[WestG] [LIT] Lange/Scheffler: Auf den Spuren der Familie Gumpel, 2006

Marcus Weidner Marcus.Weidner at lwl.org
Die Sep 12 10:06:30 CEST 2006


Von: "Scheffler, Jürgen" <j.scheffler at lemgo.de>
Datum: 17.08.2006, 17:29 


LIT

Andreas Lange/Jürgen Scheffler (Hg.)
Auf den Spuren der Familie Gumpel
Biografische Zeugnisse als Quellen zur jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert
Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2006
(= Panu Derech - Bereitet den Weg. Schriften der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe, Bd. 24)
111 Seiten mit zahlreichen Abb., 9,90 €.

Kurt Gumpel, 1922 als dritter Sohn der jüdischen Familie Gumpel in der lippischen Kleinstadt Lemgo geboren, hat dem Städtischen Museum in Lemgo bei einem Besuch im Jahre 2000 eine Sammlung von biografischen Dokumenten, Briefen und Fotos überreicht. Mit der Übergabe war der Wunsch verbunden, dass die Exponate nicht nur aufbewahrt werden, sondern dass damit auch gearbeitet wird. Diese Anregung wurde von der Lemgoer Jugendgruppe NicoTeens aufgenommen, die im Jahre 2001 das Internet-Projekt *Auf den Spuren Kurt Gumpels" erarbeitet hat.  Es war der Beitrag der Jugendgruppe für den Wettbewerb *Auf dich kommt es an", den die *Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland" initiiert hatte. Anhand der biografischen Dokumente und mündlicher Informationen haben die Jugendlichen den Lebensweg von Kurt Gumpel dargestellt. Er hatte im Jahre 1937 seine Heimatstadt Lemgo verlassen, um sich zusammen mit seinen beiden älteren Brüdern Herbert und Hans im Landwerk Neuendorf, einem Hachschara-Lehrbetrieb, auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Kurz vor Kriegsbeginn konnte er im Juni 1939 nach Dänemark ausreisen. Im September 1943 flüchtete er nach Schweden. Am 31. Mai 1945 kehrte Kurt Gumpel nach Dänemark zurück. Heute lebt er in Belgien. Seine Mutter Rosalie wurde im Dezember 1941 von Lemgo aus nach Riga deportiert und im dortigen Ghetto ermordet. Der Bruder Herbert (Mordechai) emigrierte 1938 nach Palästina. Heute lebt er 94jährig als Künstler in der Nähe von Jerusalem. Hans Gumpel lebte ebenfalls in Dänemark, wo er im Jahre 1996 starb.

Die Internet-Präsentation der Nico-Teens gab den Anstoß für das vorliegende Buch. Im Zentrum steht Kurt Gumpel, der als Jugendlicher Lemgo verließ, weil er als Jude keine Zukunftsperspektive in seiner Heimatstadt mehr hatte. Andreas Lange, der als Pfarrer die Jugendgruppe geleitet hat, hat die Ergebnisse des Internet-Projekts zusammengefasst. Er verdeutlicht, wie das Projekt zustande gekommen ist, welche Recherchen die Jugendlichen unternahmen und welche Bedeutung die Beschäftigung mit dem Thema für sie hatte. Klaus Pohlmann rekonstruiert den Verkauf des Hauses, das Rosalie Gumpel nach dem Tod ihres Ehemanns im Jahre 1937 allein gehörte, und zeigt damit die *Arisierung jüdischen Besitzes" am Beispiel eines privaten Wohn- und Geschäftshauses. Hanne Pohlmann hat sich intensiv mit den Briefen beschäftigt, die Rosalie Gumpel ihren Söhnen geschrieben hat. Ihr Aufsatz verdeutlicht am konkreten Beispiel den besonderen Quellenwert der sog. letzten Briefe für die Geschichte der Juden  in den Jahren zwischen 1938 und 1941/42. Am Ende des Buches steht der Beitrag von Edda und Horst-Alfred Klessmann. Horst-Alfred Klessmann ist ein Jugendfreund von Kurt Gumpel. Beide haben sich in der NS-Zeit aus den Augen verloren und in den vergangenen Jahren ihre freundschaftliche Verbindung wieder aufnehmen können, in die nun auch die Ehefrauen einbezogen sind. Horst-Alfred und seine Frau Edda Klessmann sind zugleich Ärzte und Psychotherapeuten, die sich intensiv mit dem Thema der posttraumatischen Belastung befasst haben. Sie haben in den letzten Jahren miterlebt, wie stark Kurt Gumpel unter den Nachwirkungen der Verfolgungserfahrung in der NS-Zeit leidet. Mit seiner ausdrücklichen Zustimmung und Unterstützung haben sie sich an seinem Beispiel mit der Thematik der posttraumatischen Belastung eines Überlebenden der NS-Judenverfolgung auseinander gesetzt. 

Der Band, der zahlreiche Fotos und Dokumente aus der Sammlung von Kurt Gumpel enthält, verdeutlicht an einem konkreten Beispiel den Ertrag biografischer Forschungen zur jüdischen Lokal- und Regionalgeschichte.