[Rechtsfr.] Familiengerichte: Ca.25 Prozent mehr Sorge- und Umgangsverfahren in 2008!?
Alfred Oehlmann
Alfred.Oehlmann at lwl.org
Di Aug 11 18:38:45 CEST 2009
Werte Leserinnen und Leser,
Im Justizministerialblatt Nr. 14 aus 2009 ist die Justizstatistik für
die Jahre 2006-2008 (NRW) erschienen (Seite 159 ff) . Sie enthält u.a.
einen Überblick über die Entwicklung in Familiensachen. Eine
Auswertung/Diskussion wird öffentlichen und freien Trägern der
Jugendhilfe, die mittelbar oder unmittelbar mit Gerichten
zusammenarbeiten, empfohlen. Einige aus vorliegender Sicht interessante
Zahlen sind in der Anlage markiert.
Hierzu einige "vorsichtige" Hinweise (die Gefahr einer
Fehlinterpretation von Statistiken besteht ja immer, Hinweise nehme ich
gerne entgegen):
Die Zahl der erledigten Familiensachen nahm zu (Absolut 147 656),
trotzdem stieg die Zahl unerledigten Verfahren am Jahresende auf 109 241
an (weil die Fallzahl insgesamt auf 151 478 stieg, siehe Seite 159).
Die für die Familiengerichtshilfe besonders interessante Zahl der
sogenannten "Verfahren über allein anhängige andere Familiensachen stieg
von 78871 in 2007 auf 84507 in 2008.
Dementsprechend stieg die Zahl der erledigten Verfahren in diesem
Zusammenhang, in denen es um die Übertragung oder Entziehung der
elterlichen Sorge ging (auch nach § 1666 BGB) von 19393 (2007) auf 23927
(2008). Dies bedeutet allein eine Zunahme der rechtshängig gemachten
Verfahren, in denen es um die elterliche Sorge geht, um 23,38 Prozent
(Seite 160, linke Spalte)
Auch die Zahl der erledigten Verfahren zur Regelung des Umgangs mit dem
Kinde stiegen um fast 25 Prozent von 9540 (2007)auf 11884 (2008) (siehe
Seite 160, linke Spalte)
Interessant ist die zwar steigende, aber noch immer sehr niedrige
Anzahl von Beschwerden in den hier genannten Verfahren: Es gab 857
Beschwerden gegen Entscheidungen wegen der Übertragung oder Entziehung
der elterlichen Sorge. Setzt man diese ins Verhältnis zu den insgesamt
erledigten erstinstanzlichen Verfahren in 2008: 23927 + x, ergibt sich
"nur" eine Beschwerdequote von 3,58 Prozent, mithin geht nicht einmal
jedes 20 Verfahren in die Beschwerdeinstanz zum OLG (siehe Seite 164,
rechts Spalte)
Nicht anders stellt es sich bei Beschwerden über allein anhängig
gemachte Regelungen des Umgangs mit dem Kinde dar. Hier gab es in 2008
373 Beschwerdeverfahren, dies sind nur 3,14 Prozent der allein anhängig
gemachten 11884 Verfahren zur Regelung des Umgangs mit dem Kind (siehe
Seite 164, rechte Spalte.
Zu den Scheidungsverfahren:
Interessant ist ggf. auch noch, dass mit den insgesamt erledigten 63102
Scheidungsverfahren (Steigerung um ca. 9 Prozent) nur 2842
Scheidungsverfahren betroffen waren, in denen es um die Übertragung oder
die Entziehung der elterlichen Sorge im Rahmen des Scheidungsverfahrens
ging und nur 667 Verfahren, in denen es im Scheidungsverfahren um die
Regelung des Umgangs mit dem Kinde ging. Hier scheint die
Kindschaftsrechtsreform Wirkung zu zeigen, ein Teil der Verfahren zum
Kindesumgang wird dann allerdings zu einem späteren Zeitpunkt geführt.
Mithin käme es nur in ca. jedem 20 Scheidungsverfahren (5,56 Prozent) zu
einer Entscheidung des Familiengerichts über das Sorgerecht oder das
Umgangsrecht (siehe Seite 159, rechte Spalte)
Unklar bleibt allerdings, wie viel Verfahren durch Intervention des
Gerichts und Beratung der Jugendhilfe im Vorfeld bzw. im
Gerichtsverfahren gelöst werden, so dass es nicht mehr zu einen (hier
wohl nur gezählten) Entscheidung des Gerichts kommen muss. Zumindest
scheint die geringe Zahl der entschiedenen Fälle hier für eine wirksame
Arbeit zu sprechen.
Die dargelegten Zahlen zu der Zunahme von Fällen in allein anhängig
gemachten Sorgerechtsverfahren stimmen mit Äußerungen/Meinungsbildern
der Jugendämter/Jugendhilfe überein bzw. bestätigen diese.
Da NRW mit ca. 17 Millionen Einwohnern das größte Bundesland sind,
haben die Zahlen sicherlich Aussagewert. Trotzdem würde eine
Detailanalyse in anderen Bundesländern sicherlich lohnen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Alfred Oehlmann-Austermann
LWL-Landesjugendamt
Westfalen/Münster
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als
Kommunalverband mit 13.000 Beschäftigten für die 8,5 Millionen Menschen
in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 19 Krankenhäuser, 17
Museen und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit
Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der
Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die
sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Die neun kreisfreien
Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie
tragen und finanzieren den Landschaftsverband, den ein Parlament mit 100
Mitgliedern aus den Kommunen kontrolliert.
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