[WestG] [AKT] Tagungsbericht: 59. Westfaelischer Archivtag in Arnsberg
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Do Apr 19 10:58:40 CEST 2007
Von: "Peter Worm" <peter.worm at lwl.org>
Datum: 18.04.2007, 15:42
AKTUELL
59. Westfälischer Archivtag in Arnsberg
Tagungsbericht von Peter Worm
Auf Einladung der Stadt Arnsberg fand am 27. und 28. März 2007
der 59. Westfälische Archivtag in der Festhalle der Arnsberger
Bürgerschützengesellschaft e.V. statt. In zwei Arbeitssitzungen
ging es zum einen um "Regionale Identität und
Überlieferungsbildung" zum anderen um den "Archivischen Umgang
mit Nachlässen und Fotosammlungen".
Nachdem der Leiter des LWL-Archivamts für Westfalen, Prof. Dr.
Norbert Reimann, die versammelten rund 240 Archivarinnen und
Archivare begrüßt hatte, sprach zunächst Maria Seifert als
Vorsitzende der Landschaftsversammlung ihr Grußwort. Sie
erklärte die neuen Bezeichnung der Einrichtungen des
Landschaftsverbands mit der Außendarstellung und Positionierung
des LWL als modernem kommunalen Dienstleister, betonte aber auch,
dass das Archivamt trotz des neuen Namens ein verlässlicher
Ansprechpartner für die Archive in Stadt und Land bleibe. Die
Qualität einer flächendeckenden Beratung sah sie jedoch durch
Auswirkungen der durch die Landesregierung geplanten
Verwaltungsneugliederung gefährdet. Der Bürgermeister der Stadt
Arnsberg, Hans-Josef Vogel, betonte im Anschluss die
strategische Bedeutung der Archive für Städte und Gemeinden, da
durch ihre Arbeit Gleichbleibendes von Veränderlichem geschieden
und so Handlungsspielräume deutlich gemacht würden.
Zudem spielten Archive bei der lokalen Identitätsstiftung eine
wichtige Rolle als Gegenpol zur "kulturellen Globalisierung",
unterstützten die Integration von zugewanderten Neubürgerinnen
und -bürgern und würden so zu "Archiven der Zukunft". Der
Kulturstaatssekretär des Landes NRW, Hans-Heinrich
Grosse-Brockhoff, verteidigte die angestrebte Aufspaltung des
Landes in drei Teile, da sie der Entwicklung der letzten 200
Jahre Rechnung trage. Er stellte die Bemühungen der
Landesregierung zum Bestandserhalt kultureller Überlieferung
heraus und versprach, vielversprechende Projekte in der
Historischen Bildungsarbeit noch in diesem Jahr mit 100.000,- €
zu fördern. Ziel müsse es für die Archive sein, sich in den
betreuten Schüler und Schülerinnen als zukünftigen Wählern und
Entscheidungsträgern eine Lobby zu schaffen. Der
stellvertretende Landrat des Hochsauerlandkreises dankte
abschließend für die Arbeit der Archive bei der Herausarbeitung
lokaler Identität und betonte diesen Standortvorteil für die
touristische Attraktivität einer Region.
In seinem Eröffnungsvortrag zeichnete Prof. Reimann den
Lebensweg des Freiherrn vom und zum Stein nach, dessen
Geburtstag sich in diesem Jahr zum 250. Mal jährt. Er stellte
den im Nassauischen geborenen Stein als Verfechter einer starken
regionalen Selbstverwaltung heraus, der sich durch die
Bauernbefreiung, die Verwaltungsmodernisierung des preußischen
Staats und besonders durch die Städteordnung große Verdienste
erworben hatte. Die von ihm propagierte Stärkung von
"Gemeingeist" und "Bürgersinn" in der Region und die
Selbstbeschränkung der Regierung auf Lenkungsaufgaben kann auch
für die heutigen Reformansätze wichtige Anregungen geben.
In der ersten Arbeitssitzung wurde im Beitrag von Dr. Gießmann,
dem Leiter des Stadtarchivs Rheine, deutlich, dass sich das
Argument der "Bürgernähe" bei der Kommunalisierung staatlicher
Aufgaben in unserer Zeit immer wieder findet. Verstand man unter
dem Begriff der Kommunalisierung in der Nachkriegszeit noch das
wirtschaftliche Engagement der Kommunen im Bereich der Energie-
und Abfallwirtschaft, wurde es im Zug der Wende immer stärker
für die Verlagerung von staatlichen Aufgaben auf die kommunalen
Verwaltungsebenen benutzt. In den neuen Bundesländern konnten
bisher nur theoretisch erwogene Konzepte dazu versuchsweise
umgesetzt werden. Zum Beispiel wurden die Landkreise in Sachsen
mit vielfältigen Verwaltungsaufgaben betraut. Inzwischen werden
die dortigen Erfahrungen auf die Altbundesländer übertragen, so
betreibt man in NRW den Wegfall der Sonderbehörden, eine
weitgehende Privatisierung von ehemals öffentlichen Aufgaben und
die Bildung von drei Regionalverbänden. Gießmann stellte
schließlich heraus, welche Auswirkungen Änderungen in der
Verwaltungsstruktur für die Überlieferungsbildung mit sich
bringen und betonte die sich daraus ergebende Notwendigkeit von
archivspartenübergreifender Zusammenarbeit.
Wilhelm Grabe vom Kreisarchiv Paderborn stellte in seinem
Vortrag zunächst die Schwierigkeiten der
"Bindestrich-Bundesländer" heraus, eine gemeinsame Identität zu
entwickeln. Kommunalarchive kooperieren sehr viel stärker in den
historischen Einheiten (Hochstift Paderborn, Vest Recklinghausen,
Lipper Land) und könnten hier auch zur Bildung von
Heimatverbundenheit und Identitätsbildung auf der Ebene von
Teilregionen beitragen. Diese "Verankerung in der regionalen
Geschichtslandschaft" erfolge einerseits 'passiv' durch eine
gezielte Überlieferungsbildung und Erschließungstätigkeit, die
heimatgeschichtliche Forschung ermöglicht, und andererseits
durch die 'aktive' Auswertung landesgeschichtlicher Quellen und
die Präsentation der Ergebnisse in heimatgeschichtlichen
Zeitschriften.
In der zweiten Arbeitssitzung beschäftigte man sich mit
Nachlässen im Archiv. Am Beispiel des Stein-Nachlasses im von
Kanitzschen Archiv auf Schloss Cappenberg berichtete Dr.
Annekatrin Schaller (Stadtarchiv Neuss) von den
Herausforderungen der Verzeichnung im Rahmen eines DFG-Projekts
(1999-2001), die u.a. darin bestanden, die Ergebnisse der beiden
Stein-Editionen zu integrieren und eine geeignete
Erschließungstiefe für die Nachlassbestandteile zu finden.
Dr. Gunnar Teske vom LWL-Archivamt stellte danach die zwei
zentralen Nachlass-Nachweise beim Bundesarchiv ("Mommsen") und
bei der StaBi Berlin ("Kalliope") vor. Während es bei ersterem
um den bestandsbezogenen Nachweis geht, ist der
bibliothekarische Ansatz aus der Autografen-Erschließung
entstanden und erst nachträglich für die archivische
Verzeichnung geöffnet worden. Das Mommsen-Portal ist von daher
für die Eingabe der archivisch erschlossenen Nachlässe nach wie
vor besser geeignet. Allerdings ist an die Zusammenführung
beider Datenquellen über eine gemeinsame Recherchefunktion im
Internet gedacht.
Bei der Fortsetzung der zweiten Arbeitssitzung am folgenden Tag
setzte sich Dr. Jochen Rath vom Stadtarchiv Bielefeld zunächst
mit dem Spannungsfeld von umfassendem Dokumentationsauftrag der
Stadtarchive, wie er in einem entsprechenden Positionspapier der
BKK formuliert wird, und der von den Stadtverwaltungen oft
geforderten Beschränkung auf die Archivierung des reinen
Verwaltungsschriftguts auseinander. Er hob dabei die Rolle der
Nachlässe als Ersatz- oder Ergänzungsüberlieferung hervor und
betonte den Wert der Vereinsüberlieferung für die Dokumentation
des gesellschaftlichen Lebens einer Kommune. Gleichzeitig
forderte er eine strenge Bewertung von Vereins- und
Privatnachlässen, da die im Archiv zur Verfügung stehende
Arbeitskraft für Erschließung solcher Überlieferung begrenzt sei
und der Nachlass in die Überlieferung des Archivsprengels passen
müsse.
Der Stadtarchivar des Veranstaltungsortes Arnsberg, Michael
Gosmann, präsentierte im folgenden Beitrag exemplarisch die
Schwierigkeiten, die die Übernahme und Erschließung eines großen
Fotografennachlasses mit sich bringt. Der Kreisheimatpfleger
Friedhelm Ackermann war im Jahr 2005 überraschend verstorben und
an das Archiv wurden 50.000 Dias im Kleinbild- und Mittelformat
übergeben, die rasch recherchier- und nutzbar gemacht werden
sollten. Um das zu gewährleisten, wurde ein ehrgeiziges
Digitalisierungsprojekt angestoßen, das nach dem ersten Jahr
bereits 14.000 eingescannte Kleinbilddias vorweisen kann. In der
anschließenden Diskussion wurde die Frage nach der Bewertung von
Fotonachlässen aufgeworfen. Es scheint, dass Archive hier ggf.
auf die Mithilfe von Fotografen oder vergleichbaren Fachleuten
angewiesen sind.
Anja Gussek-Revermann stellte danach die Vorteile einer
bestandsübergreifenden datenbankgestützten Fotoerschließung
heraus. Während im Stadtarchiv vor dem Umzug in die Coerder
Speicherstadt Fotos und Postkarten durch die Aufstellung im
Lesesaal einer starken physikalischen Beanspruchung ausgesetzt
waren, bietet die computergestützte Recherche schnellere und
bessere Ergebnisse bei gleichzeitiger Schonung des
Originalmaterials. Diese "Visualisierung von Geschichte"
entspricht in hohem Maß den Benutzerwünschen und spiegelt sich
in der großen Nachfrage und der gestiegenen Zahl der
Reproaufträge wider.
Dr. Peter Worm vom LWL-Archivamt referierte über digitale Bilder
im Archiv und die technischen und archivfachlichen Ansprüche,
die dieses Material im Vergleich zu konventionellem Fotomaterial
an die Archive stellt. Neben der Erstellung und Speicherung ging
es auch um die strukturierte Datenablage und die Nutzung von
Metadaten zur langfristigen Sicherung des Bildmaterials.
Der neue Leiter des Kreiszentralarchivs Warendorf, Dr. Mark
Alexander Steinert, informierte im Anschluss über die
rechtlichen Rahmenbedingungen, die Urhebergesetz und
Kunsturhebergesetz der Nutzung von Fotografien im archivischen
Umfeld setzen. Während ersteres v.a. der Sicherung der Rechte
des Bilderstellers dient, schützt das zweite Gesetz die
Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten. Schließlich klärte er
über die Folgen des Bruchs von urheberrechtlichen Bestimmungen
auf. Die anschließende lebhafte Diskussion belegte den großen
Informationsbedarf, der hier auf Seiten der Archivarinnen und
Archivare besteht.
Nach der Mittagspause erläuterte Birgit Geller, Restauratorin am
LWL-Archivamt, die wichtigsten Grundlagen für die Konservierung
von analogem Bildmaterial. Sie plädierte für einen schonenden
Umgang bei der Erschließung (Nutzung von Handschuhen und
sauberen Arbeitsflächen) und der Lagerung (geeignetes
Verpackungsmaterial) von Fotografien. Anschaulich zeigte sie die
Auswirkungen von Nachlässigkeit und Unachtsamkeit im Umgang mit
dem empfindlichen Material auf.
In der Aktuellen Stunde berichtete Dr. Worm vom offiziellen
Start des neugestalteten Archivportals Archive.NRW.de am 2. Mai
2007. Anschließend stellte Dr. Marcus Weidner das gemeinsam vom
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und dem
LWL-Archivamt initiierte Projekt "Digitale Westfälische
Urkundendatei * DWUD" vor. In ihm soll zunächst der Inhalt
zweier bestandsübergreifend chronologisch sortierter
Zettelkarteien (des Staatsarchivs Münster und des Archivamts)
digital zugänglich gemacht werden. Ergänzend sollen in
elektronischer Form vorliegende Urkundenverzeichnungen
eingespeist werden * eine breite Mitarbeit der westfälischen
Kommunal- und Privatarchive mit Urkundenbeständen wird dabei
angestrebt. Abschließend stellte Herr Dr. Springer vom
LWL-Medienzentrum für Westfalen den "Arbeitskreis
Filmarchivierung in Nordrhein-Westfalen" vor, dessen Ziel u.a.
die Erhaltung von Filmüberlieferung aus kommunalen und privaten
Sammlungen ist. Kommunalarchiven bot er an, ihre
Filmüberlieferung * egal aus welchem Ursprungsformat * in
Klimakammern unter optimalen Bedingungen einzulagern und den
Deponenten im Gegenzug vorführbare Nutzungskopien ihrer Filme zu
übergeben.
Professor Reimann dankte abschließend allen Referenten,
Diskutanten und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre
Beiträge und der Stadt Arnsberg als Gastgeberin für den bisher
bestbesuchten Westfälischen Archivtag.
Herr Götz Betge vom Stadtarchiv Iserlohn lud im Namen seines
Bürgermeisters für das kommende Jahr (11.-12. März 2008) in
seine Stadt zum 60. Westfälischen Archivtag ein.