[WestG] [AKT] Tagungsbericht: Fragwuerdige Ehrungen!?: Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Mi Sep 7 10:51:49 CEST 2011


Von: "Katharina Stütz" <katharina.stuetz at lwl.org>
Datum: 05.09.2011, 14:18
 

AKTUELL
 
Tagungsbericht:
 
Fragwürdige Ehrungen!? 
Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und 
Erinnerungskultur
 
Ehren oder nicht ehren? Erinnern oder vom Straßenschild 
entfernen? Diese Fragen scheinen derzeit in vielen Städten und 
Gemeinden Nordrhein-Westfalens zentraler Bestandteil der 
Debatten um die Umbenennung von Straßen zu sein, die den Namen 
von "belasteten" historischen Akteuren tragen. Es geht also um 
Personen, deren Leben und Wirken - nach aktuellem Stand der 
historischen Forschung - diskussionswürdige Schnittmengen mit 
der Ideologie und Politik des Nationalsozialismus aufweisen.
 
Seit einigen Monaten stößt man in der westfälischen Lokalpresse 
immer wieder auf die Namen der Schriftstellerin Agnes Miegel 
(1879-1964) oder des Mitbegründers und Vorsitzenden des 
Westfälischen Heimatbundes Karl Wagenfeld (1869-1939), die eher 
einem kleineren, regional zu verortenden Publikum bekannt sein 
dürften, aber auch auf Namen wie jenen des 
Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg,
 an dessen Person und Rolle im Kontext der Machteroberung 
Hitlers sich, wie die Diskussion in Münster zeigt, die Geister 
scheiden.
 
In den Städten und Gemeinden, in denen bereits Debatten über 
"belastete" Namensgeber auf der tagespolitischen Agenda standen,
 wurden bislang ganz unterschiedliche Lösungswege gewählt: So 
hat sich beispielsweise die politische Vertretung der Gemeinde 
Neuenkirchen (Kreis Steinfurt) für die Umbenennung der 
Wagenfeldstraße ausgesprochen, wohingegen sich der Rat in 
Drensteinfurt (Kreis Warendorf) für die Anbringung eines Index 
bzw. einer Erläuterung unter dem eigentlichen Straßenschild 
entschieden hat.
 
Was die Diskussion vielerorts dennoch nicht zur Ruhe kommen 
lässt, ist der oft gehörte Vorwurf, dass die politisch 
Verantwortlichen ihre Beweggründe nicht genügend transparent 
gemacht oder an der Bürgermeinung vorbei entschieden hätten. In 
Münster, wo bislang noch keine endgültige Entscheidung 
bezüglich des Hindenburgplatzes getroffen wurde, hat eine aus 
Mitgliedern der Ratsfraktionen und Historikern bestehende 
Kommission zwölf Straßennamen einer Bewertung unterzogen, deren 
Genese und inhaltliche Begründung auf eigenen 
Informationsveranstaltungen bekannt gemacht und diskutiert 
werden sollen.
 
Die öffentliche Tagung "Fragwürdige Ehrungen!? - Straßennamen 
als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur", 
die am 12. Juli 2011 mit über 200 Teilnehmerinnen und 
Teilnehmern in Münster stattfand, wurde von Matthias Frese und 
Katharina Stütz (beide LWL-Institut für westfälische 
Regionalgeschichte) konzipiert und organisiert und vom 
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte gemeinsam mit 
der LWL-Literaturkommission für Westfalen sowie dem 
Westfälischen Heimatbund ausgerichtet. Sie war in zwei 
Sektionen gegliedert: Im ersten Teil der Tagung ging es darum, 
die Benennungspraxis von Straßen in Westfalen und Lippe seit 
dem 19. Jahrhundert nachzuvollziehen und speziell Umbenennungen 
während der NS-Zeit und nach 1945 zu thematisieren; im zweiten 
Teil wurden ausgewählte 'Grenzfälle' zur Diskussion gestellt, 
also die Biographie von Namensgebern, deren Leben und Wirken 
heute kontrovers beurteilt wird.
 
Die Tagung zielte primär darauf ab, die bisweilen sehr 
emotional geführte Debatte um die Umbenennung von Straßen zu 
versachlichen. Auf Grundlage der Vermittlung von historischem 
Faktenwissen sollte zudem eine größere Sensibilität im Umgang 
mit den einzelnen Personennamen für zukünftig zu erwartende 
Debatten geweckt werden. In diesem Sinne plädierte auch der 
Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und 
zugleich Vorsitzende des Westfälischen Heimatbundes, Wolfgang 
Kirsch, in seiner Begrüßung für eine unvoreingenommene 
Diskussion mit den Bürgern vor Ort. Er betonte aber zugleich, 
dass die Entscheidung über mögliche Straßenumbenennungen 
letztlich den politischen Verantwortlichen in den Städten und 
Kommunen obliege.
 
Die erste Sektion der Tagung wurde von Rainer Pöppinghege 
(Paderborn) eröffnet, der seinen Ausführungen die Grundannahme 
voranstellte, dass Straßenbenennungen immer auf den Zeitpunkt 
ihrer Entstehung schließen und mehrere Etappen in der 
Erinnerungskultur einer Gesellschaft sichtbar werden ließen. Er 
arbeitete dann heraus, dass Straßennamen in der Frühen Neuzeit 
vorrangig eine Orientierungsfunktion besaßen, die dann seit dem 
späten 18. bzw. frühen 19. Jahrhundert von einer Erinnerungs- 
und Repräsentativfunktion überlagert wurde, die im Wesentlichen 
der Legitimation politischer Systeme diente. Zudem machte 
Pöppinghege darauf aufmerksam, dass Straßenbenennungen Ehrungen 
darstellten und keine Mahnmale seien, woraus sich die Frage 
ergebe, wie man mit Personen umgehen solle, deren 
"Ehrwürdigkeit" in Frage gestellt sei.
 
Und schließlich vertrat er den Standpunkt, dass Straßennamen 
kein Spiegel der Geschichte seien, da sie selektiv seien und 
von denjenigen Bevölkerungsgruppen ausgewählt würden, die für 
einen bestimmten Zeitraum das Deutungs- und Meinungsmonopol 
besitzen. Abschließend arbeitete er zwölf 
"Benennungskonjunkturen" heraus: So waren in der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts unter anderem dynastische Namen 
überdurchschnittlich präsent, wohingegen in den 1950er Jahren 
NS-Opfer und Heimatdichter und in den 1980er Jahren lokale 
Frauenpersönlichkeiten vermehrt durch Straßenbenennungen geehrt 
wurden. Wichtige Erkenntnisse zur Benennungspraxis in 
Abhängigkeit von historischen Ereignissen des 19. und 20. 
Jahrhunderts hat Pöppinghege durch den direkten Vergleich 
verschiedener westfälischer Städte wie Münster, Paderborn und 
Dortmund gewonnen.
 
So konnte er feststellen, dass eine Vielzahl der in Münster in 
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergebenen Straßennamen 
eine stark dynastische und militärische Prägung aufwiesen, was 
auf die damalige Funktion als Hauptstadt der ehemaligen 
preußischen Provinz Westfalen zurückzuführen ist. Dieses 
Kriterium hatte folglich für Paderborn keinerlei Bedeutung, 
zumal hier offensichtlich auch der Einfluss der katholischen 
Kirche auf die Namensgebung wirksam war. In der anschließenden 
Diskussion wurde noch zu bedenken gegeben, dass man in die 
Debatte um Umbenennungen auch Schulen, Preise etc. mit 
einbeziehen sollte.
 
In seinen Ausführungen zu Straßenumbenennungen in Westfalen und 
Lippe im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit stützte 
sich Marcus Weidner (Münster) unter anderem auf Ergebnisse 
einer schriftlichen Umfrage, die er im Vorfeld der Tagung unter 
allen Gemeinde- und Stadtarchiven in Westfalen durchgeführt 
hatte und deren Ergebnisse in ein Datenbankprojekt zu 
"NS-Straßennamen" einfließen sollen. Er hob hervor, dass 
während der NS-Zeit eine Politisierung des 
Straßenbenennungsverfahrens erfolgt sei. Bezugnahmen auf den 
Nationalsozialismus wurden im Straßenraum präsenter, wohingegen 
man gleichzeitig bemüht war, alles das zu verbannen, was 
regimekritisch war oder an die Weimarer Republik erinnerte bzw. 
anknüpfte ("negative Benennungspraxis").
 
Diese Praxis sollte unmittelbar nach 1933 dazu dienen, 
kollektive Identität zu stiften, und gleichzeitig eine 
Abgrenzung bzw. einen Bruch mit vergangenen Ehrungsbezeugungen 
und – damit einhergehend – Erinnerungskulturen herbeiführen. 
Vor diesem Hintergrund lässt sich der Umgang der 
Nationalsozialisten mit Straßennamen auch als Indiz für die 
Schaffung eines ‚von oben‘ verordneten Geschichtsbildes 
begreifen. Erste Tendenzen, die sich auf Grundlage der neu 
gewonnenen Daten für die Benennungspraxis im 
Nationalsozialismus abzeichnen, sind demnach die Benennungen 1) 
nach Führungspersonen des NS-Regimes, 2) nach militärischen 
Führungskräften sowie 3) nach Gebieten, zu denen vor allem jene 
gehörten, die Deutschland infolge des Versailler Vertrages 
abtreten musste.
 
Für die Zeit nach 1945 stellte Weidner zwei Phasen der 
Straßenbenennungspraxis fest: zum einen das unmittelbare 
Kriegsende 1945, zum anderen die Konsolidierung zwischen 1946 
und 1949. Die erste Phase war dadurch gekennzeichnet, dass in 
den Städten und Gemeinden ab März 1945 eine in Eigenregie der 
Bewohner eher planlos durchgeführte Entfernung von 
Straßenschildern auf eine durch die Militärregierung verordnete 
Anweisung an die Stadtverwaltungen traf, betroffene Straßen 
umgehend umzubenennen. Im Kontext der nach 1946 auch auf den 
symbolischen Bereich übertragenen Grundsätze der 
Denazifizierung und Demilitarisierung kam es dann vermehrt zu 
Disparitäten im öffentlichen Umgang mit dem "Straßennamenerbe" 
- so z. B. im Hinblick auf die Person Hindenburgs, da man ihn 
für seine Rolle im Ersten Weltkrieg zwar nicht mehr ehren 
durfte, ihn aber aufgrund seiner Funktion als "Staatsmann" 
weiterhin auf den Straßenschildern belassen wollte.
 
Weidner konstatierte, dass die Straßenumbenennungen auf 
kommunaler Ebene im Rahmen demokratischer Verfahren verhandelt 
wurden und dass die Entscheidung, wer auf das Straßenschild 
durfte und wer nicht, letztlich von den politischen 
Mehrheitsverhältnissen abhängig war. Schließlich plädierte 
Weidner für eine umfassendere Untersuchung der jeweiligen 
lokalen Hintergründe von Straßen(um)benennungen, da auf dieser 
Ebene bisher wenige Studien vorlägen. Aus dem Plenum kam die 
ergänzende Bemerkung, dass es in den 1960er und 1970er Jahren 
noch weitere Benennungswellen gegeben habe, im Zuge derer 
zumeist die "zweite Karriere" nationalsozialistisch-belasteter 
Personen – beispielsweise als Heimatforscher – gewürdigt worden 
sei (auch Rainer Pöppinghege hatte in seinem Vortrag bereits 
darauf hingewiesen). Zudem wurde hervorgehoben, dass bestimmte 
Biographien nur lokal entschlüsselt und diskutiert werden 
könnten. Ferner zeige sich vor diesem Hintergrund erneut, dass 
eine allgemeine Handlungsempfehlung im Umgang mit fragwürdigen 
Straßenbenennungen wenig sinnvoll sei.
 
In der zweiten Sektion der Tagung wurden verstärkt Akteure aus 
dem Bereich der westfälischen Literatur und der westfälischen 
Heimatbewegung vorgestellt, deren Leben und Wirken aufgrund der 
aktuellen Forschungen kontrovers beurteilt werden. Sowohl 
Walter Gödden (Münster/Paderborn) als auch Karl Ditt (Münster) 
machten deutlich, wie eng die Bereiche westfälische Literatur, 
Heimatbewegung und NS-Ideologie miteinander verknüpft waren und 
sich gegenseitig bedingten. Gödden stellte seinem Vortrag 
einige Kennzahlen voran, die er im Rahmen einer im Vorfeld der 
Tagung durchgeführten quantifizierenden Analyse belasteter 
Straßennamen bereits gewonnen hatte. Auf dieser Grundlage ließ 
sich feststellen, dass sich unter den über 2.100 westfälischen 
Autor/-innen, die in dem von ihm herausgegeben Westfälischen 
Autorenlexikon erfasst sind, rund 60 Schriftsteller/-innen 
befinden, die sich in den Dienst des Nationalsozialismus 
gestellt haben. Ein Drittel dieser Autoren wiederum sind auch 
heute noch in Westfalen und vereinzelt überregional auf 
Straßenschildern vertreten. Insgesamt ging er davon aus, dass 
nach wie vor über 250 mehr oder weniger belastete Straßennamen 
existieren.
 
Aus der inhaltlichen Analyse seiner statistischen Befunde in 
Bezug auf die Häufigkeit von Namensnennungen auf 
Straßenschildern leitete Gödden insgesamt zehn Kategorien ab, 
innerhalb derer er die betreffenden westfälischen Autoren 
verortete. Hieraus geht hervor, dass ‚Autor/-innen der 
Heimatbewegung‘ eindeutig im Vordergrund der Benennungen von 
Straßen, Plätzen, Schulen etc. stehen. Als weitere Kategorien 
lassen sich benennen:
 
- Radikale NS-Propagandistinnen (Maria Kahle, Josefa 
Berens-Totenohl)
 
- Infiltrierte Pädagogen (Heinrich Luhmann, Franz Rinsche, 
Hermann Homann, Fritz Nölle)
 
- Populisten (Josef Winckler, Walter Vollmer, Heinz Steguweit)
 
- Multiplikatoren (Josef Bergenthal, Ludwig Bäte)
 
- Die "Jüngeren" und Spuren des Journalismus (Erwin Sylvanus, 
Friedrich Wilhelm Hymmen, August Kracht, Heinrich Maria 
Denneborg, Herbert Reinecker)
 
- Lokale Größen (Hermann Hagedorn, Lothar Irle)
 
- Die Intellektuellen (Friedrich Sieburg, Adolf von Hatzfeld, 
Gertrud Bäumer)
 
- Der Blick über die Grenze (Richard Euinger, Lulu von Strauß 
und Torney)
 
- Mitläufer und Autoren aus der zweiten Reihe.
 
Trotz der von ihm vorgenommenen Kategorienbildung plädierte 
Gödden dafür, alle genannten Schriftsteller/-innen für sich 
allein zu betrachten und zu bewerten. Das Jahr 1945 stelle 
keine Zäsur für das Schaffen der genannten westfälischen 
Autor/-innen dar; ganz im Gegenteil sei ein Großteil von ihnen 
sehr schnell rehabilitiert worden. Gödden machte am Beispiel 
des Schriftstellers und Mitglieds des Westfälischen 
Heimatbundes Josef Bergenthal (1900-1982) deutlich, dass auch 
hochgradig belastete Autoren noch bis weit in die 1950er Jahre 
Veröffentlichungen herausbringen konnten, die 
völkisch-nationalistisches Gedankengut enthielten.
 
Hinsichtlich der weiteren Diskussion um die von ihm 
vorgestellten westfälischen Schriftsteller regte Gödden die 
Erstellung eines "objektivierbaren Kriterienkatalogs" an. 
Dieser könne sich beispielsweise an der Mitgliedschaft und 
leitenden Funktionen in NS-Organisationen und/oder 
Schriftstellerverbänden, der aktiven Verbreitung von 
NS-Gedankengut und der Parteimitgliedschaft vor oder nach 1933 
orientieren; diese Kriterien eigneten sich dann zukünftig als 
Grundlage für Diskussionen über die Umbenennung von Straßen. 
Gödden abschließend: "Aus literarischer Perspektive kann nur 
noch einmal wiederholt werden: Es gibt in Westfalen eine 
hinreichende Zahl von Autorinnen und Autoren, die Städten und 
Gemeinden besser zu Gesicht stünden als die konservativ 
verengten Heimatautoren."
 
Karl Ditt (Münster) stellte daran anschließend den wohl 
prominentesten Repräsentanten aus dem Kreis der westfälischen 
Heimatbewegung vor. Er thematisierte das Denken und Wirken von 
Karl Wagenfeld in der Interaktion zwischen 
Heimatdichtung/-bewegung und nationalsozialistischer Ideologie 
und warf die Frage auf, ob man Wagenfeld aus historischer 
Perspektive als Wegbereiter und Propagandist des 
Nationalsozialismus bezeichnen könne. Laut Ditt trat Wagenfeld 
noch vor dem Ersten Weltkrieg vehement für die Gründung eines 
Westfälischen Heimatbundes ein und knüpfte daran die 
Zielsetzung eines dauerhaften Schutzes für das gesamte 
"westfälische Volkstum". Dieses sah er als gefährdet an: durch 
externe Einflüsse wie die Zerstörung der Natur und Landschaft 
oder die Konzentration der Menschen in den Großstädten als 
Folgen der Industrialisierung sowie durch eine Schwächung der 
Verbundenheit mit der Heimat, die wiederum durch eine Mischung 
von Rassen und Kulturen unterschiedlicher Herkunftsgebiete 
bedingt sei.
 
Bereits während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik 
propagierte Wagenfeld eine (westfälische) Volkskultur auf 
religiöser Grundlage, schlug eine Siedlungsbewegung gen Osten 
(Stichwort: "Schollenverbundenheit") vor und plädierte für die 
Einhaltung eugenischer Regeln zum Schutz des "Stammes- und 
Blutserbes der Väter" gegenüber "Fremdrassigen". Dass 
Wagenfelds völkisch-konservatives Weltbild schließlich hohe 
Anschlussfähigkeit an die NS-Ideologie in sich barg, zeigte 
sich nach Ditt darin, dass Wagenfeld im April 1933 in die NSDAP 
eintrat und sich selbst als Vorläufer der Nationalsozialisten 
verstand. Überdies bemühte sich Wagenfeld um ein 
partnerschaftliches Bündnis zwischen der Heimatbewegung und dem 
Nationalsozialismus, was sich beispielsweise deutlich am Motto 
"Heimat und Reich" des Westfalentages von 1933 ablesen lasse.
 
Ditt arbeitete mehrere Aspekte heraus, anhand derer sich 
Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Wagenfelds 
Ansichten und der NS-Ideologie erkennen lassen. Eine hohe 
Übereinstimmung zeigte das Ziel der Schaffung einer homogenen 
"Volksgemeinschaft" sowie das Verständnis von Rasse als 
Kategorien der In- und Exklusion. Auch sind gedankliche 
Überschneidungen im Hinblick auf die Bewertung der modernen 
Massenkultur und der "Stämme" mit ihrem Brauchtum erkennbar. 
Ein wesentlicher Unterschied in beiden Anschauungen bestehe 
darin, dass christliche Motive für Wagenfelds Denken 
grundlegend waren, wohingegen die NS-Führung jeglicher Form von 
Religiosität eher ablehnend gegenüber stand.
 
In seiner abschließenden Beurteilung der Person Wagenfeld hob 
Ditt hervor, dass dessen Weltanschauung mehr Anknüpfungspunkte 
als Unterschiede zur NS-Ideologie aufweise. Trotzdem sprach 
sich Ditt dafür aus, Wagenfeld auch weiterhin auf den 
Straßenschildern zu belassen und diese lediglich durch einen 
Index zu ergänzen. In der anschließenden Diskussion wurden aber 
eindeutigere Kriterien zur Klärung der Frage gefordert, wann 
eine Umbenennung unumgänglich sei. Diskussionswürdig erschien 
zudem die von Ditt getroffene Unterscheidung zwischen 
"biologischem" und "kulturellem" Rassismus. Es wurde kritisiert,
 dass die strikte Trennung bzw. eine Hierarchisierung beider 
Konzepte unverständlich sei und Wagenfelds Äußerungen 
beispielsweise zu Fragen der Eugenik oder in Bezug auf den 
Umgang mit sogenannten ‚Minderwertigen‘ deutlich 
völkisch-rassistisches Gedankengut erkennen ließen. Vor diesem 
Hintergrund wurde angeregt, die gewonnenen Erkenntnisse 
unabhängig davon zu bewerten, dass Wagenfeld mit einem Großteil 
seiner Ansichten bereits in den 1920er Jahren nicht zu einer 
gesellschaftlichen Minderheit gehörte.
 
Im Anschluss stellte Steffen Stadthaus (Münster) mit Agnes 
Miegel und Friedrich Castelle zwei Schriftsteller und deren 
Wirken während des Nationalsozialismus vor und beleuchtete den 
vergangenheitspolitischen Umgang mit diesen beiden 
westfälischen Heimatautoren nach 1945. Beide seien vor allem in 
den späten 1950er und frühen 1960er Jahren in einer Vielzahl 
von Fällen mit Straßenbenennungen gewürdigt worden, wobei die 
Initiativen im Hinblick auf die Würdigung von Agnes Miegel im 
Wesentlichen von den Heimatvertriebenenverbänden ausgegangen 
seien, die sie als "Mutter Ostpreußens" und "Poetische Stimme 
der Vertriebenen" zu ehren suchten.
 
Stadthaus machte gleich zu Beginn seines Vortrages deutlich, 
dass Miegels Engagement im "Dritten Reich" unumstritten sei und 
sie heute innerhalb der Literaturwissenschaft als 
nationalsozialistisch-belastete Autorin angesehen werde. Vor 
diesem Hintergrund führte er aus, dass ihre literarischen Werke 
während des Nationalsozialismus eine zunehmende 
Nationalisierung (z. B. ‚Die Schlacht von Rudau‘) erfahren 
hätten und die inhaltliche Ausgestaltung ihrer Hauptmotive 
Heimat, Krieg, Gemeinschaft und Opferbereitschaft zunehmend 
Überschneidungen mit der NS-Ideologie aufwiesen. Bereits 1933 
legte Miegel zusammen mit anderen deutschen Schriftstellern ein 
"Gelöbnis treuester Gefolgschaft" für Adolf Hitler ab. Später 
verfasste sie auch Elogen auf ihn (z. B. ‚Dem Schirmer des 
Volkes‘).
 
Umgekehrt wurde sie von den Nationalsozialisten 1944 als 
"gottbegnadete Dichterin" hochverehrt. Nach Miegels 
Entnazifizierung im Jahr 1949 konnte sie als Schriftstellerin 
schnell wieder Fuß fassen; ihre vollständige Rehabilitierung 
war für die Öffentlichkeit spätestens 1958 mit der Verleihung 
des Bayerischen Literaturpreises erreicht. Stadthaus wies 
darauf hin, dass es in den 1950er Jahren keine öffentliche 
Auseinandersetzung mit der Rolle Miegels im Nationalsozialismus 
gegeben habe. Er erklärte diese unkritische Haltung mit der 
Vergangenheitspolitik der noch jungen Bundesrepublik, die im 
Wesentlichen durch Schuldverdrängung gekennzeichnet gewesen 
sei. Am Ende seiner Ausführungen zu Agnes Miegel machte 
Stadthaus deutlich, dass er in der westfälischen 
Schriftstellerin aufgrund ihrer kulturpolitischen Unterstützung 
des NS-Regimes und einer fehlenden selbstkritischen Haltung 
bzw. Distanzierung nach 1945 keine ehrbare Namensgeberin für 
Straßen, Schulen etc. sehe. Zugleich wies er aber auch darauf 
hin, dass man vor diesem Hintergrund nicht ihr gesamtes 
schriftstellerisches Werk diskreditieren dürfe.
 
Demgegenüber ging die Haltung des vor allem in Westfalen 
bekannten Friedrich Castelle (1879-1954) zum 
Nationalsozialismus über die bloße Verehrung der Person Adolf 
Hitlers und der schriftstellerischen Verbreitung der 
NS-Ideologie in seinen Werken eindeutig hinaus, da er als 
Obmann der NS-Kulturgemeinde des Kreises Burgsteinfurt oder in 
seiner Funktion als führender Mitarbeiter der 
Reichsschrifttumskammer die NS-Kulturpolitik aktiv mitgestaltet 
habe. Bereits in den späten 1920er Jahren war Castelle 
Herausgeber der Monatsschrift "Der Türmer", die 
nationalistisch-völkisches Gedankengut propagierte.
 
Gemeinsam mit Karl Wagenfeld gab er zudem die Westfälische 
Landeszeitung "Rote Erde" heraus, die sich thematisch im 
Dunstkreis der zeitgenössischen Diskurse um Eugenik, Rassismus 
und Modernisierungsängste bewegte. Ähnlich wie Agnes Miegel 
radikalisierte sich Castelles Rhetorik nach 1933 zunehmend und 
ließ deutliche Schnittmengen mit nationalsozialistischem 
Gedankengut erkennen. Nach 1945 wurde Castelle ebenfalls zügig 
rehabilitiert und konnte bis zu seinem Tod im Jahr 1954 sowohl 
journalistisch als auch schriftstellerisch tätig sein. 
Eindeutiger noch als im Fall von Agnes Miegel plädierte 
Stadthaus gegen eine weitere Ehrung Friedrich Castelles auf 
Straßenschildern und stellte abschließend heraus, dass es 
würdigere Vertreter der Literatur gebe als die beiden 
vorgestellten westfälischen Schriftsteller, die sich vom 
NS-Regime vereinnahmen ließen, sich aktiv im kulturpolitischen 
Bereich engagierten und sich vor allem nach 1945 nicht von 
ihrer NS-Haltung distanzierten.
 
Im Anschluss an den Vortrag wurde angemerkt, dass Castelle im 
"Dritten Reich" zum Leiter eines Senders aufgestiegen sei und 
sich damit zur Förderung seiner Karriere ganz bewusst in den 
Dienst der NS-Propaganda gestellt habe. Bezogen auf den Hinweis 
aus dem Plenum, dass die Rolle Castelles als westfälischer 
Heimatdichter nicht ausreichend gewürdigt und somit seine 
Denkweisen verkürzt wiedergegeben worden seien, machte 
Stadthaus deutlich, dass für die Diskussion um die Umbenennung 
von Straßen das schriftstellerische Schaffen zugunsten seiner 
Aktivitäten im Bereich der NS-Kulturpolitik vernachlässigbar 
sei.
 
Im letzten Vortrag der Tagung referierte Hans-Ulrich Thamer 
(Münster) über die neueren historischen Erkenntnisse zur 
politischen Biographie Paul von Hindenburgs und ging der Frage 
nach, welche Stationen und Motive die Ehrung seiner Person im 
Hinblick auf Straßenbenennungen seit fast hundert Jahren 
bestimmt haben. Thamer betonte, dass die Geschichte von 
Ehrungen, aber auch Aberkennungen von Namen auf 
Straßenschildern, die Brüche und Ambivalenzen im Zeitalter der 
Extreme und der Nachkriegszeit widerspiegelten. Die 
Widersprüche und Kontroversen um Hindenburg seien Ausdruck des 
öffentlichen Umgangs der Nachkriegsgesellschaft mit Zeugnissen 
und Symbolen von Militarismus und Diktatur. Zudem machte Thamer 
in Anlehnung an die vorangegangene Diskussion deutlich, dass er 
die Grundlage für die Beurteilung eines historischen Akteurs in 
der Untersuchung der politischen Praxis und weniger in der 
Analyse programmatischer Äußerungen dieser Person sehe.
 
Bezogen auf Hindenburg stand für ihn außer Frage, dass die 
Machtübertragung an Adolf Hitler Zeugnis eines zielgerichteten 
politischen Handelns war, das maßgeblich zur Etablierung und 
Stabilisierung des NS-Regimes beitrug. Spätestens nach 1929/30 
wirkte Hindenburg aktiv an der autoritären Verformung der 
parlamentarisch-demokratischen Verfassungsordnung zum Zweck der 
Errichtung einer ‚Nationalen Einheit‘ bzw. ‚Volksgemeinschaft‘ 
mit. Als sich herausstellte, dass dieses Ziel nicht mehr ohne 
die Unterstützung der nationalsozialistischen Kräfte 
realisierbar war, sah er seit Ende 1932 die letzte Chance in 
der Kanzlerschaft Hitlers. Dass nur kurze Zeit nach der 
Machteroberung Hitlers die ersten ‚wilden‘ Konzentrationslager 
errichtet wurden, Gegner des Nationalsozialismus verfolgt, 
inhaftiert und ermordet wurden und sich ein zunehmend 
aggressiver Antisemitismus etablierte, seien nach Thamer 
Vorgänge, von denen Hindenburg zumindest wusste und die er als 
Reichspräsident mittrug.
 
Im zweiten Teil seines Vortrags, der sich auf die Person 
Hindenburgs in der Erinnerungpolitik der Bundesrepublik 
konzentrierte, wies Thamer darauf hin, dass der 1934 
verstorbene Reichspräsident Hindenburg noch mit ca. 400 
Namensgebungen im öffentlichen Raum präsent sei. Eine erste 
Welle von Umbenennungen habe es in der unmittelbaren 
Nachkriegszeit gegeben. Eine zweite Welle von Forderungen nach 
Umbenennung erfolgte als Echo auf die ‚unruhigen‘ 1960er Jahre 
– jedoch ohne nennenswerte Erfolge. Am Beispiel der Stadt 
Münster machte Thamer deutlich, dass seit Ende der 1980er Jahre 
die Debatte um die Umbenennung des Hindenburgplatzes "alle 
Jahre wieder" auf die politische Agenda gesetzt werde. Er 
wertete dies sowohl als Zeugnis einer demokratischen 
Diskussionskultur als auch als sichtbaren Prozess einer 
permanenten Neuverhandlung der offiziellen Erinnerungskultur.
 
Thamer hob zudem hervor, dass im Rahmen einer öffentlichen 
Diskussion um Straßennamen transparent gemacht werden sollte, 
welche Motive für die Benennung und Umbenennung maßgeblich 
waren. Abschließend gab er zu bedenken, dass Hindenburg selbst 
jeder Form des politischen Pluralismus ablehnend 
gegenübergestanden bzw. diesem aktiv entgegen gewirkt habe. 
Argumente für ein Festhalten an Hindenburg als Namenspatron 
gebe es eigentlich nicht. Im Hinblick auf eine Verortung des 
ehemaligen Reichspräsidenten innerhalb der deutschen 
Erinnerungspolitik und damit konkret dessen Ehrung auf 
Straßenschildern sei aber die Beantwortung der Frage 
entscheidend, in welcher Rolle oder Funktion Hindenburg 
erinnert werden solle: als ‚Held des Ersten Weltkriegs‘ in der 
Schlacht von Tannenberg, als Reichspräsident bzw. selbst 
ernannter ‚Retter‘ während der Weimarer Republik oder als 
Stifter einer vermeintlich ‚Nationalen Einheit’ im Übergang zur 
NS-Diktatur? Man könne aber auch die Frage stellen, ob 
Straßenbenennungen aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus 
erhalten werden sollten, weil die damaligen Befürworter zu 
diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten, welche politische 
Rolle Hindenburg später im Kontext des "Dritten Reiches" 
spielen würde.
 
In der folgenden Gesprächsrunde wurde angeregt, die Diskussion 
insgesamt etwas unaufgeregter zu sehen, da diese eigentlich 
fester Bestandteil einer demokratisch verfassten Gesellschaft 
sein sollte. Ditt plädierte im Hinblick auf die Frage nach der 
konkreten Vorgehensweise im Umbenennungsprozess – ähnlich wie 
Gödden schon in seinem Vortrag – für einen Kriterienkatalog zur 
differenzierten Beurteilung der fraglichen Fälle. Er schlug 
zwei Kriterien vor, die jeweils gegen eine Ehrung sprechen 
könnten: den Rassismus jeweils in Wort und Tat und den 
abwertenden Umgang mit Minderheiten.
 
Auf eine Anmerkung aus dem Plenum, dass eine Vielzahl von 
Bürgern häufig noch national-konservativen 
Argumentationsmustern folge, in deren Sinne bestimmte 
Straßennamen als unantastbare, zu schützende Traditionen 
bewertet würden, warf Thamer ein, dass Tradition als etwas 
grundsätzlich Erhaltenswertes zu betrachten sei. Jedoch müssten 
dort die Grenzen der Traditionspflege gezogen werden, wo es um 
die Verletzung von Menschenrechten bzw. qua Verfassung 
geschützten Normen gehe. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass 
die Diskussionen auch deshalb so emotional geführt würden, weil 
sie in das Alltagsleben der Bürger eingriffen und zugleich das 
Nachdenken über die Frage provozierten, in welcher Tradition 
man denn persönlich stehen möchte.
 
Teilnehmer aus dem Plenum plädierten dafür, im Rahmen 
zukünftiger Diskussionen die Semantik der Begriffe Erinnerungs- 
und Gedächtniskultur deutlicher herauszustellen. Zudem kam die 
Frage auf, ob auch die Klärung, wer im Fall einer Umbenennung 
an die Stelle der alten Namensgeber treten solle, auch zum 
erinnerungskulturellen Diskurs zwischen Öffentlichkeit und 
Wissenschaft gehöre. Ditt merkte dazu an, dass es nicht nur 
legitim sei, sich darüber innerhalb des Diskussionsprozesses 
Gedanken zu machen, sondern dass man sich auch bewusst machen 
müsse, dass Städte und Gemeinden über die Namensgebung auf 
Straßenschildern ihr Image steuern könnten. Er schlug vor, 
Opfer des Nationalsozialismus, derer auch bereits auf 
Stolpersteinen gedacht werde, mit Straßenschildern zu ehren. 
Zum Abschluss der Tagung wurde der Vorschlag gemacht, einen 
Runden Tisch oder ein Forum einzurichten, um die aktuell 
geführten Diskussionen zusammen- und fortzuführen.
 
Insgesamt hat die Tagung eine offene, sachlich-argumentative 
Diskussion über die fragwürdigen Ehrungen einiger westfälischer 
"Protagonisten" ermöglicht, die ‚vor Ort‘ fortgesetzt werden 
sollte. Der Fokus hätte noch stärker auf der Herausarbeitung 
von Kriterien für die Bewertung von und im Umgang mit 
sogenannten ‚Grenzfällen‘ liegen können. Die zentrale Frage, ob 
man – vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes zu 
den genannten Personen – deren Ehrung gegenwärtig noch 
erinnerungspolitisch legitimieren kann, sollte in diesem 
Kontext ebenfalls weiter in den Vordergrund gerückt werden. Man 
hätte zudem die Grenze zwischen historischer Forschung und 
politischer Entscheidung klarer ziehen müssen.
 
In diesem Sinne kann und darf es nicht als primäre Aufgabe der 
Historiker angesehen werden, eine ‚schwarze Liste‘ mit den 
Namen derjenigen Personen zusammenzustellen, die nicht mehr auf 
Straßenschildern vertreten sein dürfen. Gleichwohl ist auch 
deutlich geworden, dass sich die Historiker im Spannungsfeld 
von Forschung und aktuellen, geschichtspolitischen Debatten 
einer eigenen Einschätzung nicht entziehen dürfen. Zugleich 
sollte man die Aufarbeitung von sogenannten ‚belasteten 
Biographien‘ durchaus als Chance für die Vermittlung 
historischer Forschung an ein breites Publikum verstehen. Eine 
Publikation der Vorträge befindet sich in Vorbereitung.


INFO

Katharina Stütz
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte
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