[WestG] [AKT] Dr. Gabriele Isenberg - LWL-Chefarchaeologin wird 60

Marcus Weidner m.weidner at lwl.org
Mit Jul 2 15:44:23 CEST 2003


Von: "LWL-Pressestelle", <presse at lwl.org> 
Datum: 02.07.2003, 12:25


Dr. Gabriele Isenberg - LWL-Chefarchäologin wird 60

Eine Frau gräbt sich durch halb Westfalen

Dr. Gabriele Isenberg, die Chefarchäologin des Landschaftsverbandes
Westfalen-Lippe (LWL) feiert am Donnerstag (3. Juli) ihren 60. Geburtstag. Kaum eine
Kirche, kaum ein mittelalterliches Stadtzentrum, kaum ein Kloster in Westfalen, das sie
nicht untersucht hat. 

Die Direktorin des Westfälischen Museums für Archäologie und
Landesarchäologin für Westfalen hat sich in den vergangenen 30 Jahren durch halb Westfalen
gegraben. Die Leiterin eines Hauses mit allein 120 fest angestellten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern wurde 1997 als erste Frau in die Römisch-Germanische Kommission des Deutschen
Archäologischen Instituts berufen. Dabei kam die in Hattingen aufgewachsene Westfälin
erst spät und auf Umwegen zur Archäologie. Studiert hatte sie zunächst Deutsch,
Kunstgeschichte und Geschichte, geliebäugelt auch mit dem Theater. Bei einem
Studienaufenthalt in England erhielt sie Ende der 60er Jahre die Möglichkeit, an den berühmt
gewordenen Ausgrabungen in Winchester teilzunehmen. Damit war sie "infiziert" von der
Archäologie, wie die Arzttochter selbst sagt. Von den Engländern, damals führend im
Ausgrabungswesen, lernte sie alle Techniken und Methoden im Umgang mit im Boden steckenden
Kulturgütern: vom Vermessen des Geländes über das Freilegen von Mauern und Scherben bis zum
Zeichnen und, letztlich das Wichtigste, die Interpretation der Funde, Lernen sie zum
Sprechen zu bringen. Vom Mindener Stadtkern (Kreis Minden-Lübbecke) bis zum Haus Herbede in
Witten (Ennepe-Ruhr-Kreis), vom Heidenturm in Ibbenbüren (Kreis Steinfurt) bis zur
Unterkirche in Hallenberg (Hochsauerlandkreis) hat die Mittelalter-Expertin seit 1974
hunderte archäologische Untersuchungen geleitet, von der kurzzeitigen
Baustellenbeobachtung bis zur mehrjährigen Großgrabung. 

Als Mittelalter-Expertin und
seit 1980 Leiterin der Mittelalterarchäologie des LWL-Amts für Bodendenkmalpflege im
Westfälischen Museum für Archäologie lagen ihre Schwerpunkte vor allem in Kirchen,
Stadtkernen und Klöstern, aber auch in einigen Burgen. Dr. Isenberg hat dazu beigetragen,
dass die Archäologie immer wichtiger wird, wenn es darum geht, uns selbst besser zu
verstehen, woher wir kommen und was wir sind. Und durch ihr großes Engagement, unter anderem
ist sie Vorsitzende des Nordwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung, hat sie die
Leistungen der westfälischen Archäologie weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt
gemacht, " würdigte Prof. Dr. Karl Teppe, Kulturrdezernent des LWL, die Museumsdirektorin.

Schon ihre erste Ausgrabung in Westfalen begründete ihren Ruf. 1974 konnte in Minden (Kreis
Minden-Lübbecke) zum ersten Mal in Westfalen ein mittelalterlicher Stadtkern großflächig
und in den natürlichen Schichten untersucht werden. Fünf Jahre dauerten die Ausgrabungen
des LWL, in deren Verlauf die Geschichte der Stadt in wesentlichen Zügen erhellt wurde, was
eine eigene große Wanderausstellung wert war. Großes Interesse bei der Bevölkerung
erregten die Untersuchungen in der Kirche der Heiligen Ida, am 26. November 980 heilig
gesprochen, in Lippetal-Herzfeld (Kreis Soest) von 1975 bis 1976. 

Die Archäologen
interessierten sich besonders für den Bau, denn die erste Kirche gehörte zu den frühesten
Steinkirchen Westfalens im 9. Jahrhundert. Für Aufsehen sorgte besonders ein leerer
Steinsarkophag, der ursprüngliche Sarg der Ida, bevor ihre Gebeine unter den Altar
umgebettet wurden. Das Ensemble mit den Spuren der ersten Kirche sind nun in der Krypta zu
sehen. Bei Höxter-Corvey (Kreis Höxter) legten die Mittelalter-Archäologen unter Leitung
von Isenberg von 1975 bis 1980 das Kloster Tom Roden frei. Die Propstei, im 12. Jahrhundert
gegründet und im 16. Jahrhundert aufgegeben, war nie überbaut worden. Deshalb gelang es, den
vollständigen Grundriss einer mittelalterlichen Klosteranlage zu erhalten. Außerdem
lernten die Archäologen das ausgeklügelte System der Wasserversorgung sowie verschiedene
Typen von Heizungsanlagen kennen. Mit dem Nachweis dieser technischen Einbauten
veränderten die Archäologen das Bild vom rückständigen "dunklen Mittelalter", wie es in den
Geschichtsbüchern noch oft genug charakterisiert wird. Das Kloster, nur 800 Meter von der
berühmten Reichsabtei Corvey entfernt gelegen, ist in großen Teilen wieder aufgemauert und
der Öffentlichkeit zugänglich.

Auf dem Kohlbrink-Gelände in Soest (Kreis Soest)
erforschte Gabriele Isenberg danach, von 1981 bis 1982, ein mittelalterliches
Sälzerquartier. Hier hatte man spätestens seit dem 6. Jahrhundert Salz hergestellt. Mit
mehr als 60 Öfen war die Kapazität der Gewerbeanlage so hoch, dass die Soester Sälzer auch den
überregionalen Markt bedienten. Unter den Burgen ist besonders Haus Witten in
Witten-Herbede (Ennepe-Ruhr-Kreis) zu nennen. Von 1985 bis 1991 untersuchten Isenberg und
ihre Kollegen des LWL-Museums für Archäologie die Wasserburg aus dem 13./14. Jahrhundert
komplett. Die bedeutendsten Funde machte das Team im Brandschutt eines Kellers:
Brustpanzer, Arm- und Beinschienen und andere Teile von Turnierrüstungen waren
vollständig erhalten. Sie sind seit Ende März 2003 ein Schmuckstück im neuen Westfälischen
Museum für Archäologie in Herne.

Auch in Münster selbst hat die promovierte Historikerin
eine große Untersuchung geleitet. Im Stadtzentrum waren Ausgrabungen von 1986 bis 1989
nötig, bevor hier die Stadtbibliothek in ihren Neubau einzog. Die dreijährigen
Untersuchungen legten die älteste Besiedlung Münsters außerhalb der Domburg frei. Seit dem
10./11. Jahrhundert hatten hier Wohnhäuser, Speicherbauten und Keller gestanden. Die
Entwicklung konnten die Forscher bis hin zur Kaufmannsbebauung verfolgen, die sich am Ende
des Mittelalters auf den Alten Steinweg ausrichtete. Die letzte große Grabung (Isenberg:
"Eine meiner Lieblingsgrabungen") liegt inzwischen zehn Jahre zurück: St. Peter und Paul in
Marsberg-Obermarsberg (Hochsauerlandkreis) in den Jahren 1991, 1992 und 1994. Hier konnte
sie nachweisen, dass die Kirche aus dem 13. Jahrhundert tatsächlich auf den Fundamenten der
Peterskirche steht, die Karl der Große 785 in der ehemaligen Sachsenfestung Eresburg
errichten ließ.

1996 wurde die passionierte Liebhaberin von Blumen und Gärten Direktorin
des Westfälischen Museums für Archäologie, des Landesmuseums und Amtes für
Bodendenkmalpflege beim LWL. Seitdem versteht sie sich in besonderer Weise als Anwältin für
die Zeugen der Vergangenheit im Boden. Die Standortverlagerung des archäologischen
Landesmuseums von Münster nach Herne habe sie "als Chance begriffen", sagt sie. Das neue
Haus, Ende März 2003 eröffnet, zeigt mit rund 10 000 Funden die Geschichte der Menschen in der
Region von der Steinzeit bis heute. Der Clou: Die neue Dauerausstellung ist nach dem Vorbild
einer archäologischen Ausgrabung gestaltet und zeigt so den Zusammenhang von Ausgrabung,
Forschung und Präsentation.


INFO

URL:
http://www.lwl.org/LWL/Kultur/WMfA_Herne

Fotos können Sie in unter
  http://www.lwl.org/LWL/index_x_html?x=/LWL/Der_LWL/Presse/Mitteilungen/1057141369_0 
herunterladen.