[WestG] [AKT] Vorne ueppig - hinten schlicht - LWL zeichnet ein Reihenhaus in Lippstadt als Denkmal des Monats aus

Holtrup, Sandra Sandra.Holtrup at lwl.org
Di Jun 30 07:48:04 CEST 2020


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 29.06.2020


AKTUELL

Vorne üppig - hinten schlicht - LWL zeichnet ein Reihenhaus in Lippstadt als Denkmal des Monats aus

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat das Reihenhaus Bökenförder Straße 134 in Lippstadt (Kreis Soest) als Denkmal des Monats Juni ausgezeichnet. "Wir haben das Haus ausgewählt, weil es nicht nur beispielhaft zeigt, wie vor 120 Jahren das Leben einer Arbeiterfamilie ausgesehen haben könnte, sondern es vermittelt uns indirekt eine Umbruchzeit, in der Lippstadt begann, sich von einer ländlich geprägten Ackerbürgerstadt zu einem modernen Industriestandort zu entwickeln", erklärt LWL-Denkmalpfleger David Gropp.

Die Häuser an der Bökenförder Straße wurden zum großen Teil von einem Investor und Bauunternehmer gebaut. Ihre Individualität bekamen sie kurz vor Fertigstellung durch die Fassadengestaltung. In der heute noch geschlossenen Bebauung fällt ein Haus besonders auf, weil es als eines von wenigen sein ursprüngliches Aussehen bewahrt hat. Wie die anderen ist es zweigeschossig mit drei Fensterachsen. "Aber dann beginnen die Unterschiede: Weil der Fassadenschmuck und die ursprüngliche Fensterteilung erhalten blieben, hat es seine Proportionen und seine Eigenart bewahrt", so Gropp. "Die überbordende Verwendung von antiken Architekturzitaten lässt das Obergeschoss scheinbar zur Beletage einer Villa werden." Bescheidener wirken die glatt verputzten Rückseiten des Hauses. Deren Schlichtheit passt auch besser zu dem zwischen Haus und Nutzgarten platzierten Stall mit Heuspeicher und Außentoilette.


Hintergrund

Das Innere des Hauses spiegelt die Unterschiede zwischen "öffentlichem" und "privatem" Bereich. Die Eingangstür führt zu einem ebenerdigen Flur, der die Straße mit dem Hinterhof verbindet. Hier befindet sich auch der Kellerabgang. Die Wohnräume beginnen ein halbes Stockwerk höher. Ein mit Wanddekor verziertes Wohnzimmer ist nach vorne zur Straße, eine große Küche zum Stall und Garten ausgerichtet. Im Obergeschoss sind die Schlaf- und Kinderzimmer, im Dach befinden sich zwei Kammern. Ein Bad gab es nicht. Die Toilette hinter dem Stall ist bis heute erhalten geblieben.

"Die Fassade und das Wohnzimmer vermitteln ein im deutschen Kaiserreich stark verbreitetes Repräsentationsbedürfnis, dem man im 'öffentlichen' Teil des Hauses gerecht wurde", erklärt Gropp. "Im hinteren Teil fand das 'wirkliche Leben' statt: Hier wurde gekocht, Wäsche gewaschen, Obst und Gemüse gezogen und Tiere für den eigenen Bedarf gehalten. Schließlich bekommt man einen Einblick in die hygienischen Verhältnisse - eine Toilette hinter dem Stall für das gesamte Haus. Die Kammern im Dach wurden in der Regel untervermietet."

Das Haus gehörte zu der ersten Stadterweiterung außerhalb der Lippeumfluten, die bis dahin das mittelalterliche Lippstadt wie eine Stadtmauer umschlossen. Ein Vertrag zwischen dem Fürstentum Lippe und Preußen ermöglichte die Ausbreitung der Stadt über die historischen Grenzen hinaus erst 1850. Sie fiel zeitlich mit dem Anschluss Lippstadts an die Bahnlinie Hamm-Paderborn zusammen. Beides waren Voraussetzungen für eine industrielle Zukunft der Stadt. Noch im gleichen Jahr siedelte sich in unmittelbarer Nähe des südlich der alten Stadt gelegenen Bahnhofs ein Eisenwerk, die spätere "Westfälische Union", an.

Dieser erste Schritt zu einem Industriestandort war der Ausgangspunkt zur städtebaulichen Entwicklung des Lippstädter Südens. Ab den 1870er-Jahren wurde hier intensiv gebaut. Siedlungsschwerpunkt war die Bökenförder Straße. Die Häuser, die hier entstanden, unterschieden sich wesentlich von denen der "alten Stadt". Während dort Fachwerkhäuser mit Wirtschaftsdielen in lockerer Abfolge standen, wurden hier kleine, aus Backstein gemauerte Häuser in enger Reihung gebaut. Die Bewohner waren überwiegend neu Hinzugezogene, die im Eisenwerk arbeiteten. Die ersten Häuser wurden entlang der vorhandenen historischen Straßen gebaut, erst später entstand mit der katholischen Elementarschule und der Josefskirche das Zentrum des Viertels.



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