[WestG] [AKT] Beten statt feiern! - Volksmissionen und 40-stuendiges Gebet sollten dem Fastnachtstreiben in Westfalen ein Ende bereiten

Holtrup, Sandra Sandra.Holtrup at lwl.org
Fr Mär 1 08:30:42 CET 2019


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 28.02.2019


AKTUELL

Beten statt feiern! - Volksmissionen und 40-stündiges Gebet sollten dem Fastnachtstreiben in Westfalen ein Ende bereiten

Zum Karneval gehört nicht zuletzt ausgelassenes Feiern, bei dem der ein oder andere auch über die Stränge schlägt. Das war bereits im Mittelalter so, wurde allerdings nicht uneingeschränkt gutgeheißen: "Versuche der weltlichen oder geistlichen Obrigkeit, die Fastnacht zu reglementieren oder gänzlich abzuschaffen sind im Grunde so alt wie die Fastnacht selbst", erläutert Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), in deren Archiv zahlreiche Berichte zur westfälischen Fastnacht liegen. Wahrscheinlich, um mit gutem Beispiel voran zu gehen, schafften beispielsweise Bürgermeister und Rat von Soest 1360 das traditionelle, fastnächtliche Ratsessen ab. Auch gegen das Tragen von Masken gab es seit dem 15. Jahrhundert landauf landab immer wieder Verbote und Ermahnungen.

Die zahlreichen Wiederholungen dieser Verbote sind allerdings ein Zeichen dafür, dass sie nicht ernst genommen wurden oder dass ihre Wirkung schnell verpuffte. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts schien sich das zu ändern. Zum einen begann die Ordnungsmacht in dieser Zeit strenger durchzugreifen: Das Tragen von Masken wurde eingeschränkt oder ganz verboten, Fastnachtszüge mussten angemeldet werden, das Fastnachtsheischen, also das Einsammeln von Würsten oder Bonbons, wurde - wie 1801 in Münster - untersagt und gegen "Zuwiderhandelnde" wurden Geldbußen verhängt. "Die Strenge, mit der die Fastnachtsverbote nun durchgesetzt wurden, ist neu. Kirche und Staat gingen nun gemeinsam gegen 'Sittenlosigkeiten', 'Schwelgereien' und 'Unordnung' vor", so Cantauw.

Mittel zum Zweck waren Bußgelder, teilweise sogar Gefängnisstrafen, wie ein Fall in Geseke (Kreis Soest) belegt, wo Handwerksbuschen, die 1841 einen spontanen, berittenen Karnevalsumzug durch die Stadt organisiert hatten, in die Polizeiwache vorgeladen, befragt und mit einer Geldbuße belegt wurden.

Wie 1802 in Warendorf so ist auch in anderen Orten das in den Kirchen verlesene Publikandum genutzt worden, um das Reiten, "Collectiren" und "unanständige Vermummen" anzuprangern. "Weitaus erfolgreicher dürfte allerdings die Einführung oder die Verlegung des 40-stündigen Gebets auf die Fastnachtstage gewesen sein", vermutet Cantauw. Ursprünglich erinnerte das Gebet an die Grabesruhe Christi, die der Legende nach 40 Stunden gedauert haben soll. Gehalten wurde die Gebetswache anfangs in der Karwoche oder zu Pfingsten. Später wurde diese Frömmigkeitsform auch in Kriegs- und Notzeiten eingesetzt. Vor allem die münsterschen Bischöfe Johann Georg Müller, Hermann von Dingelstad und Felix von Hartmann erwiesen sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als engagierte Förderer der Volksmissionen, die unter anderem durch besondere Gebetsanlässe wie das 40-stündige Gebet zur geistlichen Erneuerung beitragen wollten.

So wurde beispielsweise in Herbern (Kreis Coesfeld) und Wettringen (Kreis Steinfurt) bereits Mitte des 19. Jahrhunderts an Festnacht zum 40-stündigen Gebet aufgerufen. In Datteln (Kreis Recklinghausen) und in Meschede (Hochsauerlandkreis) wurde das 40-stündige Gebet 1916/17 von Pfingsten auf die Fastnachtstage vorverlegt. Aus Nottuln (Kreis Coesfeld) liegen den Volkskundlern für 1909 sogar Aufzeichnungen des Glöckners vor, die belegen, wie bei dieser besonderen kirchlichen Veranstaltung geläutet werden sollte. "Die Anweisungen an den Küster zeigen ganz deutlich, dass dem 40-stündigen Gebet große Bedeutung beigemessen wurde. Durch feierliches und lang andauerndes Geläute wusste man sich bei den Gläubigen wohl Gehör zu verschaffen", weiß Cantauw.

Doch nicht immer ließen die Narren sich von dem ausgelassenen Fastnachtstreiben abhalten. In Datteln (Kreis Recklinghausen) verstopften sie 1916 kurzerhand alle Schlüssellöcher der Kirche, um das 40-stündige Gebet zu verhindern. "Weitaus erfolgreicher war allerdings die Verlegung der Karnevalsfeiern um ein oder zwei Wochen nach vorn, wie wir es aus Ramsdorf (Kreis Borken), Münster-Sprakel, Damme (Landkreis Vechta) oder Münster-Wolbeck kennen. Auf diese Weise ließen sich Karneval und Kirche sehr wohl unter eine Kappe kriegen", so Cantauw.


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