[WestG] [AKT] Ruhr-Universitaet trauert um Rudolf Vierhaus

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Mo Dez 5 11:11:59 CET 2011


Von: "Josef König" <josef.koenig at presse.ruhr-uni-bochum.de>
Datum: 05.12.2011, 10:07


AKTUELL

Experte für das Zeitalter der Aufklärung
Ruhr-Universität trauert um Rudolf Vierhaus
1964 als erster Historiker an die RUB berufen

Die Ruhr-Universität trauert um Prof. em. Dr. Rudolf Vierhaus, 
der am 13. November 2011 89-jährig in Berlin gestorben ist. Der 
Historiker ist eine der herausragenden Gründergestalten der 
Ruhr-Universität und langjähriger Direktor des 
Max-Planck-Institutes für Geschichte in Göttingen. Vierhaus, 
der als erster Historiker an die neugegründete Ruhr-Universität 
berufen wurde, hatte von 1964 bis 1971 den Lehrstuhl für Neuere 
Geschichte inne und nahm auch danach noch eine Honorarprofessur 
in Bochum wahr. Wie kein anderer hat Vierhaus die Abteilung für 
Geschichtswissenschaft im ersten Jahrzehnt geprägt. Er war dann 
als Direktor des Göttinger Institutes einer der führenden 
deutschen Historiker, insbesondere im Bereich der 
Frühneuzeitforschung.

Studium erst nach dem Krieg
Der 1922 in Wanne-Eickel als Sohn eines Zechenhandwerkers 
geborene Vierhaus, der als erster in seiner Familie Abitur 
machte, durchlitt wie viele seiner Generation den Krieg: 
Sogleich zum Militär eingezogen, wurde er schwer verwundet, 
geriet in Kriegsgefangenschaft und konnte - unter den 
Kriegsfolgen leidend - erst 1949 als 27-Jähriger sein Studium 
u.a. der Geschichte, Germanistik und Philosophie in Münster 
aufnehmen. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten Kurt von 
Raumer und Herbert Grundmann, auch der Philosoph Joachim 
Ritter. Doch wurde Vierhaus auch schon von Werner Conze und 
seinem Arbeitskreis für Sozialgeschichte beeinflusst. 1955 
promovierte er mit einer Arbeit über Ranke, dessen Verhältnis 
zur sozialen Welt er zu bestimmen versuchte. 1961 habilitierte 
er sich über "Deutschland im Zeitalter der Aufklärung", womit 
er sein wichtigstes Forschungsthema fand, auf das er sich 
freilich keineswegs beschränkte.

Studienreform und Universitätssiegel
1964 nahm er - obgleich er gleichzeitig einen Ruf an die 
Universität Frankfurt erhalten hatte - den Ruf an die 
Ruhr-Universität an, nicht zuletzt weil er in Fragen der 
Hochschulreform engagiert war. Vierhaus hatte großen Anteil am 
Aufbau der Abteilung (erst später übernahm man auch in Bochum 
den Begriff Fakultät) und des Historischen Institutes. Daneben 
entfaltete er in der RUB und ihren Gremien eine vielfältige 
Tätigkeit. Die von ihm formulierten Empfehlungen zur 
Studienreform setzten sich durch, die "eine Straffung und 
überlegtere Durchführung des Studienganges ohne durchgängigen 
Dirigismus, aber mit besserer Grundausbildung und erweiterten 
Möglichkeiten für wirklich begabte Studenten" anzielten.

Das Integrierte Proseminar der Fakultät für 
Geschichtswissenschaft war eines der Resultate dieses 
Konzeptes. Auch die Idee, das Brüderpaar Prometheus und 
Epimetheus als Symbol des Miteinanders von Geistes-, Natur- und 
Ingenieurwissenschaften zu betrachten und zum Emblem der neuen 
Universität zu machen, wird Vierhaus zugeschrieben. Neue Wege 
ging Vierhaus in der interdisziplinären Zusammenarbeit und in 
lehrstuhlübergreifenden Kolloquien mit Hans Mommsen u.a. Nicht 
zuletzt war er ein ausgesprochen anregender und erfolgreicher 
akademischer Lehrer, dem professorale Allüren gänzlich abgingen,
 obgleich seine profunde Bildung, sein eindringliches Fragen 
und seine Offenheit gegenüber Neuansätzen jeden Studierenden 
und nicht wenige Kollegen beeindruckten.

Blick für die großen Fragen
Vierhaus hat sich an Diskursen über zahlreiche Fragen und 
Zeiten beteiligt. So publizierte er schon 1964 - bevor der 
Begriff wiederentdeckt wurde - in der Historischen Zeitschrift 
einen Aufsatz über "faschistisches Führertum". In seiner 
Bochumer Zeit befasste er sich auch mit der Weimarer Republik 
und der Diskussion über den "deutschen Sonderweg". Ein 
besonderes Interesse widmete er über Jahrzehnte 
historiographischen Fragen, etwa der Rolle der 
Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Auch an der 
Grundlagendiskussion der Geschichtswissenschaft, die in den 
ausgehenden 60er- und in den 70er-Jahren u.a. um ihr Verhältnis 
zu den Sozialwissenschaften und der Anthropologie kreiste, war 
Vierhaus engagiert beteiligt.

Dabei war Vierhaus nie ein Mann, der Moden nachlief oder 
irgendeinen methodischen Ansatz festschrieb. Er betrieb - so 
ist zu Recht hervorgehoben worden - Sozialgeschichte, als sie 
noch keine Konjunktur hatte. Und in der Zeit, als Sozial- und 
Gesellschaftsgeschichte dominant waren, ging Vierhaus kultur-, 
mentalitäts- und politikgeschichtlichen Fragen nach und verlor 
nie die Subjektivität menschlichen Handelns aus den Augen. Der 
vielleicht wichtigste Charakterzug des Historikers Rudolf 
Vierhaus war, dass er sich in einer Zeit der Spezialisierungen 
und fachlicher Verengungen den Blick für die großen Fragen und 
historischen Zusammenhänge bewahrte, die für Geschichte als 
Wissenschaft und als Bildungsmacht konstitutiv sind.


INFO

Weitere Informationen
Prof. em. Dr. Bernd Faulenbach
Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität
Tel.: 0234-323125
E-Mail: faulenbach.bochum at t-online.de 

Die vollständige Version dieser Meldung finden Sie im Netz unter
URL: http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2011/pm00399.html.de


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