[WestG] [KONF] Mit Kuenstlern auf Reisen: Orte der Sehnsucht, 14.03.2008, Muenster

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Fr Mär 14 11:13:53 CET 2008


Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 14.03.2008, 10:58


KOLLOQUIUM

Mit Künstlern auf Reisen
Kolloquium "Orte der Sehnsucht" im LWL-Landesmuseum

Wohin reisten Künstlerinnen und Künstler früher? Und wie haben 
diese Reisen ihr Werk verändert? Das sind zwei zentrale Fragen, 
denen die Jubiläumsausstellung "Orte der Sehnsucht - Mit 
Künstlern auf Reisen" (28.9.08 - 11.01.09) im LWL-Landesmuseum 
für Kunst und Kulturgeschichte in Münster nachgeht.

Ein halbes Jahr vor Eröffnung der Ausstellung haben sich 120 
Wissenschaftler bei einem Kolloquium der "Orte der Sehnsucht" im 
Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) angenommen 
und übergreifende Fragestellungen zur Künstlerreise untersucht. 
Dabei wurden die unterschiedlichen Motivationen der Künstler 
deutlich: von der religiösen Pilgerfahrt über die klassische 
Bildungsreise bis hin zum Reisen im Zeitalter der 
Globalisierung.

"Das Thema der Ausstellung - die Künstlerreise - beschäftigt 
sich mit Neuerung und Wandel: Die Reise in ferne Welten ist oft 
verbunden mit der Suche nach dem Unbekannten, nie zuvor 
Gesehenen, und mit dem Streben nach neuer Erkenntnis", so die 
LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale am Freitag 
(14.03.). "Die Reiseerlebnisse werden immer wieder als Auslöser 
für Wendepunkte in den Werken einzelner Künstler angesehen. 
Viele berühmte Maler brachen auf, um Neues zu entdecken: 
Albrecht Dürer war in Venedig, Peter Paul Rubens in Rom, August 
Macke und Paul Klee reisten in den Orient und Paul Gauguin trieb 
es in die weite Ferne der Südsee, nach Tahiti."

"In der kunsthistorischen Forschung sind Künstlerreisen seit 
langem Gegenstand großen Interesses: dient die Reise den 
Künstlerinnen und Künstlern doch als wesentlicher Antrieb zur 
Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit und ihres Schaffens", 
erklärte Museumsdirektor Dr. Hermann Arnhold. Erstmals werde 
dieses Thema in der großen Ausstellung "Orte der Sehnsucht" mit 
mehr als 250 internationalen Leihgaben dargestellt.

Acht Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz 
befassten sich in ihren Vorträgen mit Einzelaspekten der 
Künstlerreise, zum Beispiel den über Jahrhunderte beliebten 
Italienreisen, der europäischen Aneignung des Orients und den 
Künstlerfernreisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einen 
Höhepunkt des Kolloquiums bildet der Abendvortrag von Prof. Dr. 
Andreas Beyer vom Kunsthistorischen Seminar der Universität 
Basel. Beyer betrachtet die Reisen von Dürer, Holbein bis 
LeCorbusier und Fischli/Weiss und stellt die Bedeutung von 
Goethes Reiseerfahrungen heraus.

Kolloquium "Orte der Sehnsucht - Mit Künstlern auf Reisen"
14.3.2008
Inhalte der Vorträge:

"Sehnsucht - Zur Archäologie eines Reisemotivs"
Prof. Dr. Michael Maurer
Institut für Volkskunde/Kulturgeschichte, 
Friedrich-Schiller-Universität, Jena

Anhand der Vorstellung historischer Reiseberichte, wie z.B. von 
Goethe (Italienische Reise), thematisiert der einführende 
Vortrag die Motive, denen Menschen im allgemeinen und Künstler 
im besonderen folgten, wenn sie Reisen unternahmen. Abgrenzend 
vom Topos der Berufsreisen steht dabei das Motiv der Sehnsucht 
im Mittelpunkt. Weitere Anlässe für Reisetätigkeit wie 
Pilgerschaft, Flucht vor Armut und anderes werden ebenfalls 
behandelt.

"Orte der Sehnsucht - Zum Thema der Künstlerreise und seiner 
Umsetzung in der Ausstellung" 
Dr. Gudula Mayr
LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

Ausgehend von allgemeinen Überlegungen zur Künstlerreise wird 
die Ausstellung mit ihren Sektionen vorgestellt. Der Vortrag 
wird der Frage nach den besonderen Merkmalen der Künstlerreise, 
nach den Reisegründen sowie nach dem künstlerischen Ertrag der 
Reisen nachgehen. Dabei wird das Spannungsfeld zwischen 
künstlerischen und wirtschaftlichen Interessen thematisiert 
werden. Auch der Auswahl der dargestellten Motive und der 
Herausbildung von Stereotypen wird nachgegangen.

"Von der Pilgerfahrt zur Reise ins Licht - Künstlerreisen 
nach Italien"
Prof. Dr. Volker Plagemann
Senatsdirektor a.D., Bremen

Der Vortrag untersucht anhand des Sehnsuchtsortes Italien, 
welche Motive und Beweggründe Künstler für ihre Reisen hatten. 
Thematisiert werden unter anderem die religiöse Sehnsucht der 
Pilgerfahrt nach Rom und ins Heilige Land (über Venedig!) und 
die Künstlerreise als Weg der künstlerischen Ausbildung. Daneben 
spielten auch die Kavaliersreise, das Bildungserlebnis der Grand 
Tour und im 19. Jahrhundert die Verklärung des italienischen 
Volkslebens und der italienischen Landschaft eine Rolle.

"Über die europäische Aneignung des Orients"
Prof. Dr. Birgit Haehnel
Institut für Textiles Gestalten, Universität Osnabrück

Die exotistischen Phantasiebilder der europäischen Orientmaler 
zeigen den Orient als Projektion für eine europäische 
Identitätsbildung. Der Vortrag thematisiert die Gemeinsamkeiten, 
Unterschiede und Entwicklungen hinsichtlich 
wahrnehmungsästhetischer und weltanschaulicher Einstellungen 
gegenüber dem sogenannten "Orient". Es wird aufgezeigt, welches 
Orientbild die reisenden Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
im Vergleich mit Orientmalern des 19. Jahrhunderts entwerfen.

"Der kolonisierende männliche Blick - Selbstreflexion zwischen 
Kunst und Wissenschaft in Vivant Denons Vayage d'Égypte (1802)"
Prof. Dr. Viktoria Schmidt-Linsenhoff
Fachbereich Kunstgeschichte, Universität Trier

Ausgangspunkt des Vortrags sind die Zeichnungen Vivant Denons, 
der in die Kunstkommission von Napoleons Ägyptenfeldzug (1799) 
eingebunden war. Anhand seiner Bildtafeln von Ägypten wird das 
allgemeine Problem der vermeintlichen Objektivität von 
dokumentarischen Reisebildern diskutiert. In den Blickpunkt 
gerät dabei die geschlechtsspezifische und nationale Perspektive 
des Zeichners.

"Konjunkturen des Exotismus - Zur Rezeption der Künstlerfernreisen 
vom Anfang des 20. Jahrhunderts"
Dr. Christoph Otterbeck
Universitätsmuseum Marburg

Wie unterschiedlich sind Künstlerreisen aus Europa im Laufe des 
20. Jahrhunderts aufgenommen und beurteilt worden? Die erste 
Phase der Rezeption fand noch im Kaiserreich statt, das wegen 
der vorherrschenden kolonialen Ideologie sowohl die 
Avantgarde-Künstler wie z.B. Max Pechstein und Emil Nolde als 
auch deren exotische Reiseziele herabwürdigte.

Diese negative Einstellung wandelte sich zu einer regelrechten 
Hochkonjunktur des Exotismus in den 20er Jahren, der später 
unter den Repressionen der Nationalsozialisten wiederum der 
Begründung angeblicher Fehlorientierung der modernen Künstler 
diente. In der Nachkriegszeit kam es zu einer radikalen Änderung 
dieser Einschätzung, wo es um eine bevorzugte Präsentation der 
im Dritten Reich verfemten Kunst ging.

"Global - Künstlerreisen im Zeitalter hybrider Identitäten"
Prof. Dr. Peter J. Schneemann
Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern

Der Vortrag geht der Frage nach, ob das Thema der Künstlerreise 
auch für eine Kunstgeschichte der Gegenwart fruchtbar aktuell 
sein kann. Welche Kontinuitäten sind zu beobachten und welche 
neuen Paradigmen ergeben sich durch das Motiv des Reisens als 
Demonstration einer globalen Gleichzeitigkeit? Inwieweit 
vermögen die künstlerischen Strategien seit den 60er Jahren des 
20.

Jahrhunderts die Identität des Reisenden ebenso zu 
problematisieren wie den Ort der Sehnsucht als Konstruktion 
offen zu legen? Anhand von exemplarischen Positionen werden 
Paradigmenwechsel im Selbstverständnis des reisenden Künstlers 
der Gegenwart verdeutlicht. Der Ort als Referenzsystem beginnt 
sich aufzulösen, taucht aber in der Form der Anekdote immer 
wieder als Fragment einer Vorstellung vom authentischen Anderen 
auf.

Abendvortrag
"Das Reisen als schöne Kunst betrachtet - Künstlerreisen und 
Kunstgeschichte"
Prof. Dr. Andreas Beyer
Kunsthistorisches Seminar, Universität Basel

Der Vortrag betrachtet die Reisetätigkeit von Künstlern als 
wesentlichen Teil ihrer künstlerischen Bildung und Aktivität, 
mithin als Teil der "schönen Kunst". Er beleuchtet zudem die 
Tradition der Kunstgeschichtsschreibung, die Reisen von 
Künstlern als Deutungsmuster für deren Werke heranzuziehen. Hier 
wird die Reiseerfahrung Goethes eine Rolle spielen, die zum 
klassischen Vorbild der künstlerischen Verwandlung auf Reisen 
geworden ist. Berücksichtigt werden Künstler wie Albrecht Dürer 
und Hans Holbein d.J. bis hin zu Le Corbusier und Fischli & 
Weiss.