebieten zu fördern.

Das westfälische Schützenfest wird häufig mit Biergelage und 
militärischem Auftreten in Verbindung gebracht, die historischen 
Hintergründe kennt kaum jemand. "Dass beim Schützenfest viel 
Bier getrunken wird, hat nicht in erster Linie mit der Feierlust 
der Westfalen zu tun. Bier war ursprünglich das einzig mögliche 
Festgetränk, da Wein zu teuer war und das Wasser nicht sauber 
und daher Träger vieler Krankheitserreger war", erklärt 
Brünenberg. Der militärische Charakter des Schützenfestes geht 
auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit zurück, als es Aufgabe 
der Schützengesellschaften war, die Stadtmauern zu pflegen und 
zu verteidigen. Diese Aufgaben fielen zu Beginn des 18. 
Jahrhunderts weg, die militärischen Rollen blieben erhalten. 
Indem Kaiser Wilhelm II. sich gerne in Phantasieuniformen zeigte,
trug er dazu bei, dass auch die Schützenbrüder uniformiert 
feierten. Der verbreiteten Verehrung und Imitation der 
Kaiserfamilie hat das Fest ein heute unabdingbares Element zu 
verdanken: den Schützenkönig samt Hofstaat. Und hier kommen die 
Frauen ins Spiel, die laut Brünenberg nicht nur eine "dekorative 
Funktion" hatten, sondern für das Fest unentbehrlich wurden.

Solche ausgeprägten Rollen für Männer und Frauen gibt es nicht 
nur in Westfalen. In islamisch geprägten Kulturen ist der Mann 
beispielsweise für das Repräsentieren der Familien nach außen 
verantwortlich, während die Frau für Haushalt und Erziehung 
verantwortlich ist. In Pakistan geht diese strikte 
Rollenverteilung sogar soweit, das Männer und Frauen bei 
Hochzeiten in getrennten Räumen feiern.

Zur Ausstellung bieten ESE und LWL Führungen und Vorträge sowie 
museumspädagogische Programme für Kinder an. Dabei lernen Kinder 
der 2. bis 4. sowie der 5. bis 7. Klasse die verschleierten 
Tuareg kennen, setzten sich mit dem Hochzeitsfest in Pakistan 
auseinander und vertiefen ihr Wissen über das Schützenfest in 
Deutschland.

Zur LWL-Wanderausstellung "Festliche Reise um die Welt" ist ein 
gleichnamiges Begleitbuch erschienen. Elf reich bebilderte 
Beiträge vertiefen die Ausstellungsinhalte. Hier wird die 
festliche Reise um die Welt mit Beispielen aus Gambia, New, York,
Südindien, Indonesien und Ostwestfalen fortgesetzt. Scheinbar 
unterschiedliche Feste wie die Lippischen Heimattage, das 
muslimische Opferfest oder das südasiatische Lichterfest Dewali 
der tamilischen Mirgranten in Deutschland zeigen die 
Gemeinsamkeiten der Kulturen auf. Das Buch ist für 12,- Euro an 
der Museumskasse erhältlich oder kann unter wma.info at lwl.org 
bestellt werden.


INFO

Festliche Reise um die Welt
Das Schützenfest und andere Rituale
Eine Wanderausstellung des LWL-Museumsamtes für Westfalen 
und von Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung
Museum Forum der Völker - Völkerkundemuseum der Franziskaner
Melsterstr. 15 in 59457 Werl
26.April bis 24. Juni 2007
geöffnet: dienstags - freitags 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr
samstags und sonntags 14 bis 17 Uhr
feiertags geschlossen

Weitere Ausstellungsstationen:
Karl-Pollender-Stadtmuseum Werne			
1. Juli bis 19. August 2007

Stadtmuseum Münster				
26. August bis 21. Oktober 2007

Gustav-Lübcke-Museum, Hamm			
28. Oktober bis 9. Dezember 2007

Museum der Stadt Bad Berleburg			
12. Dezember 2007 bis 10. Februar 2008

Stadtmuseum Bergkamen				
17. Februar bis 13. April 2008

Kolvenburg, Billerbeck				
20. April bis 15. Juni

Naturkunde-Museum, Bielefeld			
22. Juni bis 17. August 2008