[WestG] [AKT] Industriemuseum praesentiert Geschichte der Italiener "online"

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Don Okt 27 17:25:53 CEST 2005


Von: "Christiane Spänhoff", <christiane.spaenhoff at lwl.org>
Datum: 06.10.2005, 14:34


AKTUELL

Arrivato - angekommen!
Industriemuseum präsentiert Geschichte der Italiener "online" 

"In Deutschland ist es kalt, das war eins der wenigen Dinge, die ich über 
mein Reiseziel wusste", erinnert sich Giuseppino Fileccia, der als Gastarbeiter 
1957 aus Sardinien nach Deutschland kam und in der Oberhausener Zeche 
Concordia als Bergmann arbeitete. Seine Lebensgeschichte steht mit den 
Erinnerungen von sechs weiteren italienischen Zuwanderern im Zentrum des
neuen Internetportals www.angekommen.com/italiener, das im Westfälischen 
Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum am 06.10.2005 offiziell freigeschaltet 
worden ist.

Mit dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien vom 23. Dezember 
1955 begann die planmäßige Anwerbung von Gastarbeitern für die Bundesrepublik,
die bis zum Anwerbestopp 1973 über fünf Millionen Menschen aus Südeuropa nach 
Deutschland brachte. Zum 50-jährigen Jubiläum präsentieren das Westfälische 
Industriemuseum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Kooperation 
mit dem Landeszentrum für Zuwanderung NRW und der Agentur Lichtbild ein 
umfassendes Internetportal zur Geschichte der italienischen Migration nach Deutschland 
vom Kaiserreich bis in die 1970er Jahre.
  
Lebensgeschichtliche Berichte, historische Bild- und Textquellen sowie zahlreiche
Hintergrundinformationen eröffnen eine Entdeckungsreise in die facettenreiche 
Geschichte der Italiener im Ruhrgebiet am Beispiel des Bergbaus von der Kaiserzeit 
bis zur Bundesrepublik.

"Mit der Eröffnung des Projektes ist es möglich, von jedem Büro, Schreibtisch oder 
Klassenraum aus ein plastisches und aussagekräftiges Bild über die Geschichte der
italienischen Einwanderung nach Deutschland, speziell ins Ruhrgebiet, zu erlangen", 
freut sich der Projektinitiator Jan Motte vom Landeszentrum für Zuwanderung NRW.
Bei der Vorstellung des Projektes vor der Presse nannte Museumsleiter Dietmar Osses 
drei zentrale Funktionen des Portals und der Veranstaltung: Rückblick, Anerkennung 
und Dialog. "Dieser gleichberechtigte Dialog zwischen den einzelnen Gruppen unserer
Gesellschaft ist sicherlich auch ein wichtiger Baustein für die Zukunft: für die Gestaltung 
eines Zusammenlebens in einer Gesellschaft, in der Migration und Einwanderung nicht 
nur schon lange Realität sind, sondern in wenigen Jahrzehnten auch die Erfahrungswelt 
der Bevölkerungsmehrheit sein werden", so Osses.

Das Internetportal ist das zweite Projekt des LWL-Industriemuseums zur italienischen 
Migration: Im Sommer 2003 zeigte die Zeche Hannover in Bochum die Ausstellung 
"Neapel - Bochum -Rimini. Arbeiten in Deutschland. Urlaub in Italien" zur italienischen 
Zuwanderung und deutschen Italiensehnsucht im Ruhrgebiet. Seit Herbst 2004 tourt die 
gleichnamige Wanderausstellung durch verschiedene Städte Italiens. Der Museumsleiter:
"Mit dem Internetportal wollen wir zeigen, dass sich das Museum Zeche Hannover dauerhaft 
und nachhaltig der Zuwanderung ins Ruhrgebiet widmet".

Ins Ruhrgebiet kamen die Italiener im Zuge der Industrialisierung. Hier waren sie ab Mitte 
des 19. Jahrhunderts als Experten für Gesteinsarbeiten im Bergbau, Eisenbahn- und 
Kanalbau gefragt. Nach den Arbeitskräften aus den Ostprovinzen und Polen stellten die 
Italiener im deutschen Kaiserreich zur Jahrhundertwende die zweitgrößte Gruppe 
ausländischer Arbeiter. 

Ein erstes offizielles Abkommen über die Anwerbung von italienischen Arbeitern für 
Deutschland schlossen die beiden Staaten bereits 1937, als die beiden damals
faschistischen Regierungen die Achse Berlin - Rom bildeten. Hunderttausende Italiener
kamen nach Deutschland und wurden als "Gäste-Arbeiter" begrüßt. Viele von arbeiteten
in Bergwerken und Rüstungsbetrieben des Ruhrgebiets. Nach dem Sturz Mussolinis im 
September 1943 wurden aus den Verbündeten Feinde. Die Italiener in Deutschland 
wurden nun zu Militärinternierten, die Zwangsarbeit leisten mussten. Nach Kriegsende 
und Befreiung kehrten die meisten von ihnen in die Heimat zurück.

Wideraufbau und Wirtschaftswunder brachten der jungen Bundesrepublik Anfang der 
1950er Jahre einen gewaltigen Bedarf an Arbeitskräften, der auch von den rund 
12 Millionen deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen nicht mehr gedeckt werden konnte. 
Gleichzeitig führten die strukturellen Krisen im Süden Italiens mit hoher Arbeitslosigkeit 
und Binnenwanderung in die Industrieregionen Norditaliens zu großen Spannungen im Land.
Am 23. Dezember 1955 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und Italien ein 
Abkommen über die Anwerbung von Arbeitskräften für Deutschland. Zunächst waren 
Facharbeiter und Arbeitskräfte für die Landwirtschaft gefragt, aber schon 1957 wurden 
vor allem Arbeiter für Industrie und Bergbau vermittelt. 

Der Anwerbevertrag garantierte den italienischen Arbeitern eine angemessene 
Unterkunft und Tariflöhne. Während der Bergbau die italienischen Arbeiter teilweise
in Bergarbeitersiedlungen unterbringen konnte, musste die Mehrzahl der Italiener in
primitiven Barackenlagern leben. Anfangs wurden nur auf ein Jahr befristete 
Arbeitsgenehmigungen ausgegeben. Seit Mitte der 1960er Jahre stellten die Arbeitsämter 
aber auch unbefristete Erlaubnisscheine aus, die für das gesamte Bundesgebiet gültig 
waren. So ließen sich viele Italiener längerfristig nieder und ließen ihre Familien nachkommen.

Bis 1973, dem Jahr des Anwerbestopps, kamen zwei Millionen Menschen aus Italien nach 
Deutschland, bis heute folgten weitere zwei Millionen. Knapp 87% der italienischen 
Migranten kehrten wieder nach Italien zurück. Heute leben 550.000 Italiener in 
Deutschland, davon knapp 35.000 im Ruhrgebiet.