[WestG] [AKT] Gertrud hatte mit Gemuese nichts am Hut: Heilige bestimmten ueber lange Zeit die Alltagswelt

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Di Mär 18 10:16:52 CET 2008


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 14.03.2008, 14:04


AKTUELL

Gertrud hatte mit Gemüse nichts am Hut
Heilige bestimmten über lange Zeit die Alltagswelt

Gemeinhin galt der 17. März, der dem Andenken der heiligen 
Gertrud geweiht war, als Stichtag für den Beginn der 
Gartenarbeiten: Ein Irrglaube, wie Christiane Cantauw von der 
Volkskundlichen Kommission des Landschaftsverbandes 
Westfalen-Lippe (LWL) klarstellt: "Mit der heiligen Gertrud und 
ihrem Leben hat diese Stichtagregelung nur wenig zu tun."

"Gertraud / den Garten baut", hieß es sprichwörtlich. Wer bis 
zum 17. März seinen Garten noch nicht umgegraben hatte, setzte 
sich dem Spott der Menschen aus. Da für den meist recht großen 
(Gemüse-)Garten die Frau zuständig war, galt ihr auch die Häme 
der Leute, wenn die Beete noch nicht umgegraben und von Unkraut 
befreit waren.

Gertrud lebte im 7. Jahrhundert und war eine Tochter von Pippin 
dem Älteren. Sie wurde Äbtissin des von ihrer Mutter gegründeten 
Klosters im belgischen Nivelles und bemühte sich vor allem um 
die Bildung der weiblichen Jugend. "Ihr außerordentlicher Eifer 
für die Betreuung von Kranken, Witwen, Pilgern und Gefangenen 
ließ sie zur Patronin von Spitälern werden, die im Mittelalter 
vielerorts ihren Namen trugen. Ihr Gebet vertrieb nach der 
Legende einmal eine Mäuse- und Rattenplage, womit sie die Ernte 
rettete", eklärt Cantauw. Deshalb stelle man sie in der Regel 
mit einer Maus als Attribut dar.

"Früher waren Arbeiten in Haus und Hof mit bestimmten 
Heiligengedenktagen verknüpft. Das zeigt ganz deutlich, wie der 
Alltag vom christlichen Glauben durchdrungen war", erläutert 
Cantauw. Der Wechsel von Jahreszeiten und Aufgaben war durch 
diese Stichtage gedanklich nicht vom christlichen Glauben zu 
trennen.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein kannten zumindest gläubige 
Katholiken die einzelnen Heiligentage - zumal, wenn es sich wie 
bei dem Gedenktag der heiligen Gertrud um einen 
aufgabenbezogenen Stichtag handelte. Die Namenstage von Thomas, 
Anna, Peter und Paul, Elisabeth, Michael, Johannes oder Anton 
mussten sie nicht erst in Heiligenkalendern nachschlagen.

Dies lag nicht zuletzt auch daran, dass es sich dabei um 
landwirtschaftlich bedeutsame Stichtage handelte, an denen das 
Gesinde wechselte, bestimmte Arbeiten zu erledigen oder gewisse 
Abgaben zu entrichten waren.

Ab dem 16. Jahrhundert empfahl die katholische Kirche den 
Gläubigen, ihren Kindern Heiligennamen zu geben und den Tag des 
Namenspatrons feierlich zu begehen. Diese Empfehlung aus dem 
Kathechismus, die im Rituale Romanum (einer Gottesdienstordnung 
von 1614) nochmals bekräftigt wurde, begründete die 
Namenstagsfeier, die immer mehr Katholiken übernahmen.

Bis weit ins 20. Jahrhundert hielten viele an ihr fest. Da die 
katholische Kirche aufgrund der Lehre von der Erbsünde 
Geburtstagsfeiern ablehnte, bekämpfte man diese als heidnischen 
Brauch. "Jedes Kalb hat Geburtstag, aber noch lange keinen 
Namenstag, hieß es damals", so die LWL-Volkskundlerin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Geburtstagsfeier aber 
auch bei den Katholiken zunehmend durch. "Für viele Menschen 
spielten die sich am landwirtschaftlichen Jahr orientierenden 
Stich- und Heiligentage eine geringere Rolle. Nicht mehr das 
Vorbild eines Heiligen, sondern ihre eigene Individualität und 
ihre individuelle Leistung rückten in den Vordergrund", so 
Christiane Cantauw. Dieser Geisteshaltung entsprach eher der 
Geburtstag, für den das persönliche Lebensalter als Anlass zum 
Feiern gilt.