[Rechtsfr.] BMJ: Kinderschutz weiter verbessern - Arbeitsgruppenbericht im Kabinett vorgestellt

Alfred Oehlmann Alfred.Oehlmann at lwl.org
Mi Sep 2 12:18:16 CEST 2009


Arbeitsgruppenbericht "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des
Kindeswohls - § 1666 BGB" - Rückblick und Ausblick auf weitere Vorhaben
insbesondere im Bereich der Vormundschaft u.a.m.

Sehr geehrte Damen und Herren, 

die Bundesjustizministerin hat aus Anlass des o.a.
Arbeitsgruppenberichts einen Rückblick auf alle verabschiedeten
gesetzlichen Regelung der vergangen vier Jahr genommen, u.a. die
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes und das  das Gesetz zur
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des
Kindeswohls. Die Hinweise zu den gesetzlichen Neuregelungen in der
Presserklärung sind mit weiterführenden Links hinterlegt.

Gleichzeitig - und das ist ggf. für die Jugendhilfe noch interessanter
- wird ein Ausblick auf zukünftig zu bearbeitende Themenfelder gegeben.
Hier fällt insbesondere eine Reform des Vormundschaftsrechts bzw. eine
Veränderung der Rahmenbedingungen ins Auge (Begrenzung der Zahl der
Vormundschaften bei der Amtsvormundschaft, Stärkung von
Einzelvormundschaften).

U.a. wird auch die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen
Familiengerichten und Jugendämtern  thematisiert und die Verbesserung
von Fortbildungsmöglichkeiten. 

Weiterhin wird die Prüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen von
langjährigen Pflegeverhältnissen angeregt. 

Der komplette Abschlussbericht ist ebenfalls hinterlegt. Die komplette
Presserklärung vom 2. September ist angehängt.

In jedem Fall deuten sich  für die Jugendhilfe weitere
"Baustellen"/Themenschwerpunkte  durch gesetzgeberische und sonstige
Aktivitäten in den nächsten Jahren im Bereich des Kindesschutzes im
engeren und weiteren Sinn an. Parallel sind die bestehenden rechtlichen
Neuregelungen sukzessive umzusetzen und in die Praxis zu integrieren. 

Mit freundlichen Grüßen 
Ihr 
Alfred Oehlmann-Austermann
LWL-Landesjugendamt 
Westfalen/Münster 


BMJ Pressemitteilung: 


"Berlin, 2. September 2009

Zypries: Kinderschutz weiter verbessern - Arbeitsgruppenbericht im
Kabinett vorgestellt


Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat heute im Bundeskabinett den
Abschlussbericht der von ihr eingerichteten Arbeitsgruppe
"Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666
BGB" vorgestellt. Der Bericht enthält Empfehlungen für eine weitere
Verbesserung des Kinderschutzes, etwa durch Qualitätssicherung bei
Vormundschaft und Pflegschaft oder durch Intensivierung der
Zusammenarbeit von Jugendämtern und Gerichten.


"Beim Kinderschutz haben wir viel erreicht. So können Familiengerichte
seit Mitte letzten Jahres schneller und besser auf
Kindeswohlgefährdungen reagieren. Zudem sorgt das erweiterte
Führungszeugnis dafür, dass Arbeitgeber im Kinder- und Jugendbereich
über einschlägige Sexualdelikte von Bewerbern Bescheid wissen.
Schreckliche Einzelfälle wie zuletzt in Bayern zeigen aber, dass wir uns
mit dem Erreichten nicht zufrieden geben dürfen. In der nächsten
Legislaturperiode brauchen wir nicht nur einen neuen Anlauf beim
Kinderschutzgesetz. Auch in den Themenbereichen des Justizministeriums
gibt es weitere Verbesserungsmöglichkeiten. Die von mir eingesetzte
Arbeitsgruppe hat dazu gute Vorschläge gemacht. Besonders wichtig ist
mir eine Reform des Vormundschaftsrechts. Hier müssen wir die Rechte der
Kinder mehr in den Mittelpunkt rücken, etwa durch verstärkte Beteiligung
an der Auswahl und an Entscheidungen des Vormunds. Mein Ziel ist eine
persönliche Beziehung zwischen Vormund und Kind
. Dazu müssen wir die Einzelvormundschaft stärken und Amtsvormünder
entlasten, denn 60 bis 120 Kinder pro Amtsvormund sind einfach zu viel.
Wir sollten auch verstärkt Menschen dafür gewinnen, ehrenamtlich eine
Vormundschaft zu übernehmen. Die Zusammenarbeit von Familiengericht und
Jugendamt müssen wir weiter verbessern, insbesondere die Teilnahme des
Jugendamts beim Gerichtstermin verbindlicher und konkreter regeln. Und
es ist wichtig, dass sich Richter und Jugendamtsmitarbeiter optimal
fortbilden und
fallübergreifend zusammenarbeiten", sagte Brigitte Zypries.


Auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Zypries wurde der Kinderschutz
in der 16. Legislaturperiode wiederholt verbessert. Das Gesetz zur
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des
Kindeswohls fördert die frühzeitige Einschaltung der Familiengerichte in
den Hilfeprozess (mehr... www.bmj.de/240408kindeswohl). Und die Reform
des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der Freiwilligen
Gerichtsbarkeit baut den Kinderschutz im gerichtlichen Verfahren weiter
aus, etwa durch die Stärkung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte
betroffener Kinder (mehr... www.bmj.de/270608famfg).
 
 Mit dem erweiterten Führungszeugnis wird Arbeitgebern künftig in
deutlich größerem Umfang Auskunft darüber gegeben, ob Stellenbewerber
für kinder- und jugendnahe Tätigkeiten wegen bestimmter Sexualdelikte
vorbestraft sind (mehr... www.bmj.de/140509fuehrungszeugnis).


Die jetzt vorgeschlagenen weiteren Verbesserungen wurden von einer
Arbeitsgruppe erarbeitet, die Bundesministerin Zypries bereits im März
2006 eingesetzt hat. Im November 2006 hatte die Arbeitsgruppe erste
Vorschläge unterbreitet, die in das Mitte 2008 in Kraft getretene Gesetz
zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des
Kindeswohls eingeflossen sind. Nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
rief Ministerin Zypries die Arbeitsgruppe im Jahr 2008 erneut zusammen,
um erste Erfahrungen mit dem neuen Gesetz auszutauschen. Überdies sollte
geprüft werden, ob weitere gesetzliche Änderungen erforderlich sind. Den
Abschlussbericht der Arbeitsgruppe hat Bundesjustizministerin Zypries
heute im Bundeskabinett vorgestellt.


Zusammenfassung der Vorschläge der Arbeitsgruppe


1. Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und
Jugendamt

Ein Themengebiet der Arbeitsgruppe war die Förderung einer
reibungslosen Zusammenarbeit der Familiengerichte mit den Jugendämtern.
Hierzu schlägt die Arbeitsgruppe vor, die Teilnahme des Jugendamts am
gerichtlichen Termin verbindlicher und konkreter zu regeln. Die
gerichtlichen Termine sollen durch eine "mit der Angelegenheit vertraute
Fachkraft des Jugendamts" wahrgenommen werden. Um dieses Ziel zu
erreichen, schlägt der Bericht Änderungen im Achten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und im Gesetz über das Verfahren in
Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (FamFG) vor.


2. Fortbildung und fallübergreifende interdisziplinäre Zusammenarbeit

Für einen effektiven Kinderschutz und eine gute Zusammenarbeit zwischen
Familiengericht und Jugendamt ist es neben den gesetzlichen
Neuregelungen elementar wichtig, dass Familienrichterinnen und
Familienrichter über ausreichende, auch interdisziplinäre,
Fachkenntnisse verfügen. Auch müssen Familiengerichte und Jugendämter
fallübergreifend interdisziplinär zusammenarbeiten.

  Die Arbeitsgruppe schlägt den Ländern und dem Bund vor, in den
Richtergesetzen eine allgemeine Fortbildungspflicht für Richter
ausdrücklich gesetzlich zu verankern ("Richterinnen und Richter sind
verpflichtet, sich fortzubilden."). Die interdisziplinäre
Zusammenarbeit, insbesondere zwischen Familiengericht und Jugendamt,
sollte weiter befördert und unterstützt werden. Es sollten mehr Anreize
zur Teilnahme an Fortbildungen und an fallübergreifenden
interdisziplinären Arbeitskreisen geschaffen werden
(beispielsweise Verankerung in den Beurteilungs- und
Beförderungsrichtlinien, verstärkte Berücksichtigung im Rahmen der
Personalentwicklung, Überprüfung einer Anpassung des
Personalbedarfsberechnungssystems Pebb§y, Bereitstellung der nötigen
finanziellen und sachlichen Mittel, Ermöglichung der für Fortbildungen
nötigen zeitlichen Kapazitäten bei den Richterinnen und Richtern).  

3. Gefährdung des Wohls des ungeborenen Kindes


Bei einer Gefährdung des Kindeswohls hat das Familiengericht nach §
1666 BGB die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das können mit
Zwangsgeld oder Zwangshaft durchsetzbare Ge- oder Verbote sein, notfalls
auch der Entzug des Sorgerechts. Die Vorschrift findet ihrem Wortlaut
nach nur auf das bereits geborene Kind Anwendung. Zu einer vermeidbaren
nachhaltigen Schädigung kann es aber bereits vor der Geburt kommen (etwa
durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft).
Oder eine Gefährdung des Kindes nach der Geburt kann schon während der
Schwangerschaft absehbar sein. Eine solche vorgeburtliche
Gefährdungslage wirft Probleme im Hinblick auf die
Handlungsmöglichkeiten des Jugendamts und des Familiengerichts auf.


Nach intensiver Diskussion empfiehlt die Arbeitsgruppe, keine
gesetzliche Regelung zur Anwendung des § 1666 BGB auf das ungeborene
Kind zu treffen, sondern bei einer Gefährdung des Wohls ungeborener
Kinder mit den bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zu reagieren.
Gerichtliche Ge- und Verbote gegenüber der Schwangeren wären in dieser
Situation kaum durchsetzbar. Die Arbeitsgruppe hält es deshalb für
erfolgversprechender, stattdessen auf ausgeweitete Hilfeangebote der
Jugendhilfe und der
Gesundheitsfürsorge zu setzen. Sie empfiehlt dem Gesetzgeber, in das
SGB VIII ein Hilfeangebot aufzunehmen, das sich ausdrücklich an
schwangere Frauen und werdende Eltern richtet und das Beratung und Hilfe
in der Schwangerschaft zum Gegenstand hat.


4. Qualitätssicherung in der Vormundschaft und Pflegschaft


Wird den Eltern nach § 1666 BGB das Sorgerecht ganz oder teilweise
entzogen, überträgt das Familiengericht das Sorgerecht auf einen Vormund
oder Pfleger. Die Praxis zeigt allerdings, dass es auch im Rahmen einer
Vormundschaft oder Pflegschaft im Einzelfall zu einer
Kindeswohlgefährdung kommen kann. Die Arbeitsgruppe hält eine Reform
des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts für erforderlich und
empfiehlt, diesen Reformbedarf in der kommenden Legislaturperiode anhand
folgender Eckpunkte zu prüfen:

  Rechte des Kindes in den Mittelpunkt stellen
Die Entwicklung und das persönliche Wohl des Mündels stehen in der
Praxis häufig nicht im Fokus der Amtsführung des Vormunds. Schwerpunkt
ist nicht die Personensorge, sondern die Vermögenssorge und die
rechtliche Vertretung des Kindes oder des Jugendlichen. Insbesondere
dann, wenn das Kind in einer Einrichtung oder in einer Pflegefamilie
untergebracht ist, ist die Tätigkeit des Amtsvormunds eher verwaltender
als fürsorgender Natur. Ein persönlicher Kontakt zwischen dem Vormund
und dem Kind oder
Jugendlichen besteht in diesen Fällen häufig nicht. Um dies zu ändern,
empfiehlt die Arbeitsgruppe Maßnahmen, um künftig die Rechte des Kindes
in den Mittelpunkt zu stellen (z. B. Recht des Kindes auf Fürsorge,
Förderung der Entwicklung, Berücksichtigung seiner Wünsche)
Abbau der hohen Fallzahlen in der Amtsvormundschaft
Amtsvormünder sind nach den Erfahrungen der Arbeitsgruppenmitglieder in
der Regel für zahlreiche Kinder und Jugendliche zuständig. Meist hat
eine Fachkraft im Jugendamt zwischen 60 und 120, in Einzelfällen auch
noch mehr Kinder als Amtsvormund zu vertreten. Aus der Praxis kommt die
Empfehlung, 50 Vormundschaften je Amtsvormund als Obergrenze
anzustreben. Die Rahmenbedingungen in der Amtsvormundschaft müssen so
gestaltet werden, dass eine auf die Rechte des Kindes konzentrierte
Amtsführung möglich ist.
Stärkung der Einzelvormundschaft
Obwohl die Einzelvormundschaft nach dem Gesetz Vorrang hat, stellt in
der Praxis die Amtsvormundschaft den Regelfall dar. Um den persönlichen
Kontakt zwischen Vormund und Kind zu gewährleisten und eine an den
Interessen des Kindes orientierte Amtsführung zu ermöglichen, sollte
laut Arbeitsgruppe gezielt die Einzelvormundschaft gefördert werden.  

5. Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien


Pflegekinder kommen heute in der Regel aus einer Gefährdungssituation
in ihrer Herkunftsfamilie. Für diese Kinder ist eine stabile
Familiensituation besonders wichtig und förderlich. Viele Pflegekinder
leben aber über längere Zeit im Hinblick auf Herkunftsfamilie und
Pflegefamilie in unsicheren rechtlichen Verhältnissen.


Die Arbeitsgruppe regt an, in der kommenden Legislaturperiode zu
prüfen, ob ein gesetzlicher Handlungsbedarf hinsichtlich langjähriger
Pflegeverhältnisse besteht. Insbesondere soll geprüft werden, wie eine
langfristige stabile Situation für das Kind erreicht werden kann
(Rückführung in die Herkunftsfamilie oder Adoption / stärkere
rechtliche Absicherung der seit längerer Zeit bestehenden
Pflegeverhältnisse).


Den vollständigen Abschlussbericht der Arbeitsgruppe finden Sie unter
www.bmj.de/ag-kindeswohl. "



Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer; Redaktion: Dr. Thorsten Bauer, Dr.
Katharina Jahntz, Harald Schütt, Ulrich Staudigl
Mohrenstr. 37, 10117 Berlin
Telefon 030/18 580 9030
Telefax 030/18 580 9046
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