[Rechtsfr.] BGH vereint Durchgriffshaftung gegen Mitglieder des insolventen .... Bildungswerks Sachsen e.V.

Alfred Oehlmann Alfred.Oehlmann at lwl.org
Do Dez 13 10:55:17 CET 2007


Werte Leserinnen und Leser,

Eine sogenannte Durchgriffshaftung gegen Vereinsmitglieder kommt nur sehr selten und unter sehr engen Voraussetzungen in Frage. Dies hat der Bundesgerichtshof erneut bestätigt. Dies ist sicher beruhigend (und ´zur Förderung der Ehrenamtlichkeit auf sinnvoll) für Vereinsmitglieder, aber eben schlecht für potentielle Gläubiger (die oft auch auf Seiten von öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu finden sind). 

Allerdings: Juristisch mögen die jeweiligen Schuldner  unbeschadet aus der Sache herauskommen. Die mögliche Rufschädigung - auch für die zukünftige Arbeit eines Vereins/Verbandes - ist jeweils kaum zu beziffern. Darunter leider dann alle, selbst wenn Sie mit einer Sache gar nichts zu tun hatten.

Und: Die jeweiligen Konstruktionen mögen  juristisch und steuerrechtlich absolut "ausgefeilt" sein. Ob allerdings insbesondere ehrenamtliche Vorstände noch in der Lage sind, solche Konstruktionen zu überblicken oder gar zu steuern sei dahingestellt. Dies gilt umso mehr, als dies selbst professionellen Aufsichtsräten im wirtschaftlichen Bereich oft nicht zu gelingen scheint. Insoweit stellt sich hier m.E. manchmal die Frage, ob nicht ein langsameres Wachstum mit klaren, übersichtlichen Strukturen und einem guten Controlling/einer guten Innenrevision in gemeinnützigen   "non-profit" Organisationen vielleicht der bessere Weg wäre. Hier haben auch die hauptamtlichen Geschäftsführer sicher eine besondere Verantwortung. Letztlich muss natürlich jeder Verband den sich richtigen Weg finden. 

Insofern kann die Entscheidung sowohl für freie Träger der Jugendhilfe als auch für öffentliche Träger der Jugendhilfe und andere Subventionsvergabestellen relevant sein. Im Anhang ist  die Meldung der beck-aktuell Redaktion vom 11.12.2007  vollständig wiedergeben.

Ihr 
Alfred Oehlmann-Austermann
LWL-Landesjugendamt 
Westfalen/Münster 

 "BGH verneint Durchgriffshaftung im Fall des insolventen Kolping-Bildungswerk Sachsen e.V. 

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Mitglieder des insolventen Kolping-Bildungswerks Sachsen e.V. nicht für die Verbindlichkeiten des Vereins haften. Eine entsprechende Durchgriffshaftung komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich sei. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen. Insbesondere das Nichteinschreiten der Mitglieder eines Vereins gegen dessen zweckwidrige umfangreiche wirtschaftliche Betätigung stelle keinen solchen Rechtsmissbrauch dar, da das Gesetz für diesen Fall ausreichende andere Sanktionen vorsehe (Urteil vom 10.12.2007, Az.: II ZR 239/05). 

Hintergrund
Die Klägerin, ein geschlossener Immobilienfonds, erwarb 1994 von einer Tochtergesellschaft des gemeinnützigen Kolping-Bildungswerk Sachsen e.V. (KBS) ein 40-jähriges Erbbaurecht an einer in Sachsen gelegenen, mit einem Schloss bebauten Immobilie. Nach dem Umbau der vorhandenen Schlossanlage in ein Schulungs-, Aus- und Weiterbildungszentrum vermietete die Klägerin das Objekt ab Oktober 1999 gegen monatliche Leasingraten von rund 80.000 Euro für 19,75 Jahre an den KBS. Dieser hatte sich als «Holdingverein» mit zuletzt mehr als 25 Tochter- und Enkelgesellschaften zu einem der größten Anbieter staatlich geförderter Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung in Sachsen entwickelt und war in drei weiteren Großprojekten mit monatlichen Mietbelastungen von über 240.000 Euro engagiert. Im Dezember 2000 musste über das Vermögen des KBS das Insolvenzverfahren eröffnet werden.

Sachverhalt 
Die Klägerin macht gegen die Beklagten unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten Ansprüche wegen des ihr durch die Insolvenz des KBS entstandenen Vermögensnachteils geltend. Die Beklagten sind - als rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Vereine organisierte - Mitglieder des auf verschiedenen örtlichen Stufen tätigen Kolpingwerks. Nach Auffassung der Klägerin sollen die als nichtrechtsfähige Vereine organisierten Beklagen zu 1, 3 und 5 angesichts der konzernähnlichen Struktur der Kolping-Organisationen als faktische Mitglieder des KBS gelten und zusammen mit ihren jeweiligen rechtsfähigen Trägervereinen - den Beklagten zu 2, 4 und 6 - für dessen Verbindlichkeiten haften.

Klage letztlich gegen alle Beklagten abgewiesen
Die Klage hatte in der Berufungsinstanz nur hinsichtlich der Beklagten zu 3-6 Erfolg. Das Oberlandesgericht war davon ausgegangen, dass die (faktischen) Mitglieder eines personalistisch strukturierten eingetragenen Vereins, der sich über das so genannte Nebenzweckprivileg hinaus in erheblichem Umfang wirtschaftlich betätigt, wegen Missbrauchs der Rechtsform akzessorisch für sämtliche Vereinsverbindlichkeiten haften, wenn sie - wie hier - Kenntnis von der wirtschaftlichen Betätigung haben und dieser keinen Einhalt gebieten. Der von allen Parteien angerufene Zweite Zivilsenat der Bundesgerichtshofs hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen, hingegen die Verurteilung der Beklagten zu 3-6 aufgehoben und die Klage auch gegen diese Beklagten abgewiesen. 

BGH: Keine Durchgriffshaftung
Der BGH hat entschieden, dass die - vom Berufungsgericht angenommene - akzessorische Haftung der Beklagten zu 3 bis 6 als (faktische) Mitglieder des KBS für dessen Vereinsverbindlichkeiten gegenüber der Klägerin im Wege einer Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs mit dem geltenden Gesetzesrecht (§§ 21 ff., 43 Abs. 2 BGB) nicht in Einklang steht. 

Vereinsmitglieder haften nur ausnahmsweise
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hafte für Verbindlichkeiten eines eingetragenen Vereins grundsätzlich nur dieser selbst und nicht die hinter ihm stehenden Vereinsmitglieder. Eine Durchbrechung dieses Trennungsgrundsatzes sei nur ausnahmsweise zulässig, so der BGH. Voraussetzung sei, dass die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich sei (vgl. BGH, NJW 1981, 522). Das Vorliegen eines derartigen Rechtsmissbrauchs habe das OLG jedoch nicht feststellen können. 

Kein Rechtsmissbrauch ersichtlich
Laut BGH bestanden weder auf Seiten des KBS etwa von Anfang an Bonitätsprobleme, die der Klägerin treuwidrig verschleiert worden wären, noch fanden rechtmissbräuchliche Vermögensverschiebungen im Konzern oder eine vergleichbare Ausnutzung von Konzernstrukturen zu Lasten der Gläubiger statt. Erst recht hätten keine Anhaltspunkte für eine insoweit den Beklagten zu 3 bis 6 zuzurechnende Veranlassung bestanden. Auch Art und Umfang der wirtschaftlichen Betätigung des KBS als solcher in Form der Steuerung größerer Bauprojekte seien für Außenstehende - darunter insbesondere die Klägerin als Auftraggeberin und spätere Leasinggeberin hinsichtlich eines dieser Großprojekte - unschwer erkennbar gewesen.

Zweckwidrige unternehmerische Tätigkeit rechtfertigt Rechtsmissbrauch nicht
Nach Ansicht des BGH rechtfertigt vor allem das - den Beklagten zu 3 bis 6 von der Klägerin angelastete - Nichteinschreiten gegen die umfangreiche wirtschaftliche Betätigung des KBS und die darin liegende Überschreitung des Nebenzweckprivilegs den vom Berufungsgericht postulierten Haftungsdurchgriff der Gläubiger auf diese (faktischen) Vereinsmitglieder wegen Rechtsformmissbrauchs nicht. Ihm stehe entgegen, dass das Gesetz gegen ein solches Verhalten Vorkehrungen getroffen habe. Es bestehe also keine ausfüllungsbedürftige Lücke. Als Sanktion für eine derartige zweckwidrige unternehmerische Betätigung des eingetragenen Vereins sehe das Gesetz allein das Amtslöschungsverfahren gemäß §§ 159, 142 FGG oder die behördliche Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 Abs. 2 BGB vor. Erst durch einen derartigen Rechtsakt wird laut BGH die Rechtsfähigkeit des Vereins beendet und dieser zu einem nichtrechtsfähigen wirtschaftlichen Verein, für dessen Verbindlichkeiten die Mitglieder - erst von diesem Zeitpunkt an - persönlich haften (§ 54 BGB). 

Gesetzliche Sanktionen reichen grundsätzlich aus
Die gesetzlichen Sanktionen der Amtslöschung gemäß §§ 159, 142 FGG und der behördlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 Abs. 2 BGB sowie der durch sie bewirkte mittelbare Zwang zur Auflösung oder Umwandlung des das Nebenzweckprivileg überschreitenden Idealvereins seien nach derzeitiger Gesetzeslage grundsätzlich zum Schutz des Rechtsverkehrs ausreichend, betonte der BGH. Etwas anderes gelte nur, wenn ausnahmsweise eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Trennungsprinzips durch die Vereinsmitglieder wie beschrieben hinzukomme. Dies sei hier aber nicht der Fall.

Kein Raum für Rechtsfortbildung
Angesichts dieser eindeutigen Gesetzeslage ist laut BGH für den vom Berufungsgericht unternommenen Versuch, im Wege einer Rechtsfortbildung die Duldung beziehungsweise Nichtverhinderung einer Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch Vereinsmitglieder zusätzlich mit der Sanktion ihrer (rückwirkenden) persönlichen Haftung zu belegen, schon wegen Fehlens einer Gesetzeslücke kein Raum. 

Durchgriffstatbestand läuft geltendem Recht zuwider
Die Karlsruher Richter betonten, dass überdies die Ausgangsthese des Berufungsgerichts, es entspreche «allgemeinen korporationsrechtlichen Grundsätzen, dass die Mitglieder beziehungsweise Gesellschafter einer Körperschaft grundlegenden strukturellen Fehlentwicklungen durch nachhaltige Maßnahmen entgegenzutreten haben und sie bei der Verletzung einer solchen Pflicht einer persönlichen Haftung unterworfen» seien, nicht zu. Ein derartiger Durchgriffstatbestand sei dem geltenden Recht fremd. "



beck-aktuell-Redaktion, Verlag C. H. Beck, 11. Dezember 2007.