[WestG] [AKT] Sendenhorst, Archaeologen finden Schach- und
Backgammonfiguren aus dem Mittelalter
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Don Feb 17 11:16:55 CET 2005
Von "LWL-Pressestelle", <presse at lwl.org>
Datum: 16.02.2005, 11:13
AKTUELL
Spielfreudiger Kleinadel in Sendenhorst: LWL-
Archäologen finden einzigartige Schach- und
Backgammon-Spielfiguren aus dem Mittelalter
In Sendenhorst (Kreis Warendorf) haben Archäologen des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) bei der
Ausgrabungen eines mittelalterlichen Adelshofes aus
dem 11. bis 12. Jahrhundert einen bedeutenden Fund
gemacht: Sie haben zwei Backgammon-Steine und zwei
Schachfiguren gefunden, die zu den ältesten und
aufwändigsten ihrer Art in Europa gehören.
"Die Schachfiguren, eine Dame und ein Bauer, sind in
Westfalen bisher einmalig. Ihre Formen besitzen kaum
Ähnlichkeit mit den heutigen Figuren, sondern sind -
wie im Mittelalter üblich - abstrahiert. Sie weisen
auf das indische Ursprungsgebiet des Schachspiels
hin, sind aber wohl in der Region hergestellt worden.
Von den Backgammon-Steinen gibt es in Westfalen zwar
noch ein paar mehr, doch sind die Sendenhorster
Exemplare mit ihrer aufwändigen Verzierung die
wertvollsten, für den größeren der beiden Steine gibt
es in Europa bislang überhaupt keine vergleichbaren
Stücke", erläutert Dr. Stefan Eismann, zuständiger
Archäologie des Westfälischen Museums für Archäologie,
die Besonderheit der Funde.
Alle Steine sind aus Tierknochen gearbeitet, doch nur
für die Dame gelang es den Experten von der Johannes-
Gutenberg-Universität Mainz die Tierart zu bestimmen,
nämlich Pferd. Sollten die Schachfiguren zum selben
Spiel gehören, so vertreten sie wegen ihrer
unterschiedlichen Färbung beide Spielfarben.
Die Backgammon-Steine bestehen aus zwei dünnen Lagen
Knochen, die durch Bronze- beziehungsweise Eisennieten
zusammengehalten werden. Bei einem Stein liegt wischen
den beiden Knochenscheiben eine Bronzefolie, bei dem
anderen hat man auf Eisenbleche montierte textile
Einlagen eingesetzt. Die obere Lage ist mit
geometrischen Mustern durchbrochen, durch die die
goldfarbene Bronze und die Textilie schimmerte; der
Rand ist mit Kreisaugen und Linien verziert.
Die Spielsteine haben die LWL-Archäologen bei der
Ausgrabung eines Adelshofes am Rande von Sendenhorst
gefunden. Der fingerhutförmige Bauer aus dem
Schachspiel und die Backgammon-Steine lagen im Keller
eines ungefähr zehn Meter breiten und mindestens 30
Meter langen Holzhauses. Die Dame aus dem Schachspiel
hatte man schon im Mittelalter wegen einer
Beschädigung in den Schlamm einer nahegelegenen
Viehkoppel geworfen.
Zu der Anlage gehörten neben der Viehkoppel noch ein
Grubenhaus und mehrere Speicher. "Das Gehöft an sich
könnte auch ein großer Bauernhof sein. Aber gerade
Schach und ähnliche Spiele waren im Mittelalter eine
Sache der Elite, deshalb müssen hier Adelige
gewohnt haben", erklärt LWL-Ausgräber Eismann. Auch
andere Funde wie ein goldverzierter Bronzeanhänger,
Pferdegeschirrteile aus Bronze, eine Knochenflöte und
einige wenige Scherben eines dunkelblauen Glasbechers
zeugen noch von der gehobenen Lebensweise der
Bewohner.
Bedeutungsvoll für Archäologen und Historiker sind die
Grabungsergebnisse auch deshalb, weil an der Gemarkung
mit der Grabungsfläche der Namen "Schorlemer" haftet.
Somit ist es möglich, dass frühe Mitglieder dieser
bedeutenden Adelsfamilie am Rande Sendenhorsts
gelebt haben.
Bürgermeister Berthold Streffing machte bei der
Pressevorstellung der Funde deutlich, dass die im
Verlauf der Grabung gewonnenen Fundstücke als sehr
bedeutend nicht nur für die Fachwelt, sondern auch für
die interessierte Öffentlichkeit in ganz Deutschland
angesehen werden. Diese historisch überaus bedeutsame
Ausgrabung erfolgte auf dem Gebiet der Stadt
Sendenhorst, deshalb beteilige sich die Stadt
Sendenhorst an der Finanzierung der Auswertung.
Die Ausgrabung in der Flur "Großer Hof" war notwendig
geworden, da eine geplante Erweiterung des
Betriebsgeländes der Firma VEKA das eingetragene
Bodendenkmal betrifft. Die Firma finanzierte denn auch
als Verursacherin die Ausgrabung. Insgesamt haben das
Westfälische Museum für Archäologie mit drei
beziehungsweise sechs Ausgräbern in zwei
mehrmonatigen Kampagnen 2003 und 2004 eine 5.000
Quadratmeter große Fläche untersucht.
Die Spielfiguren gehören zu den wichtigsten
Entdeckungen der Archäologen in Nordrhein-Westfalen in
den vergangenen fünf Jahren. Sie werden deshalb
zunächst in der anstehenden Landesausstellung "Von
Anfang an. Archäologie in Nordrhein-Westfalen"
präsentiert (12.3.-28.8. in Köln, Römisch-Germanisches
Museum; 23.9.2005 bis 5.2.2006 in Herne, Westfälisches
Museum für Archäologie). Danach werden sie in die
Dauerausstellung des archäologischen Landesmuseums in
Herne an exponierter Stelle integriert. "Die Steine
sind so wichtig für die Geschichte der Menschen in der
Region, dass wir sie in die Grabungslandschaft im
Museum einbauen wollen. Sie sind außerdem ein
wunderbares Beispiel für die Zusammengehörigkeit von
praktischer archäologischer Denkmalpflege vor
Ort und im Museum," freut sich Dr. Barbara Rüschoff-
Thale, Leiterin des LWL-Archäologiemuseums in Herne.
INFO
Landesausstellung
"Von Anfang an. Archäologie in Nordrhein-Westfalen"
12.03.-28.08.2005
Köln, Römisch-Germanisches Museum
Weitere Ausstellungsorte:
Herne, Westfälisches Museum für Archäologie
23.09.-05.02.2006