[WestG] [AKT] Wirkmaschine laeuft Sonntag im Ziegeleimuseum, Lage, 13.07.2008

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Mi Jul 9 12:40:21 CEST 2008


Von: "Vera Lengersdorf" <Vera.Lengersdorf at lwl.org>
Datum: 08.07.2008, 15:54
 

AKTUELL

Wie im Märchen: "Hänsel" als Startkapital für den Westen 
Wirkmaschine läuft Sonntag im Ziegeleimuseum
 
Mit einem leichten Surren drehen sich die bunten Garnrollen am 
hölzernen Aufsatz, werden die Fäden und Kordeln Meter um Meter 
über längliche Führungsschienen direkt ins Innere der 
gusseisernen Maschine geleitet und hier zu farbigen Borten 
verarbeitet. Auch wenn die Wirkmaschine den fantasievollen Namen 
"Hänsel" trägt, hat sie keine Ähnlichkeiten mit einer 
Märchenfigur. Sie ist vielmehr eines von vielen Objekten, die 
der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) derzeit in der 
Sonderausstellung "Aufbau West. Neubeginn zwischen Vertreibung 
und Wirtschaftswunder" in seinem Ziegeleimuseum in Lage zeigt. 
Am kommenden Sonntag (13.7.) können Ausstellungsbesucher sehen, 
wie "Hänsel" funktioniert.

Mitarbeiter der Werkstätten des Industriemuseums machten das gut 
80 Jahre alte Relikt für die Ausstellung wieder flott. In den 
1920er Jahren hatte Emil Paul Dietzsch das Gerät erstmalig in 
seiner Posamentenfabrik in Geyer/Erzgebirge eingesetzt. Der 
Familienbetrieb stellte hier Borten, Schnüren und Quasten für 
den Besatz von Kleidung und Textilien her. Nach der Enteignung 
durch die DDR-Regierung floh das Unternehmen 1950 nach 
Wuppertal-Barmen, um im Westen seine Produktion fortzusetzen. 
Mit im Gepäck war das Startkapital für den Neubeginn: Dietzsch 
gelang es, seine beiden Kettenwirkmaschinen "Hänsel" und 
"Gretel" aus der DDR zu schleusen und in Wuppertal wieder 
aufzustellen.

Mit ihrem Angebot an Borten und Bordüren ergänzte die Firma 
Dietzsch in den 1950er Jahren schnell das vorhandene Wuppertaler 
Produktionsspektrum an Bändern und Schmucktextilien: "Nach 1945 
wäre die Versorgung der Bevölkerung allein durch die heimische 
Textilindustrie auch nicht möglich gewesen, weil in 
derTextilbranche schon immer eine weitgehende regionale 
Arbeitsteilung zwischen Ost und West herrschte", erklärt Dr. 
Arnold Lassotta, Textilfachmann im Ausstellungsteam.

Die neuen Unternehmen aus dem Osten trafen im Westen auf eine so 
hohe Nachfrage, dass sich die Firma Dietzsch im Laufe der 
folgenden Jahre wesentlich vergrößerte. In all den Jahren konnte 
sich der Familienbetrieb aber von einem besonderen 
Erinnerungsstück nicht trennen, auch wenn der technische 
Fortschritt längst bessere Maschinen hervorgebracht hat: 
"Hänsel" stand bis zur Betriebsschließung 1997 im Besucherraum 
der Firma und erinnerte an die mühevollen Anfänge im Westen. 
Dabei blieb die erste Wirkmaschine der Wuppertaler Produktion 
immer unangefochten die "Nummer Eins" und ist es scheinbar noch 
heute, wie ein kleines Schild am oberen Holzgerüst mit der 
Aufschrift "1" bezeugt.

Nach der Schließung der Firma Dietzsch gab Betriebsleiter 
Herbert Frickhöfer die geschichtsträchtige Maschine 1998 in die 
Obhut des LWL-Industriemuseums. Für die Präsentation in der 
Ausstellung Aufbau West wurde "Hänsel" dann restauriert und neu 
eingerichtet.
 

INFO

Schauvorführung "Wirkmaschine in Betrieb"
Sonntag, 13.7.2008, 11-17 Uhr
 
Aufbau West - Neubeginn zwischen Vertreibung und 
Wirtschaftswunder
bis 21.09.2008
LWL-Industriemuseum
Ziegeleimuseum in Lage
Sprikernheide 77 I  32791 Lage 
Geöffnet Di - So 10 - 18 Uhr