[WestG] [LIT] Schmidt-Rutsch (Hg.), Karl Krampe - Geschichten aus dem Ruhrtal, 2006

Marcus Weidner Marcus.Weidner at lwl.org
Mon Apr 10 14:46:21 CEST 2006


Von: "Josef König" <josef.koenig at presse.ruhr-uni-bochum.de>
Datum: 10.04.2006, 13:39


LITERATUR

Olaf Schmidt-Rutsch (Hg.)
Karl Krampe - Geschichten aus dem Ruhrtal,
Klartext-Verlag
Essen 2006
14,90 Euro
ISBN 3-89861-554-5


Von Kohle und Menschen
Geschichten aus dem Ruhrtal
RUB-Forscher bearbeiteten Erinnerungen 

"Der Bergmann ist im Allgemeinen wortkarg". Dies gilt nicht für den
1858 in Dahlhausen geborenen Karl Krampe, der in den1920er-Jahren seine
Lebenserinnerungen niederschrieb. Die Menschen im Ruhrtal vor über 100
Jahren, wie sie auf dem Bauernhof oder in den Zechen des Reviers lebten
und arbeiteten, stehen im Mittelpunkt kurzer Geschichten. Immer wieder
fragt sich der 1934 verstorbene Krampe dabei, ob die Menschen durch
Industrialisierung und Fortschritt im Ruhrgebiet glücklicher geworden
seien, als sie es 60 Jahre zuvor waren. Die Urgroßnichte des
Verfassers, Dr. Kerstin Kucharczik, und Prof. Dr. Heinz Menge (beide
Germanistisches Institut der RUB) unterstützten den Historiker Dr. Olaf
Schmidt-Rutsch vom Westfälischen Industriemuseum dabei, die
Originalhandschrift zu überarbeiten und nun als Buch herauszugeben.


Erinnerungen an eine verlorene Welt

Die Erinnerungen an seine Kindheit im bäuerlichen Dahlhausen, an seine
Arbeit als Pferdetreiber auf der frühen Eisenbahn, die die Zechen mit
der Ruhr verband, und an seine Zeit als Hauer auf der Zeche Hasewinkel
schildert Krampe authentisch und bildreich. Bereits das alltägliche
Leben eines Bergmanns war hart: "Hunderte von Metern unter der
Erdoberfläche sich selbst überlassen, stand er allein" und musste "die
ganze Schicht bei sehr schwerer Arbeit sein ganzes Sinnen noch auf
seine Sicherheit richten, um auch wieder gesund ausfahren zu können."
Dieses gesunde Ausfahren war häufig genug zusätzlich gefährdet durch
Feuer, Überflutungen oder den Einsturz großer Teile des Schachtes. Die
schlechten Arbeitsbedingungen und noch schlechtere Bezahlung führten
schließlich zu Streiks und dem Beginn der Bergarbeiterbewegung im
Ruhrtal.


Menschen im Ruhrtal

Besonders anschaulich beschreibt Krampe die Schicksale von Menschen wie
"witte Dierk", einem Original des Reviers oder dem letzten
Ruhrschiffer, der an der Hattinger Brücke unterging. Das Schiff legte
sich bei Hochwasser quer vor den Brückenpfeiler und zerbrach. "Sein
Eigentümer kämpfte in dem hoch gehenden Fluss um sein Leben. Der Kampf
war vergebens, der letzte Ruhrschiffer Hans Ekholt fand in der von ihm
so sehr geliebten Ruhr seinen Tod." Das Leben dieser Menschen war
geprägt durch die Veränderungen, die Kohlebergbau und Industrie mit
sich brachten. Landwirtschaft und Ruhrschifffahrt gingen zurück und
ihre Lebenswelt wandelte sich drastisch.


Erst Familienbesitz, jetzt Museumsstück

Krampes Manuskripte bestanden aus 456 Blättern. Seine Familie hat sie
lange aufbewahrt, jetzt sind sie im Westfälischen Industriemuseum als
Dauerleihgabe zu besichtigen. Besonders arbeitsaufwändig war es für den
Herausgeber, die handschriftlichen Aufzeichnungen abzuschreiben, zu
überarbeiten und einige plattdeutsche Texte zu übersetzen. Ihre
Existenz verdanken diese Aufzeichnungen vermutlich dem Lehrer Karl
Vaupel, dem Neffen des Verfassers. Er war es, der Krampe anregte, seine
Erinnerungen aufzuschreiben, sodass sie bis heute erhalten sind. Das
Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und der Klartext Verlag
Essen haben "ein lebendiges Bild von Arbeit und Alltag im Ruhrtal vor
über 100 Jahren", so Schmidt-Rutsch, in Buchform gebracht.


INFO

Dr. Kerstin Kucharczik, Germanistisches Institut der RUB, E-Mail:
kerstin.kucharczik at rub.de