[Rechtsfragen] Akteneinsicht/Nachbarhinweis/ASD/Urteil

Alfred Oehlmann Alfred.Oehlmann at lwl.org
Don Dez 4 16:56:47 CET 2003


Werte Leserinnen und Leser!

Aus einem freundlicherweise von einem JA übersandten Urteil des VG Münster vom 17.11.2003 (Aktenzeichen 9 K 355/01) ist folgendes zu berichten: 

Sachverhalt: Dem ASD macht ein namentlich bekannter Informant Mitteilung über eventuelle Erziehungsprobleme/Unterstützungsbedarf bei einer benachbarten Familie (massives Anschreien etc.). Er bittet jedoch um Vertraulichkeit.
Der ASD macht einen Hausbesuch, schätzt die Familie zwar als defizitär ein, sah jedoch keine Anhaltspunkte für eine akute Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB. Der Familie wurden lediglich freiwillige und offene Unterstützungsleistungen angeboten, die jedoch nicht angenommen wurden. 

Daraufhin begehrte die "angezeigte" Familie Akteneinsicht beim Jugendamt, u.a. mit der Begründung ihr sei ein Verwaltungsakt angekündigt worden. 
Die Behörde lehnte eine Akteneinsicht ab, weil kein Verwaltungsverfahren anhängig sei bzw. dies auf jeden Fall abgeschlossen sei. Es könne lediglich nach Schwärzung des Informantennamens Akteneinsicht gewährt werden, da diesem Vertraulichkeit zugesichert worden sein. 

Dagegen erhob die Familie Untätigkeitsklage mit dem Antrag Akteneinsicht zu gewähren. 
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit folgender Begründung ab:
Entscheidungsgründe: 

1. Ein Anspruch auf Akteneinsicht richtet sich nach § 25 Abs. 1 SGB X. Er besteht nur während einen anhängigen Verwaltungsverfahrens für die Beteiligten im Sinne des § 12 SGB X (u.a. Antragsteller, Adressaten eines Verwaltungsaktes).

2.Ein allgemeines Akteneinsichtsrecht aufgrund eines Gesetzes außerhalb eines Verwaltungsverfahrens bestehe grundsätzlich nicht. Lediglich nach der Rechtsprechung sei dies ausnahmsweise möglich. Über die Einsicht entscheide die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung stehe demjenigen zu, der ein gewichtiges Interesse an der Einsichtnahme habe, das auf andere Weise nicht zu befriedigen sei (VG Münster; Urteil vom 17.11.2003, Az. 9 K 355//01 mit zahlreichen Rechtsprechungshinweisen). Im vorliegenden Fall sei ein berechtigtes Interesse weder dargelegt noch ersichtlich. 

Hinweise: 
1. U.a. das OVG Münster hatte bereits 1989 entschieden, dass ein verfahrensunabhängiges allgemeines Akteneinsichtsrecht zu versagen sei, wenn das Einsichtsverfahren als Mittel der Beweisermittlung und Ausforschung des Sachverhalts diene (OVG NW; Urteil vom 12.5.1998, Az. 8 A 1909/87). 

2. Das OVG Rheinland-Pfalz hatte in einem Urteil vom 21. Juli 1982 entschieden, dass das private Interesse daran, die Namen von Informanten des Jugendamtes zum Zwecke der Durchführung eines erneuten vormundschaftsgerichtlichen (heute familiengerichtlichen ) Verfahren zu erfahren überwiege angesichts der dem Jugendamt obliegenden, eine umfassende Sachverhaltsaufklärung erfordernden Aufgabe das öffentliche Interesse  an der Wahrung der zugesicherten Vertraulichkeit nicht als überwiegend zu betrachten sei. (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Juli 1982, Az. 8 A 37/81 (FamRZ 1983, 300-301, NJW 1983, 2957f, FEVS 32, 198-203).

3.Auf § 83 SGB X (Allgemeines Auskunftsrecht von Betroffenen) wird verwiesen. 

4.Nach meiner Auffassung wäre lediglich dann, wenn Hinweise eines Informanten absolut "an den Haaren herbeigezogen" sind und/oder offensichtlich denunziatorischen Charakter hätten, die Weitergabe eines Informantennamens nach Durchführung der Interessenabwägung  angebracht. 

5. Selbst die strafprozessuale Beschlagnahme vom Jugendsamtsakten durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Überprüfung einer Strafanzeige wg. Verleumdung ist mehrfach aufgehoben worden. Eine solche Maßnahme richtet sich nur nach § 73 SGB X und bedarf ausdrücklich eines richterlichen Beschlusses (nur bei Verbrechen oder Straftaten oder sonstigen Straftaten von  "erheblicher "Bedeutung (wohl kaum bei Verleumdung?!) oder wenn die Angaben sich im Falle der Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit auf die Übermittlung von  Geldleistungen beschränken (vgl. z.B. Beschluss des OLG Celle vom 30.8.1997, 2 Ws 157/97 in Zeitschrift für das Fürsorgewesen 1998, Seite 229, 230 oder Landgericht Siegen Beschluss vom 7.August 1995, Az. 5 Qs 73/95 in Juris oder Der Amtsvormund 1997, Seite 145).

Mit adventlichen Grüßen

Alfred Oehlmann-Austermann
LWL-Landesjugendamt
Münster