[WestG] [AKT] RUB-Theologen erforschen kirchliche Heimerziehung in der fruehen BRD

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Di Dez 9 10:48:23 CET 2008


Von "Josef König" <josef.koenig at presse.ruhr-uni-bochum.de>
Datum:  08.12.2008, 10:24


AKTUELL

Was wirklich in den Heimen geschah
RUB-Theologen erforschen kirchliche Heimerziehung in der 
frühen BRD
Unabhängige Studie nach schweren Vorwürfen

Die Vorwürfe wiegen schwer: Hunderttausende Heimkinder seien 
zwischen 1949 und 1972 in Deutschland schikaniert, zu schwerer 
Arbeit gezwungen und mitunter sogar sexuell missbraucht worden, 
so Peter Wensierski in seinem Buch "Schläge im Namen des Herrn", 
das 2006 erschienen ist. Was wirklich in kirchlichen 
Kinderheimen geschah, welche Richtlinien galten und wie die 
Praxis aussah, untersuchen katholische und evangelische 
Theologen der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Studie wird 
gefördert vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche, dem 
Caritasverband, der Evangelischen Kirche, der Deutschen 
Bischofskonferenz und der Deutschen Ordensobernkonferenz.

Vorwürfe differenziert untersuchen

Das Buch von Peter Wensierski verdiene vor allem deswegen 
Beachtung, weil es den Opfern Gehör einer teils entwürdigenden, 
aber gesellschaftlich legitimierten Praxis Gehör verschafft, 
unterstreichen Prof. Dr. Wilhelm Damberg und Prof. Dr. Traugott 
Jähnichen, Leiter der Studie an der RUB. Allerdings bescheinigen 
sie dem Band auch eine Tendenz zur Schwarz-Weiß-Malerei und 
finden viele Verallgemeinerungen. Eine historisch abwägende, 
differenzierte Studie zum Thema fehlt bislang.

Diese Lücke wollen die Theologen nun schließen. Sie gehen den 
Thesen des Buches - Jugendliche seien systematisch gedemütigt 
und als billige Arbeitskräfte missbraucht worden, vor allem die 
(katholischen) Kirchen als Träger seien verantwortlich und erst 
die Heimkampagnen der Außerparlametarischen Opposion (APO) Ende 
der 1960er Jahre habe das Ende der autoritären Heimerziehung 
gebracht - kritisch auf den Grund.

Gesetzeslage, Heimordnung und Handbücher analysieren

Dazu wollen sie zuerst die rechtlichen und pädagogischen 
Voraussetzungen zwischen 1949 und 1972 klären. Handelt es sich 
bei dem durch die Jugendlichen erlittenen "Unrecht" um 
moralisches Fehlverhalten oder um Gesetzesübertretungen? Die 
Gesetzeslage unterschied sich teils zwischen den einzelnen 
Bundesländern erheblich. In einigen Ländern war zum Beispiel das 
Haare Abschneiden bis Ende der 1960er Jahre rechtlich zulässig, 
wenn auch pädagogisch schon höchst umstritten.

Welche Gerichtsverfahren zur Heimerziehung gab es? Was stand in 
den Heimordnungen? Gerade von kirchlichen Institutionen ist 
bekannt, dass sie die Prügelstrafe auch zu Zeiten, in denen sie 
gesetzlich noch erlaubt war, in ihren Heimordnungen verboten. 
Die spezielle Situation in konfessionellen Heimen wollen die 
Forscher anhand von Handbüchern etwa von Schwesternschaften 
untersuchen. "Das Verhältnis zwischen Norm und erzieherischer 
Wirklichkeit muss allerdings kritisch hinterfragt werden", 
betonen sie.

Statistik: Die Zahlen liegen noch im Dunkeln

Weiterer Teil der Studie ist eine detaillierte Heimstatistik: 
Wie viele Kinder lebten überhaupt in Heimen? Zu welchen Zeiten 
wurden auf welcher Grundlage und mit welchen Zielen mehr oder 
weniger Jugendliche ins Heim gebracht? Basierend auf diesen 
bisher noch unbekannten Daten planen die Forscher dann eine 
Typisierung konfessioneller Heime. Die Art des Heims, der Grad 
der Professionalisierung der Erzieher und das zahlenmäßige 
Verhältnis zwischen Betreuern und Betreuten sollen hierein 
einfließen.

Genaue Studien über die Verhältnisse in einzelnen exemplarischen 
Heimen sollen das Wissen über die Zustände im Allgemeinen weiter 
vergrößern. Vergleiche zwischen katholischen und evangelischen 
Einrichtungen sind ebenfalls geplant. Die Forscher wollen 
außerdem herausarbeiten, dass es auch vor dem Eingreifen der APO 
schon Reformdiskurse und -projekte zur Heimerziehung gab. Die 
"Erlösung" der Heimkinder durch die APO steht daher in Frage.


INFO

Prof. Dr. Wilhelm Damberg
Katholisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. Traugott Jähnichen,
Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum

44780 Bochum
Tel. 0234/32-28109, bzw. -28401
E-Mail: wilhelm.damberg at rub.de
E-Mail: traugott.jaehnichen at rub.de


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